
Vorstoß zu Außenpolitik Die Zerrissenheit der SPD
Mehr Diplomatie und weniger Waffen - gerade in der Auseinandersetzung mit Russland: Kurz vor dem Parteitag treten prominente SPD-Politiker eine alte Debatte neu los. Der Beitrag zeigt, wie zerrissen die SPD in dieser Frage ist.
Der Zeitpunkt ist nicht zufällig. Ende Juni will die SPD auf einem Parteitag eine neue Parteispitze wählen. Mindestens genauso wichtig: Die Genossen wollen im gleichen Atemzug über den Weg zu einem neuen Parteiprogramm beraten, nach dem Debakel bei der Bundestagswahl.
Es geht also nicht nur um die Parteiführung, sondern auch um den künftigen Kurs der SPD. Das "Manifest" dürfte da für reichlich Unruhe innerhalb der Partei sorgen.
Unterzeichnet haben das Papier unter anderen Abgeordnete wie Ralf Stegner, der frühere Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans sowie Ex-Bundesfinanzminister Hans Eichel. Sie fordern eine Kehrtwende in der Außenpolitik, eine Abkehr von der Aufrüstungspolitik und direkte diplomatische Gespräche mit Russland. Damit widersprechen sie ganz grundsätzlich der Linie der SPD innerhalb der Koalition mit der CDU/CSU und befeuern die Debatte um die Ausrichtung der Partei.
Intensive Debatten in der SPD
Die Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken äußern sich nicht zu dem Vorstoß. Fraktionschef Matthias Miersch verweist darauf, dass die SPD immer eine Partei war, "in der über Außen- und Sicherheitspolitik intensiv debattiert wird". Gleichzeitig betont er die Bedeutung der Zeitenwende, von der Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 sprach. "Die SPD-Fraktion steht hinter diesem Kurs", so Miersch. "Wir erleben eine reale Bedrohungslage, auf die wir mit klarer politischer Haltung und massiven Investitionen in unsere Verteidigungsfähigkeit reagieren."
Genau darin sehen die Unterzeichner des Papiers ein Problem. Sie befürchten ein ungebremstes Wettrüsten. Statt Waffen wollen sie Verhandlungen mit Russland. Das Motto: Sicherheit für alle Seiten.
In der SPD gibt es traditionell einen meinungsstarken Flügel, der sich für Friedenspolitik am Verhandlungstisch einsetzt. Dass der russische Präsident Wladimir Putin allerdings bisher kein Interesse an einem solchen Waffenstillstand zeigt, wird in dem Papier nicht erwähnt. Genauso wenig das folgenlose Telefonat des damaligen Bundeskanzlers Olaf Scholz im November mit Putin. Oder dass Russlands Präsident zuletzt immer wieder zeigte, wie wenig er von diplomatischen Vermittlungsversuchen unter anderem von US-Präsident Donald Trump hält. Putin bleibt bei seinen Maximalforderungen und verstärkt zugleich seine Angriffe auf die Ukraine, auch auf zivile Einrichtungen.
Oder, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) es formuliert: "Verhandlungen bricht er ab. Und wenn er sie führt, bombardiert er gleichzeitig mit noch größerer Härte und Brutalität die Städte in der Ukraine".
Pistorius über Putins Strategie
Wenig überraschend kritisiert Pistorius das "Manifest" daher scharf: "Dieses Papier ist Realitätsverweigerung. Es missbraucht den Wunsch der Menschen in unserem Land nach Ende des furchtbaren Krieges in der Ukraine. Nach Frieden." Mit Putin können man nur aus einer Position der Stärke verhandeln. "Das ist im Übrigen auch die Politik Willy Brandts gewesen - unter dessen Regierung der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt deutlich höher war als heute: Annäherung und Verhandlungen auf Augenhöhe. Aber keine Unterwerfung."
Mit Ralf Stegner ist zudem ein prominenter SPD-Politiker unter den Mitunterzeichnern, der zuletzt Schlagzeilen gemacht hat, weil er zusammen mit ehemaligen Politikern nach Aserbaidschan zu Gesprächen mit russischen Vertretern gereist ist. Laut Recherchen des ARD-Magazins Kontraste waren unter anderem der ehemalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) und der frühere brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) dabei.
Nach dem Treffen im April, an dem auch der frühere russische Ministerpräsident Viktor Subkow teilgenommen haben soll, erntete Stegner in Deutschland scharfe Kritik. Der SPD-Abgeordnete erklärte anschließend, es sei nicht um Geheimverhandlungen gegangen. "Es ist doch wichtig, dass man überhaupt noch Gesprächskontakte hat.", so Stegner. Gar keine Kontakte zu haben, heiße auch, gar keinen Einfluss zu haben.
Dass Ralf Stegner und SPD-Größen wie Matthias Platzeck und Ex-Kanzler Gerhard Schröder Kontakte zu Russland pflegen, bringt die Partei regelmäßig in den Verdacht einer allzu großen Nähe.
Ebenso wenig wie die neu entfachte Debatte dürfte der SPD-Parteispitze gefallen, dass die "Manifest"-Initiatoren für ihren Vorstoß Beifall ausgerechnet aus den Reihen der AfD bekommen. AfD-Außenpolitiker Markus Frohnmaier sieht darin gar einen Schritt von Teilen der SPD auf den außenpolitischen Kurs der AfD zu. Davon kann freilich keine Rede sein.
Kritik aus den eigenen Reihen
Dass das Positionspapier schon gar nicht die Haltung der gesamten SPD widerspiegelt, zeigen die unmittelbaren und durchaus harschen Reaktionen. "Jetzt gerade? WTF?", fragte der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Fiedler auf der Plattform X. "Zusammenarbeit mit einem Kriegsverbrecher, der sich schon für die nächsten Ziele präpariert? Gute Nacht!"
Der ehemalige Abgeordnete Michael Roth kritisierte ebenfalls auf X: "Dieses "Manifest" ist kein spannender Debattenbeitrag, sondern eine weinerliche Melange aus Rechthaberei, Geschichtsklitterung und intellektueller Wohlstandsverwahrlosung." Der außenpolitische Sprecher Adis Ahmetovic sprach von einem "inhaltlich in weiten Teilen fragwürdigen Papier".
Auf dem Parteitag dürfte es hoch hergehen
Es deutet also alles darauf hin, dass es beim Bundesparteitag der SPD hoch hergehen könnte. Auch weil kurz zuvor der NATO-Gipfel ansteht, durch den die Debatte weiter Nahrung bekommen dürfte. Das Verteidigungsbündnis berät dann über seine angepassten Fähigkeitsziele angesichts der veränderten geopolitischen Lage und der Bedrohung speziell durch Russland. Im Fokus dabei: die Ausgaben der Mitgliedsstaaten für Sicherheit und Verteidigung, für Material und Personal.
Die Reform der Schuldenbremse erlaubt Deutschland Verteidigungsausgaben praktisch in unbegrenzter Höhe. Es dürfte niemand überraschen: auch das sehen die "Manifest"-Verfasser kritisch.