Luftbild des zerstörten Beit Lahiya
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Israels Pläne im Gazastreifen "Wir werden Gaza besetzen, um zu bleiben"

Stand: 06.05.2025 10:54 Uhr

Israel will den Gazastreifen wieder besetzen - zwanzig Jahre nach dem Abzug, der für Israelis und Palästinenser eine Zäsur markierte. Radikale Siedler hoffen, dass nun ihre Zeit gekommen ist. Ein Rückblick.

Mitte August 2005: Israels Premierminister Ariel Sharon verkündet die Entscheidung, die damals wie kaum keine zweite die israelische Gesellschaft polarisiert: Nach fast vierzigjähriger Besatzung des palästinensischen Küstenstreifens lässt der Regierungschef nach heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen die 21 israelischen Siedlungen im Gazastreifen komplett räumen, Häuser und Anlagen zerstören, und die Armee abziehen.

"Bürger Israels, der Tag ist gekommen", sagt er. "Wir beginnen den schmerzhaften, schweren Schritt der Räumung unserer Siedlungen aus dem Gaza-Landstrich und dem nördlichen Samaria.“ 

Mehrheit befürwortete Aufgabe der Siedlungen

Der Sommer 2005, der einseitige Abzug Israels aus dem Gazastreifen und aus vier abgelegenen Siedlungen im Norden des besetzten Westjordanlandes, markiert für Israelis und Palästinenser eine tiefe Zäsur: Ein Großteil der Israelis befürwortet damals die komplette Aufgabe der Siedlungen, hofft, mit dem anschließend von Israel und Ägypten abgeriegelten Küstengebiet nichts mehr zu tun zu haben. Die See-, Luft- und Landzugänge zum Gazastreifen kontrollieren Israel und Ägypten.

Bis zum Sieg Israels im Sechs-Tage-Krieg von 1967 hatte das dicht bevölkerte palästinensische Gebiet unter ägyptischer Verwaltung gestanden. Eine Minderheit der Israelis, zu denen auch 2005 der damalige Finanzminister und heutige Regierungschef Benjamin Netanjahu gehört, betrachtet den Abzug als strategischen und ideologischen Kardinalfehler.

Sie fühlt sich bestätigt, als im Januar 2006 die Hamas bei den ersten und letzten Parlamentswahlen mit 44 Prozent der Stimmen die Mehrheit erhält und ein Jahr später in einem blutigen kurzen Bürgerkrieg die säkuläre Fatah-Bewegung des 2004 verstorbenen PLO-Chefs Jassir Arafat brutal aus dem Gazastreifen vertreibt.

Herrschaft der Hamas und der 7.Oktober

Die Islamisten ziehen eine gnadenlos rigide Herrschaft auf, reagieren auf die ersten Blockaden des Gazastreifens durch Sharon-Nachfolger Ehud Olmert mit einem Überfall auf israelische Soldaten. Das israelische Militär schlägt zurück, im Sommer 2006. Bis zum Terrorüberfall der Hamas vom 7. Oktober 2023 werden die militärischen Konfrontationen immer heftiger. 

Mit Kriegsbeginn erhalten die Anhänger der extremen politischen Rechten, die aktuell im Kabinett sitzen - Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich - Auftrieb. Sie sehen nun ihre Chance gekommen, den "Kardinalfehler" von 2005 rückgängig zu machen.

Teile der Netanjahu-Regierung sind Siedler

Im Oktober 2024 formuliert es Finanzminister Smotrich, der Teil der Siedlerbewegung ist, ganz deutlich:  "In diesem Jahr werden wir die schreckliche Sünde der Vertreibung aus dem Gazastreifen korrigieren. Wir mussten deswegen hohe Preise zahlen und sagen heute dem Vater im Himmel: 'Wir haben genug gezahlt.' Wir werden die Bedrohung beseitigen und den Gazastreifen aufs Neue mit einer jüdischen, mutigen, zionistischen und heldenhaften Bewegung besiedeln."

Unterstützt auch von Parlamentsabgeordneten der Likud-Partei von Premier Netanjahu versammeln sich Siedlerfamilien zum Laubhüttenfest 2024 am Gazastreifen, zeigen ihren Kindern auf Karten, wo die geräumten Siedlungen einmal standen, die es bald wieder zu besiedeln gelte.

"Sie warten nur auf den richtigen Moment"

Ajelet Schlissel, Aktivistin der Siedlerbewegung sagt: "Die Familien, die hierhergekommen sind, gehören zum Siedlerkern, sie sind bereit neue Siedlungen zu gründen. Sie warten nur auf den richtigen Moment. So war es in Judäa und Samaria (gemeint ist das Westjordanland, Anmerkung der Redaktion) und so war es auch im Gazastreifen. Sie üben hier die Neubesiedlung."

Dass nun das israelische Sicherheitskabinett entschieden hat, den gesamten Gazastreifen Schritt für Schritt zu besetzen, einen Großteil der palästinensischen Bevölkerung in den Süden des zerstörten Küstenstreifen zu vertreiben, solle - so sagt es gestern Finanzminister Smotrich - auf Dauer sein. "Wir werden Gaza besetzen, um zu bleiben. Es wird kein Rein- und wieder Rausgehen geben."

Clemens Verenkotte, ARD Tel Aviv, tagesschau, 06.05.2025 08:56 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 06. Mai 2025 um 11:09 Uhr.