Ein Mann hält ein Messer in der Hand.
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Gewaltdelikte und Terrorvorwürfe Wenn Kinder zu Tätern werden

Stand: 23.05.2025 12:32 Uhr

Diebstahl, Gewalt oder Terrorverdacht - immer wieder werden auch Kinder zu Tätern. Zuletzt gab es Messerangriffe von 13- beziehungsweise 11-Jährigen. Wie geht das Strafrecht mit Minderjährigen um?

Ab wann können Kinder strafrechtlich belangt werden?

In Deutschland gelten Kinder unter 14 Jahren als nicht strafmündig. Paragraf 19 StGB lautet: "Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist."

Es wird davon ausgegangen, dass Kinder die Folgen ihres Handelns noch nicht ausreichend überblicken. Deshalb werden sie nicht strafrechtlich verfolgt, sie können nicht vor Gericht gestellt und nicht verurteilt werden - auch nicht nach dem Jugendstrafrecht. Dieser Grundsatz gilt "ohne Wenn und Aber", selbst bei schwerwiegenden Vorwürfen wie einem Tötungsdelikt und selbst, wenn ein Kind im Einzelfall bei der Tat die erforderliche Reife schon hat.

Was bedeutet Strafmündigkeit konkret?

Unter Strafmündigkeit versteht man den Zeitpunkt im Leben eines Menschen, ab dem er damit rechnen muss, wegen einer Straftat strafrechtlich verfolgt zu werden. Die einschlägigen Gesetze - das Strafgesetzbuch (StGB) und das Jugendgerichtsgesetz (JGG) - verwenden den Begriff Strafmündigkeit nicht, sondern wählen andere Formulierungen: Das StGB spricht von der "Schuldunfähigkeit des Kindes", das JGG von "strafrechtlicher Verantwortlichkeit" von Jugendlichen.

Heißt das, dass die Polizei gegen Kinder unter 14 Jahren nicht ermittelt? 

Nein. Zwar wird kein formelles Strafverfahren eingeleitet, die Polizei ermittelt jedoch in solchen Fällen ganz normal weiter. Das heißt, Zeugen werden wie sonst üblich befragt und Spuren gesichert, um zu klären, was genau passiert ist - und ob möglicherweise ältere, strafmündige Menschen an der Tat beteiligt waren. Dazu darf das Kind zur Dienststelle mitgenommen und befragt werden. Auch eine Durchsuchung ist möglich. Am Ende der Ermittlungen steht allerdings nicht eine Entscheidung durch die Staatsanwaltschaft dazu, ob beispielsweise Anklage bei Gericht erhoben wird. Das Verfahren wird eingestellt.

Dann gibt es keinerlei Konsequenzen?

Doch. Das zuständige Jugendamt wird in solchen Fällen einbezogen oder auch der sozialpsychiatrische Dienst. Die Polizei kann Empfehlungen aussprechen, welche Maßnahmen aus ihrer Sicht sinnvoll erscheinen. Über Konsequenzen muss dann aber das Jugendamt entscheiden. Bei Straftaten in der Schule ist auch die Schulverwaltung gefragt. 

Welche Maßnahmen sind möglich?

Das hängt stark vom Einzelfall ab. Es geht dabei nicht um Strafe, sondern um Unterstützung. Vielleicht braucht das Kind eine psychiatrische Behandlung, unter Umständen auch in einer geschlossenen Einrichtung.

Denkbar ist auch, dass die Eltern Hilfe bei der Erziehung bekommen. Das Kind kann auch eine Zeit lang in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe, in einem Heim oder bei einer Pflegefamilie untergebracht werden. Für eine Trennung von den Eltern gegen deren Willen sind die rechtlichen Hürden jedoch recht hoch. 

Solche familienrechtlichen Maßnahmen sind dann keine "Strafe durch die Hintertür", um fehlende Sanktionen nach dem Strafrecht zu ersetzen. Sondern eigene Maßnahmen mit eigenen - strengen - Voraussetzungen. Sie dürfen keinesfalls "einfach so" zum Einsatz kommen: Sie müssen im Namen des Kindeswohls erforderlich sein und dürfen nur als "letztes Mittel" angeordnet werden.

Kommt es häufig vor, dass Kinder zu Tätern werden? 

Die Polizeiliche Kriminalstatistik verzeichnet für 2024 einen Anstieg der Gewaltkriminalität bei Minderjährigen. 11,3 Prozent mehr Kinder sind demnach tatverdächtig gewesen sowie 3,8 Prozent mehr Jugendliche.

Bundesweit für Entsetzen sorgte vor zwei Jahren der brutale Tod einer Zwölfjährigen in Freudenberg in Nordrhein-Westfalen, deren Leiche viele Messerstiche aufwies. Zwei Kinder, Mädchen im Alter von damals 12 und 13 Jahren, gestanden die Bluttat. 

Sollte man das Alter der Strafmündigkeit herabsetzen?

Solche Bestrebungen gab es in der Vergangenheit immer mal wieder. Die Befürworter argumentieren, die körperliche Reife junger Leute setze heute eher ein als früher. Gleichzeitig sei die sittlich-charakterliche Reife verzögert. Darauf müsse es eine Reaktion geben. In der Regel geht es dabei um Forderungen, die Strafmündigkeit auf 12 Jahre abzusenken. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hatte sich unlängst dafür ausgesprochen.

Fachleute warnen jedoch: Abschreckung allein hilft wenig. Entscheidend seien Prävention, Bildung und soziale Unterstützung. Auch die frühere Ampel-Regierung hatte einer Absenkung des Strafmündigkeitsalters eine Absage erteilt. Kinder unter 14 Jahren würden zwar strafrechtlich nicht belangt, "aber unsere Rechtsordnung kennt andere Wege, um darauf zu reagieren, etwa das Kinder- und Jugendhilferecht sowie das Familienrecht", sagte der damalige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) der Nachrichtenagentur dpa.

Nach welchen Grundsätzen werden Jugendliche bestraft?

Ab dem 14. und bis zum 18. Geburtstag gilt man nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) als Jugendlicher. In diesem Alter kann man sich strafbar machen. Voraussetzung ist, dass man "zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln." Das JGG spricht hier von "Verantwortungsreife". Ob das so ist, müssen die Gerichte in jedem Einzelfall feststellen.

Was heißt das für die jugendlichen mutmaßlichen Rechtsterroristen?

Nach der bundesweiten Razzia gegen eine mutmaßliche rechte Terrorzelle namens "Letzte Verteidigungswelle" sind alle fünf der jungen Festgenommenen in Untersuchungshaft - sie sind zwischen 14 und 18 Jahren alt. Wegen ihres Alters mussten die Verdächtigen teils von ihren Eltern zur Haftvorführung begleitet werden. Die Bundesanwaltschaft geht im Falle der vier minderjährigen Festgenommenen von einer "Verantwortungsreife" aus. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass sie strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Der Fünfte gilt mit 18 Jahren strafrechtlich als Heranwachsender.

Welche Strafen drohen im Falle einer Verurteilung?

Das Jugendgerichtsgesetz regelt, wie die Justiz mit Straftaten von Jugendlichen umgeht, die zur Tatzeit mindestens 14 Jahre, aber noch nicht 18 Jahre alt waren. Auch Heranwachsende, die zum Zeitpunkt der Tat mindestens 18 Jahre, aber noch nicht 21 Jahre alt sind, fallen teilweise unter diese Regelungen.

Die Strafen, die das Jugendgericht verhängen kann, umfassen zum einen sogenannte Erziehungsmaßregeln wie die Teilnahme an sozialen Trainingskursen beziehungsweise Anti-Aggressions-Trainings oder sogenannte Zuchtmittel wie die Reparatur oder das Ersetzen eines beschädigten Gegenstandes.

Es kann aber auch eine Jugendstrafe von mindestens sechs Monaten bis zu höchstens zehn Jahren verhängt werden. Bei Heranwachsenden, die nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden, können es bis zu 15 Jahre sein.

Wie halten es andere Länder mit der Strafmündigkeit? 

Wie aus einer Aufstellung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags aus dem Jahr 2019 hervorgeht, beginnt in mehr als der Hälfte der EU-Staaten die Strafmündigkeit mit 14 oder 15 Jahren. In Portugal beginnt die Strafmündigkeit erst ab 16 Jahren. In Polen ist man ab 17 strafmündig, für ausgewählte Straftaten wie Mord oder Entführung können aber auch 15-Jährige bestraft werden.

In den Niederlanden liegt die Altersgrenze dagegen bei 12 Jahren. In der Schweiz sind Kinder schon ab dem 10. Geburtstag strafmündig. In den USA ist die Regelung für die Strafmündigkeit nicht einheitlich geregelt. In vielen der Bundesstaaten gibt es kein Mindestalter, andere haben eine Altersgrenze, die je nach Bundesstaat variiert.

Mit Informationen von Michael Nordhardt und Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 02. April 2025 um 11:00 Uhr.