
Kanzler in den tagesthemen Merz sieht "kleine Chance" auf Kriegsende
Bundeskanzler Merz sieht aktuell eine "kleine Chance" auf ein Ende des russischen Kriegs gegen die Ukraine. Die USA und Europa seien in ihrer Position wieder geeint. Nun müsse Russland einer Feuerpause zustimmen, sagte er in den tagesthemen.
tagesthemen: Sie haben heute gemeinsam mit Ihren Amtskollegen aus Frankreich, Polen und Großbritannien mit US-Präsident Donald Trump telefoniert. Ging es dabei - und mit Ihrer Reise nach Kiew - auch darum, Trump eindeutiger auf die Seite der Ukraine zu ziehen?
Friedrich Merz: Wir haben alle in den letzten Tagen mit dem amerikanischen Präsidenten Vorgespräche geführt. Und wir haben dann nach unseren Besprechungen heute gemeinsam mit Donald Trump telefoniert, einfach um ihn zu informieren, was unser Vorschlag ist. Wir sind ja auch sehr weitgehend auf seinen Vorschlag eingegangen. Wir haben das noch mal ausformuliert.
Und wir sind mit der amerikanischen Regierung und dem amerikanischen Präsidenten hier in voller Übereinstimmung, was die Forderung nach einem 30-tägigen bedingungslosen Waffenstillstand an die Adresse Russlands betrifft. Das ist eine gute gemeinsame diplomatische Initiative.
"Dann machen wir doch aus drei Tagen 30 Tage"
tagesthemen: Sie wollen dabei den Druck auf Wladimir Putin erhöhen, um diese 30-tägige Waffenruhe zu erreichen, die ab Montag gelten soll. Aber seit mehr als drei Jahren ist Putin Druck von außen offenbar egal. Warum sollte das diesmal anders sein?
Merz: Putin hat ja zunächst einmal vom 9. Mai an - der in Moskau als der Jahrestag des Kriegsendes gefeiert wird - eine dreitägige Waffenruhe von sich aus angeboten. Wir haben dann von uns aus dieses Angebot angenommen und gesagt: Dann machen wir doch aus drei Tagen 30 Tage. Diese sollen dann von Montag an weiter gelten, um Friedensverhandlungen vorzubereiten und die Zeit zu haben, das Format dafür zu bestimmen.
Das war eine gemeinsame Idee, die wir mit Präsident Wolodymyr Selenskyj besprochen haben. Deswegen haben wir verabredet, dass wir heute gemeinsam hier in Kiew sind, und uns auch noch einmal im Kreis der sogenannten "Koalition der Willigen" beraten.
Das war eine Videokonferenz praktisch um die ganze Welt, denn es sind ja auch etwa Neuseeland, Island und viele andere Länder auch außerhalb der Europäischen Union dabei. Und das ist eine gute Initiative, die jetzt zur richtigen Zeit kommt. Denn dieser Krieg muss aufhören. Und ich glaube, es gibt jetzt eine kleine Chance.
Angebot - und Sanktionsdrohungen
tagesthemen: Aber nur, weil da eine breite Geschlossenheit entsteht: Warum sollte Putin diesmal anders reagieren als bislang?
Merz: Weil Putin die Aussichtslosigkeit einer Fortsetzung dieses Krieges erkennen muss. Denn wir haben ja nicht nur dieses Angebot gemacht, sondern wir haben es auch mit einer ganz klaren Ankündigung verbunden, die da lautet: Wenn er sich auf dieses Angebot nicht einlässt, dann wird die Ukraine nicht nur weiter unterstützt, dann wird es auch ein weiteres Sanktionspaket geben. Das ist in der Europäischen Union bereits in Vorbereitung.
Ich war ja gestern noch in Brüssel, habe auch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsident António Costa und der Parlamentspräsidentin Roberta Metsola über diese Themen gesprochen.
Wir sind hier sehr geschlossen und Putin muss wissen, dass es keinen Sinn macht, den Versuch zu unternehmen, Europa, den Westen auseinanderzudividieren. Und: Da gehört Amerika dazu. Und Trump ist hier voll mit uns zusammen auf diesem Weg, den wir jetzt gemeinsam gehen wollen.
tagesthemen: Eine massivere - auch militärische - Unterstützung der Ukraine soll es geben, falls Putin das Ganze ablehnt. Bedeutet das, die Ukraine bekäme dann auch die deutschen "Taurus"-Marschflugkörper, was die bisherige Bundesregierung ja immer abgelehnt hatte?
Merz: Ich werde alle diese Entscheidungen zunächst einmal im deutschen Kabinett besprechen und anschließend mit den europäischen Partnern abstimmen. Und wir werden hier nur gemeinsam vorgehen. Und auch das muss Putin wissen: Wir werden die Ukraine militärisch so unterstützen, dass sie die Chance hat, diese Aggression weiter abzuwehren. Und da wird Deutschland nicht zurückstehen.
Russland muss nun "den ersten Schritt gehen"
tagesthemen: Was die Ukraine auch unbedingt haben möchte, um an einen dauerhaften Frieden überhaupt glauben zu können, sind ja Sicherheitsgarantien. Von den USA kamen da bislang keine wirklich belastbaren. Können Sie und Ihre europäischen Amtskollegen diese ausreichend geben?
Merz: Das kommt sehr darauf an, wie denn dann ein Friedensabkommen mit Russland aussieht. Je klarer Russland sich dazu bekennt, auch die staatliche Souveränität der Ukraine anzuerkennen, je weniger ist davon notwendig. Aber die Ukraine muss verteidigungsfähig bleiben. Die Ukraine soll auch Mitglied der Europäischen Union werden. Insofern werden wir dafür viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte auch gemeinsame Verteidigungsanstrengungen unternehmen müssen.
Aber es liegt jetzt zunächst einmal an Russland, den ersten Schritt zu gehen. Russland hat diesen Krieg begonnen, und Russland muss auch ein klares Signal geben, dass es bereit ist, diesen Krieg zu beenden. Und das werden wir jetzt in den nächsten Tagen, vielleicht in den nächsten 30 Tagen sehen. Das ist die Initiative, die von diesem Wochenende ausgeht.
Das Interview führte Ingo Zamperoni. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert.