
ARD-Experte zur AfD-Einstufung "Die Brandmauer-Debatte wird neue Nahrung bekommen"
Der Verfassungsschutz begründet die Hochstufung der AfD laut ARD-Sicherheitsexperte Michael Götschenberg mit dem Umgang der AfD mit Migranten und Geflüchteten. Die Entscheidung setze andere Parteien unter Zugzwang - insbesondere die Union.
tagesschau24: Die AfD ist gesichert rechtsextremistisch. Zu dieser Neubewertung für die gesamte Partei kommt das Bundesamt für Verfassungsschutz. Woran macht denn der Verfassungsschutz seine Entscheidung fest?
Michael Götschenberg: Am Ende ist es so, dass die AfD zuletzt als extremistischer Verdachtsfall vom Verfassungsschutz beobachtet war. Man hat ein umfangreiches Gutachten angefertigt, und dann muss man eben nach einer Weile sagen: Hat sich der Verdacht nun bestätigt oder nicht?
Wenn er sich bestätigt hat, muss man die Organisation, die man beobachtet, als erwiesen extremistisch einstufen. Das ist die höchste Bewertungsstufe, die der Verfassungsschutz hat. Oder man muss eben sagen: Der Verdacht hat sich nicht bestätigt. Und jetzt sind wir an dem Punkt, dass man sich sicher ist, dass man es bei dieser Partei mit einer extremistischen Vereinigung zu tun hat.
Man hat ein neues Gutachten geschrieben, mehr als 1.000 Seiten, in dem zahlreiche Belege aufgeführt werden, mit denen man die Richtigkeit dieser Einschätzung beweisen will. Und da geht es nach meinen Informationen insbesondere um das Thema Menschenwürde, um den Umgang mit Geflüchteten, um die systematische Ausgrenzung gegenüber Menschen mit Migrationsgeschichte.
"Das ist gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung"
tagesschau24: Wie muss man sich das ganz konkret vorstellen? Wie geht der Verfassungsschutz vor?
Götschenberg: Beobachten heißt, dass man sich genau anschaut: Wie äußern sich die Funktionäre, was sagen sie öffentlich? Man darf beim Verdachtsfall auch nachrichtendienstliche Mittel anwenden. Das heißt, man darf Quellen anwerben, Spitzel anwerben innerhalb der Organisation, um mitzukriegen, was hinter den Kulissen gesprochen wird.
All das, was man dann an Erkenntnissen gewinnt, sowohl den öffentlichen als auch den nicht-öffentlichen, wird dann in diesem Gutachten zusammengeführt und bewertet. Und im Endeffekt geht es aber natürlich vor allem darum, wie die AfD sich öffentlich äußert, wie sie sich zu bestimmten Themen positioniert.
Und da sagt man eben: Das, was wir von der AfD hören, ist gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet. Das ist nach Einschätzung des Verfassungsschutzes verfassungsfeindlich.
"Grundsätzlich ändert sich durch die Heraufstufung nichts"
tagesschau24: Darf der Verfassungsschutz die AfD jetzt noch enger beobachten?
Götschenberg: Grundsätzlich ändert sich an der Beobachtung durch diese Heraufstufung nichts. Der Verfassungsschutz durfte auch bisher schon das gesamte Instrumentarium anwenden, was ihm als Nachrichtendienst zur Verfügung steht: menschliche Quellen anwerben, es sind Finanzermittlungen erlaubt, auch Kommunikationsüberwachungsmaßnahmen sind möglich.
Allerdings immer mit dem Vorbehalt, dass jede einzelne Maßnahme von der sogenannten G10-Kommission, die für den Schutz der Grundrechte im Bundestag verantwortlich ist, genehmigt werden muss, sodass man zu diesem Instrument nach meiner Einschätzung eher wenig greift. Aber grundsätzlich ist es so, dass alles, was bisher schon an Mitteln erlaubt war, die bei der Beobachtung zum Einsatz kommen können, jetzt einfach nur fortgeführt wird.
"Es gibt ein dreistufiges Verfahren"
tagesschau24: Und was bedeutet die Entscheidung für die AfD?
Götschenberg: Für die AfD bedeutet es, dass sie nach Einschätzung des Verfassungsschutzes als insgesamt erwiesen rechtsextremistisch gilt. Sie hat sich gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, gegen diese Einstufungen gewehrt, eigentlich vom ersten Tag an.
Es gibt ein dreistufiges Verfahren: Man ist zunächst Prüffall, dann ist man Verdachtsfall, und dann ist man gegebenenfalls erwiesen extremistisch. Und die AfD ist dagegen immer vor Gericht gezogen, hatte allerdings bisher keinen Erfolg damit.
Bei der Frage, ob diese Einstufung als Verdachtsfall rechtmäßig ist, ist das letztinstanzliche Urteil noch nicht da. Da warten wir noch auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig. Aber die Instanzen davor, das Kölner Verwaltungsgericht, auch das Oberverwaltungsgericht in Münster, haben diese Einschätzung des Verfassungsschutzes bestätigt.
Und im Übrigen haben sie auch den Verfassungsschutz aufgefordert, zeitnah für Klarheit zu sorgen, ob sich denn dieser Verdacht jetzt bestätigt hat oder nicht. Der Vorwurf, man hätte das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig erst abwarten müssen, ist so nicht zutreffend.
"Für die AfD selbst keine unmittelbaren Konsequenzen"
tagesschau24: Was bedeutet denn diese Bewertung durch den Verfassungsschutz nun für den Umgang mit der AfD in der parlamentarischen Demokratie?
Götschenberg: Das ist am Ende die spannende Frage. Zunächst mal hat das für die AfD selbst keine unmittelbaren Konsequenzen. Sie bleibt im Bundestag. Sie ist damit auch nicht verboten. Das ist ein ganz anderes Thema.
Aber die anderen Parteien werden sich natürlich zu dieser Einschätzung verhalten müssen und es wird die eine oder andere Debatte noch mal befeuern.
Beispielsweise die Brandmauer-Debatte innerhalb der CDU wird sicherlich neue Nahrung bekommen: Wie gehen wir mit der AfD um? Plädieren wir dafür, dass man auch im parlamentarischen Alltag die Partei als normale Partei betrachtet oder eben nicht? Und da bin ich gespannt, was das am Ende für Auswirkungen haben wird. Das muss man nun abwarten.
"Das Verbotsverfahren ist eine politische Entscheidung"
tagesschau24: Kommt denn jetzt ein Verbotsverfahren?
Götschenberg: Das ist in der Tat ein anderes Thema. Es ist nicht Sache des Verfassungsschutzes, darüber eine Entscheidung zu treffen. Es ist auch nicht Sache des Verfassungsschutzes, das anzustoßen.
Die Frage der Einleitung eines Verbotsverfahrens ist eine politische Entscheidung. Und ein solcher Antrag kann beim Bundesverfassungsgericht nur durch den Bundestag, den Bundesrat oder die Bundesregierung eingebracht werden.
Es gab im Januar einen Versuch, aus der Mitte des Bundestages einen solchen Verbotsantrag auf den Weg zu bringen. Es fanden sich nicht genug Unterstützer. Darum wurde dieser Versuch dann eingestellt.
Ein Verbotsverfahren ist mit vielen Risiken behaftet. Tatsache ist aber, dass diese Debatte jetzt mit Sicherheit verstärkt in Gang kommen wird. Und das ist am Ende ja auch richtig, dass man das mal zu Ende diskutiert und dazu eine gemeinsame Haltung entwickelt.
Das Gespräch führte Ralph Baudach. Es wurde für die schriftliche Version redigiert.
In einer früheren Version hieß es, dass kein Innenminister ein Verbotsverfahren für einen guten Weg halten würde. Thüringens Innenminister Georg Maier fordert dies aber schon länger. Wir haben das Interview überarbeitet.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen