
Ukraine und Russland Gespräche beendet - Austausch von Gefangenen vereinbart
Erstmals seit drei Jahren haben sich Vertreter der Ukraine und Russlands von Angesicht zu Angesicht getroffen - für anderthalb Stunden. Beide Seiten zeigten sich offen, weiterzuverhandeln - und vereinbarten einen Gefangenenaustausch.
Die Gespräche zwischen ukrainischen und russischen Vertretern in Istanbul sind beendet. Die unter türkischer Vermittlung geführten Verhandlungen über ein mögliches Ende des Ukraine-Kriegs dauerten laut dem türkischen Außenministerium rund anderthalb Stunden.
Es waren die ersten direkten Gespräche der Kriegsparteien seit 2022. Die tiefe Kluft zwischen Russland und der Ukraine wurde dabei schnell deutlich. Aus ukrainischen Verhandlungskreisen hieß es, Russlands Forderungen in den Gesprächen seien "realitätsfremd" und gingen weit über alles hinaus, was zuvor besprochen worden sei. Die Forderungen enthielten "inakzeptable und nicht konstruktive Bedingungen".
Die russische Seite äußerte sich im Anschluss zufrieden. Der russische Delegationsleiter Wladimir Medinski sagte, eine Fortsetzung der Verhandlungen sei möglich. Die beiden Delegationen verließen am Nachmittag das Gebäude in Istanbul.
Gefangenenaustausch vereinbart
Ein konkretes Ergebnis gibt es: Die Unterhändler vereinbarten einen großen Austausch von jeweils 1.000 Kriegsgefangenen. Das bestätigten Vertreter beider Delegationen. Es wäre der zahlenmäßig größte Gefangenenaustausch seit Kriegsbeginn.
Themen der Gespräche waren nach Angaben Medinskis zudem eine mögliche Waffenruhe sowie ein mögliches Treffen zwischen Kreml-Chef Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
Der türkische Außenminister Hakan Fidan, der die Gesprächsrunde geleitet hatte, schrieb auf X, beide Seiten hätten grundsätzlich zugestimmt, sich wieder zu treffen. Zudem wollten sie schriftlich festhalten, welche Bedingungen aus ihrer Sicht eine Waffenruhe ermöglichen würden.
Selenskyj bedauert verpasste Chance
Der ukrainische Präsident Selenskyj äußerte sich enttäuscht. Beide Kriegsparteien hätten eine Friedenslösung verpasst. "Wir hatten diese Woche eine echte Chance, uns auf ein Ende des Krieges hinzubewegen - hätte (Wladimir) Putin nicht davor Angst gehabt, in die Türkei zu kommen", schrieb Selenskyj auf der Plattform X vom Rande eines Gipfeltreffens europäischer Staats- und Regierungschefs in Albanien.
Er selbst sei zu einem direkten Treffen mit dem Kremlchef bereit gewesen, um die wichtigsten Fragen auszuräumen. "Er hat aber zu nichts zugestimmt."
Selenskyj forderte zudem mehr internationalen Druck auf Russland. Nach einem Telefonat mit US-Präsident Donald Trump und europäischen Führungspersönlichkeiten - darunter auch Bundeskanzler Friedrich Merz - schrieb er: "Wenn die Russen einen vollständigen und bedingungslosen Waffenstillstand und ein Ende der Tötungen ablehnen, müssen harte Sanktionen folgen. Der Druck auf Russland muss aufrechterhalten werden, bis Russland bereit ist, den Krieg zu beenden."
Putin wollte Selenskyj nicht treffen
Die Verhandlungen hatten nach tagelangem Hin und Her am Mittag in der türkischen Metropole begonnen. Das Treffen wurde vom türkischen Außenminister Fidan eröffnet. Er betonte zu Beginn die Dringlichkeit einer schnellen Waffenruhe. "Ich freue mich über den Willen beider Seiten, ein neues Fenster für den Frieden zu öffnen", sagte er und fügte hinzu, die Gespräche in Istanbul sollten die Grundlage für ein Treffen zwischen den Präsidenten beider Länder, Selenskyj und Putin, bilden.
Der Leiter der ukrainischen Delegation hatte im Vorfeld deutlich gemacht, dass Frieden nur möglich sei, wenn Russland einer 30-tägigen Waffenruhe, der Rückkehr entführter ukrainischer Kinder und einem Austausch aller Kriegsgefangenen zustimme.
Vermittlerteam mittleren Ranges
Die Erwartungen, dass die Verhandlungen zu einem Durchbruch führen könnten, waren ohnehin gering. Russlands Präsident Putin selbst hatte die direkten Gespräche in der Türkei vorgeschlagen, lehnte jedoch ein Treffen mit Selenskyj ab. Selenskyj stand dafür am Donnerstag bereit, nahm aber heute nicht teil.
Putin schickte stattdessen ein Team von mittlerem Rang, das von seinem Berater Medinski angeführt wurde. Der hatte noch am Donnerstag gesagt, die russische Delegation sei nach Istanbul gekommen, "um direkte bilaterale Verhandlungen ohne Vorbedingungen zu führen". Sein Team habe alle Vollmachten, einen dauerhaften Frieden auszuhandeln. Die Ukraine reagierte mit Unterhändlern ähnlichen Rangs, geleitet allerdings von Verteidigungsminister Rustem Umerow.
Moskau pocht auf Annexionen
Russland hat zwar offiziell signalisiert, den Krieg diplomatisch beenden zu wollen, und sei bereit, über einen Waffenstillstand zu sprechen. Die Regierung in Moskau befürchtet jedoch, die Ukraine könnte eine Pause nutzen, um ihre Streitkräfte zu stabilisieren, zusätzliche Truppen zu mobilisieren und mehr westliche Waffen zu erhalten. Die Ukraine und ihre Verbündeten werfen Putin vor, auf Zeit zu spielen.
Russland betrachtet die jetzigen Gespräche in Istanbul als Fortsetzung der Verhandlungen aus den ersten Kriegswochen 2022, die ebenfalls in der Metropole am Bosporus stattfanden. Bei diesen ersten Gesprächen waren die diskutierten Bedingungen stark zugunsten Russlands ausgelegt.
Sie beinhalteten Forderungen nach erheblichen Einschränkungen der militärischen Fähigkeiten der Ukraine, Aufgabe von Territorium und einen Verzicht auf NATO-Mitgliedschaft. Die Ukraine lehnt diese Bedingungen als Kapitulation ab und besteht auf Sicherheitsgarantien vor allem von den USA.
Zweifel an Bereitschaft der USA
Die USA unter Präsident Donald Trump wollen schnellstmöglich ein Ende des Krieges erreichen. Noch immer ist ungewiss, inwieweit sie künftig noch die Rolle des engen Verbündeten der angegriffenen Ukraine ausfüllen werden. Dabei gibt es auch Sorgen, dass Trump und Putin eine Vereinbarung treffen könnten - unter Ausschluss der Ukraine und mit einem Ergebnis, das Russland zugutekommen würde.
Eine neue Äußerung von Trump hat diese Befürchtungen befeuert. Er zeigte sich am Donnerstag pessimistisch, dass die Gespräche in Istanbul etwas bewegen können. "Es wird nichts passieren, bis Putin und ich zusammenkommen", sagte er während seiner Golfstaaten-Reise.