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Im Verteidigungsfall Weniger Zivilschutz-Helfer als bislang angenommen?

Stand: 10.06.2025 15:02 Uhr

Lange interessierte sich kaum jemand für den Zivilschutz, mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich das geändert. Öffentlich wird nun viel über Bunker und den Zivilschutz gesprochen. Doch gibt es genug Helfer?

Von Alexa Höber und Nils Naber, NDR

Nachdem das Ahrtal vor vier Jahren durch Flutwellen verwüstet wurde, waren sie da. Katastrophenschützer aus verschiedenen Teilen der Bundesrepublik. Auch Mitglieder des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) aus Osnabrück waren vor Ort, um "die Kräfte vor Ort abzulösen", erklärt der niedersächsische ASB-Vorsitzende Johannes Gust.

Katastrophenschutz ist Ländersache. Reichen die Kräfte vor Ort in einem Fall nicht aus, dann kann Unterstützung aus anderen Bundesländern kommen, so wie im Ahrtal. Der Katastrophenschutz wird in Deutschland zum Großteil von Ehrenamtlichen getragen, die Mitglieder bei Hilfsorganisationen wie dem ASB, beim Technischen Hilfswerk oder bei den Feuerwehren sind.

Aus Katastrophenhelfern werden Zivilschützer

Wenn allerdings der Verteidigungsfall eintreten sollte, dann würden die Katastrophenhelfer zu Zivilschützern. "Dann würde der Bund den Einsatz organisieren", erklärt Johannes Gust dem NDR-Magazin Panorama 3. Doch in diesem Fall, der wahrscheinlich das ganze Land betreffen würde, dürfte es schwer werden, Personal aus einem Landesteil zur Unterstützung in einer anderen Region anzufordern. Vor dem Hintergrund ist es nicht unerheblich, wie viele Menschen tatsächlich zur Verfügung stehen.

Laut Statistik des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) sind aktuell 1,76 Millionen Menschen ehrenamtlich im Zivil- und Katastrophenschutz engagiert. Dabei handele es sich allerdings nur um eine Schätzgröße oder eine "Geisterzahl", meint Martin Voss. Aus der Sicht des Katastrophenforschers von der FU Berlin sind besonders sogenannte Doppelzählungen ein Problem. Die können zustande kommen, wenn ein Ehrenamtlicher beispielsweise Mitglied in einer Freiwilligen Feuerwehr und zugleich in einer Hilfsorganisation ist. In der Statistik wird er dann wahrscheinlich doppelt erfasst.

Nach einer Recherche des NDR kann derzeit kein Bundesland ausschließen, dass es zu problematischen Doppelzählungen kommt. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch, ob ehrenamtliche Helfer beruflich im Bereich kritische Infrastruktur beschäftigt sind, beispielsweise in einem Krankenhaus, oder sich gleichzeitig als Reservisten bei der Bundeswehr engagieren. Auch das würde den Einsatz im Zivilschutzfall infrage stellen. Ein genauer Überblick dazu liegt laut den Recherchen nirgendwo auf Landesebene vor. Das kann auch damit zu tun haben, dass der Zivilschutz über Jahrzehnte im Wesentlichen nur auf dem Papier existierte.

Einige Bundesländer wollen eine Lösung

Seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und einer Neueinschätzung der militärischen Bedrohungslage hat sich der Blick auf den Zivilschutz allerdings verändert. In Schleswig-Holstein wurde deshalb eine Taskforce eingerichtet. Diese soll nun auch das Problem mit den Doppelzählungen angehen, sagt Magdalena Finke (CDU), Staatssekretärin im Innenministerium. "Diese Task Force wird eine systematische Abfrage in den Hilfsorganisationen starten", um genaue Zahlen zu erhalten.

Auch Bayern, Berlin und Bremen wollen die Datenlücke offenbar konkret schließen. Viele andere Bundesländer verweisen dagegen auf Probleme mit dem Datenschutz. Laut hessischem Innenministerium "befinden sich Bund und Länder derzeit im Austausch" dazu, wie die Doppelzählungen "zuverlässig und datenschutzkonform" erfasst werden können.

Landesweite Erfassung unnötig?

Einige Bundesländer sehen die Verantwortung für das Thema bei den unteren Katastrophenschutzbehörden in den Landkreisen und kreisfreien Städten sowie bei Hilfsorganisationen vor Ort. Der zuständige Referatsleiter im niedersächsischen Innenministerium, Volker Brengelmann, meint beispielsweise, momentan gebe es keinen Grund, auf Landesebene eine genauere Erfassung von Katastrophen- und Zivilschutzkräften zu veranlassen. Aus seiner Sicht ist es entscheidend, ob die Katastrophenschutzeinheiten gut mit Personal ausgestattet sind. Das müssten die Verantwortlichen vor Ort in den Städten und Gemeinden gewährleisten. "Von daher bin ich der Überzeugung, dass wir mit unserem Modell, auf der örtlichen Ebene zu erfassen, richtig liegen".

Eine landesweite Erfassung sorge nicht nur für einen unnötigen Verwaltungsaufwand, sondern sei auch unnötig, weil im konkreten Zivilschutzfall auch aus privaten Gründen viele Helfer nicht einsetzbar wären, beispielsweise weil sie sich um Angehörige kümmern müssten, sagt Volker Brengelmann.

Katastrophenforscher Martin Voss hält dem entgegen, dass jeder Versuch, die Zahl der Zivilschützer genauer zu erfassen im Ernstfall Zeit spare. Es mache keinen Sinn, wenn Abstimmungsprozesse erst dann erfolgten, "wenn es hart auf hart kommt."

Hilfsorganisationen haben auch keine genauen Daten

Bislang sind die Hilfsorganisationen allerdings auch aufgrund des Datenschutzes darauf angewiesen, dass alle Zivil- und Katastrophenschützer unaufgefordert mitteilen, wo sie noch zusätzlich Mitglied sind, moniert Johannes Gust vom ASB. "Es gibt keine Datenbank, wo man das nachschauen kann." Bundesweit geht der ASB davon aus, dass ungefähr zwanzig Prozent der eigenen Einsatzkräfte auch in anderen Organisationen tätig sind oder durch ihren Hauptberuf im Zivilschutzfall nicht zur Verfügung stehen könnten.

Andere Hilfsorganisationen wie der Malteser-Hilfsdienst, die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft oder die Johanniter-Unfallhilfe können auf Bundesebene keine Angaben zu möglichen Doppelzählungen von Einsatzkräften machen. Auch beim Technischen Hilfswerk liegen keine Zahlen dazu vor. Immerhin will das Deutsche Rote Kreuz "eine Erhebung auf der Grundlage freiwilliger Angaben" aufsetzen. Ähnliches plant offenbar der Deutsche Feuerwehrverband, wobei bislang offen zu sein scheint, wie die Abfrage umgesetzt werden soll.