Israelischer Panzer im Gazastreifen

Lage im Gazastreifen EU stellt Abkommen mit Israel infrage

Stand: 21.05.2025 00:02 Uhr

Laut EU-Chefdiplomatin Kallas will eine "starke Mehrheit" der Außenminister das Partnerschaftsabkommen der EU mit Israel überprüfen. Grund ist die Lage im Gazastreifen - dort warten erste Hilfslieferungen auf ihre Verteilung.

Angesichts der Lage im Gazastreifen stellt die EU ihr Partnerschaftsabkommen mit Israel infrage. Nach Angaben von EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas sprach sich bei einem Außenministertreffen in Brüssel eine "starke Mehrheit" dafür aus, zu überprüfen, ob Israel sich noch an die Grundprinzipien des im Jahr 2000 in Kraft getretenen Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel hält.

Zu den Grundprinzipien gehört, dass die Beziehungen zwischen den Vertragsparteien auch auf der Achtung der Menschenrechte beruhen. Unter anderem aus den Niederlanden wird Israel vorgeworfen, dieses Grundprinzip zu verletzen.

Deutschland gehörte bei dem Ministertreffen nach Angaben von Diplomaten zu den Ländern, die sich gegen eine Überprüfung aussprachen. Die Bundesregierung argumentiert unter anderem, dass sie die bestehenden Gesprächskanäle zu Israel nicht gefährden will.

Kallas: Israels Kursänderung nicht ausreichend

Hintergrund ist insbesondere, dass das Land seit Anfang März kaum noch Lieferungen von Hilfsgütern in den Gazastreifen lässt, in dem rund zwei Millionen Palästinenser leben. Israel begründete sein Vorgehen damit, dass die islamistischen Hamas von den Hilfsgüter-Lieferungen profitiere.

"Die Situation in Gaza ist katastrophal", sagte Kallas in Brüssel. Die Hilfsgüter, die Israel zuletzt wieder in das Gebiet gelassen habe, seien zu begrüßen, aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Solange keine Überprüfung der israelischen Vertragstreue stattgefunden hat, wollten die Niederlande einer derzeit geplanten Verlängerung der Geltungsdauer eines EU-Israel-Aktionsplans um zwei Jahre nicht zustimmen. Dieser fördert nach EU-Angaben die Integration Israels in europäische Politik sowie in Programme und ist eine Grundlage für die Fortsetzung der Zusammenarbeit zwischen den beiden Vertragsparteien.

Kein Zeitplan für Überprüfung

Kallas sagte nach dem EU-Außenministertreffen in Brüssel, dass es keinen Zeitplan für die beschlossene Überprüfung gebe. Während das Verfahren in Gang sei, hoffe man darauf, dass Israel die Blockade der Hilfslieferungen beenden werde.

Die EU-Staaten würden ein starkes Zeichen senden wollen, dass das Leid der Zivilbevölkerung ein Ende haben müsse. Intensive Diskussionen über das Partnerschaftsabkommen mit Israel hatte es in der EU bereits im vergangenen Jahr gegeben. Sie waren von Spanien und Irland ausgegangen.

Scharfe Kritik aus Israel

Israel kritisierte die Entscheidung. Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums warnte, die Kritik an Israel werde die Position der Hamas in den Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg weiter verhärten. Die Hamas habe Israel den Krieg aufgezwungen. 

Lob des "längst überfälligen und notwendigen" Schritts kam vom Außenministerium der gemäßigten Palästinensische Autonomiebehörde (PA) in Ramallah. Die Behörde wirft Israel unter anderem schwerwiegende Verstöße gegen die Menschenrechte in den Palästinensergebieten vor. Die PA wird von der Fatah dominiert. Die Fatah und die Hamas sind die beiden größten Palästinenserorganisationen - und erbitterte Rivalen. 

Hilfslieferungen im Gazastreifen wohl noch nicht verteilt

Am zweiten Tag nach Ende der israelischen Blockade für Hilfslieferungen für den Gazastreifen sind nach Angaben Israels 93 Lastwagen mit Gütern in das Gebiet gebracht worden. Die humanitäre Hilfe umfasse Mehl für Bäckereien, Babynahrung, medizinische Ausrüstung und Medikamente, teilte die für Palästinenserangelegenheiten zuständige Behörde Cogat am Abend mit.

Israels Armee unternehme "alle Anstrengungen, um sicherzustellen, dass die Hilfsgüter nicht in die Hände der Terrororganisation Hamas gelangen", hieß es in einer Mitteilung weiter.

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind die Hilfslieferungen bislang jedoch nicht bei der Bevölkerung angekommen. UN-Sprecher Stéphane Dujarric sagte, die Hilfen hätten zwar das Küstengebiet erreicht. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen seien aber nicht in der Lage gewesen, sie an Verteilpunkte zu bringen.

Das israelische Militär habe sie gezwungen, die Waren auf andere Fahrzeuge umzuladen. Dies habe zu lange gedauert, um die Hilfsgüter an die Orte zu bringen, an denen sie am dringendsten benötigt würden.

Israel kündigt Dutzende Hilfstransporter pro Tag an

Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums hatte zuvor angekündigt, dass Israel in den kommenden Tagen täglich die Einfahrt Dutzender Hilfstransporter in den Gazastreifen ermöglichen werde. Am Montag kam erstmals seit fast drei Monaten wieder humanitäre Hilfe in das umkämpfte Gebiet, israelischen Angaben zufolge aber zunächst nur fünf Lastwagen. 

Die UN und Hilfsorganisationen warnten erneut vor einer Hungersnot in dem Küstenstreifen. Seit Anfang März hatte Israel keine Hilfslieferungen mehr erlaubt. Das Land wirft der Hamas vor, die Hilfsgüter weiterzuverkaufen, um ihre Kämpfer und Waffen zu finanzieren.

Israel zieht Verhandlungsführer aus Katar ab

Aus Mangel an Fortschritten bei den Verhandlungen um eine Waffenruhe im Krieg gegen die Terrorgruppe Hamas im Gazastreifen will Israel seine führenden Unterhändler aus Katar abziehen. "Nach etwa einer Woche intensiver Gespräche in Doha wird das ranghohe Verhandlungsteam zu Beratungen nach Israel zurückkehren, während die Vertreter der Arbeitsebene vorerst in Doha bleiben", teilte das Büro des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu mit.

Israel stimme einem Abkommen zu, wie es der US-Sondergesandte Steve Witkoff in der Vergangenheit vorgeschlagen hat, hieß es weiter. Der Entwurf sieht die Freilassung von Entführten sowie eine längere Waffenruhe vor. Die Hamas lehne den Plan aber weiterhin ab, erklärte Netanjahus Büro. Die Islamisten fordern als Bedingung für eine Freilassung der verbliebenen Geiseln ein Ende des Gaza-Kriegs.

Auch der Außenminister des Vermittlers Katar, Mohammed bin Abdulrahman al-Thani, hatte zuvor mitgeteilt, er sehe bei den jüngsten Gesprächen keine Fortschritte. "Die Gesprächsrunden der vergangenen Wochen haben uns leider nirgendwohin geführt", sagte er. Es gebe eine "grundlegende Lücke" zwischen den beiden Konfliktparteien. "Diese Kluft konnten wir nicht überbrücken - trotz verschiedener Vorschläge."

Kämpfe gehen unvermindert weiter

Unterdessen gehen die Angriffe der israelischen Armee im Gazastreifen unvermindert weiter. Nach palästinensischen Angaben sind seit der Nacht mindestens 60 Menschen in dem umkämpften Küstengebiet bei Angriffen Israels getötet worden.

Israels Militär habe in verschiedenen Gebieten des Gazastreifens Angriffe geflogen, teilte die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa mit. Zwölf Menschen sind dem Bericht zufolge in der Stadt Deir al-Balah im Zentrum des Gazastreifens getötet worden. Weitere Tote habe es in Chan Junis im Süden des Küstengebiets, in Nuseirat sowie in der Nähe der Stadt Gaza gegeben, meldete Wafa unter Berufung auf medizinische Kreise im Gazastreifen. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Israels Armee erklärte, im Laufe des vergangenen Tages mehr als 100 Ziele im gesamten Gazastreifen angegriffen zu haben. Das Militär sprach von "Terrorzielen". Darunter seien Waffenlager sowie von Terroristen genutzte Militäreinrichtungen gewesen. Auch unterirdische Infrastruktur sowie Beobachtungseinrichtungen seien angegriffen worden, hieß es. Auch diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Zahlreiche Tote täglich seit neuer Offensive

Seit Tagen fliegt die israelische Luftwaffe massive Angriffe auf Ziele im Gazastreifen. Inzwischen sind dort auch Bodentruppen im Einsatz. In den vergangenen Tagen waren aus dem Küstengebiet täglich Tote gemeldet worden.

Das erklärte Ziel der israelischen Regierung ist es, die islamistische Terrororganisation Hamas vollends zu zerschlagen sowie die von Extremisten noch immer festgehaltenen Geiseln zu befreien. Der Netanjahu bestätigte zudem öffentlich Pläne, dass seine Regierung die Einnahme des gesamten Gazastreifens verfolgt. 

Internationale Kritik nimmt zu

Im Zuge der Offensive mit dem Namen "Gideon's Chariots" nimmt die internationale Kritik an dem Vorgehen Israels weiter zu. Die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Großbritannien und Kanada etwa hatten Israels Vorgehen im Gazastreifen als "völlig unverhältnismäßige" Eskalation kritisiert und mit "gezielten Sanktionen" gedroht.

Die britische Regierung kündigte wegen der israelischen Militäroffensive im Gazastreifen die Aussetzung neuer Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Israel an. Zudem würden neue Sanktionen verhängt, die sich gegen israelische Siedlungen im Westjordanland richteten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 20. Mai 2025 um 10:11 Uhr.