Flaggen wehen auf einer Brücke in Teheran, während im Hintergrund Rauch in den Himmel aufsteigt.
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Nach israelischen Angriffen Wie handlungsfähig ist der Iran noch?

Stand: 16.06.2025 17:46 Uhr

Israel bombadiert seit mehreren Tagen Ziele im Iran. Dessen Armee verzeichnet offenbar erhebliche Verluste. Welche Optionen bleiben dem islamistischen Regime in Teheran? Droht eine weitere Eskalation?

Von Pia Masurczak, ARD-Studio Istanbul

Wie angeschlagen ist die iranische Führung?

Personell hat die iranische Führung schwere Verluste erlitten. Seit Freitag wurden die wichtigsten militärischen Befehlshaber des Landes, der Generalstabschef der Armee und der Chef der Revolutionsgarde (IRGC) getötet, sowie fast die gesamte Führungsriege der Luftwaffe der IRGC und deren Geheimdienstchef. Für die meisten Posten wurden schnell Nachfolger ernannt, die möglicherweise eine noch härtere Linie gegen Israel verfolgen könnten, so Iran-Expertin Katajun Amipur.

Auch militärisch musste die Islamische Republik offenbar schwere Verluste einstecken. Israelischen Angaben zufolge soll jede dritte Abschussrampe für Boden-Boden-Raketen zerstört worden sein. Diese ballistischen Raketen feuert der Iran bei seinen Vergeltungsschlägen seit Freitag auf Israel ab. Auch die Flugabwehr des Landes scheint zu großen Teilen beschädigt. Zuletzt konnten israelische Flugzeuge am helllichten Tag bis in die tief im Osten Irans gelegene Stadt Maschhad vordringen.

Dazu kommt, dass die iranische Führung vom Angriff am Freitag komplett überrascht schien. Man war, wie viele Beobachter auch, offenbar davon ausgegangen, dass eine Attacke erst nach den für Sonntag geplanten Atomgesprächen drohen könnte. Auch geheimdienstlich scheint der Iran also schlecht aufgestellt zu sein.

Wie sehr ist das Atomprogramm betroffen?

Die Atomanlagen in Natans und Fordo sowie mehrere Forschungseinrichtungen, unter anderem in Isfahan, wurden teilweise mehrfach bombardiert. In Natans, wo Uran angereichert wird, soll es laut der Internationalen Atomenergieagentur (IAEO) bislang nur Schäden an den oberirdischen Anlagen geben. Die eigentlichen Anreicherungsanlage liegt aber mehrere Hundert Meter unter der Erde und soll weitestgehend intakt sein. Aus Fordo, das ebenfalls sehr gut geschützt ist, sind laut IAEO keine Schäden bekannt.

Karte: Iran mit den Atomanlagen Natans und Fordo sowie den Orten Isfahan, Teheran und Buschehr

Problematischer könnte sein, dass bei den israelischen Attacken auch führende Wissenschaftler getötet wurden.

Unklar ist, wie weit die israelischen Angriffe das Atomprogramm tatsächlich zurückgeworfen haben. Experten gehen aber davon aus, dass es sich nicht mit militärischen Mitteln beenden lässt. Deshalb brauche es ein neues internationales Abkommen - das der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu nicht will. Auf die zivile Nutzung von Atomkraft, sagt Islamwissenschaftlerin und Iran-Expertin Katajun Amipur, werde der Iran nicht verzichten.

Kann der Iran den Krieg weiter eskalieren?

Der Iran ist eines der am stärksten aufgerüsteten Länder der Region. Der größte Teil des Raketenarsenals kommt dabei aus eigener Produktion, weil der Iran lange Zeit mit UN-Sanktionen belegt war. Über mehr als 2.000 ballistische Raketen soll das Land verschiedenen Schätzungen zufolge verfügen. Dazu kommen die weitaus präziseren Marschflugkörper.

Allerdings, sagt Pieter Wezeman, Rüstungsexperte beim Friedensforschungsinstitut SIPRI, gelten die iranischen Waffen gegenüber den israelischen als eindeutig unterlegen. Die iranischen Drohnen, die Russland auch in der Ukraine einsetzt, bezeichnet Wezeman als "fliegende Bomben" ohne ausgefeilte Technik. Die Führung in Teheran kann also viel, wenn auch nicht besonders gutes Material gegen Israel einsetzen. Die ersten Kriegstage deuten darauf hin: Auch wenn der Großteil wohl durch die israelischen Systeme abgefangen wird, führt die schiere Masse dazu, dass dennoch einige Raketen in Israel einschlagen.

Doch der Iran könnte auch eine wirtschaftliche Eskalation herbeiführen. Rund ein Drittel der weltweiten Öltransporte läuft über den Persischen Golf und durch die Straße von Hormuz, eine Meeresenge zwischen Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Bereits jetzt kursieren Drohungen, die iranische Marine könnte diese Wasserstraße schließen. Die Auswirkungen wären weltweit zu spüren, zuletzt war der Ölpreis schon deutlich gestiegen. Dieser Schritt könnte den Druck auf die internationale Gemeinschaft erhöhen, die israelischen Angriffe zu stoppen.

Immer weist die iranische Führung darauf hin, den Krieg nicht auf die Region ausweiten zu wollen. "Es sei denn, das wird uns aufgezwungen", so Außenminister Abbas Araghchi. Diese Bemerkungen richten sich insbesondere an die USA, die der Iran mitverantwortlich für den israelischen Angriff macht. Attacken auf US-Stützpunkte in der Region könnten die Konfrontation ebenfalls befeuern. US-Präsident Donald Trump hatte den Iran vor derartigen Angriffen gewarnt.

Wie kann der Iran aus der Konfrontation herauskommen?

Außenminister Araghchi deutete zuletzt eine mögliche Deeskalation an. Wenn Israel mit den Bombardements aufhöre, könne man an den Verhandlungstisch zurückkehren. Und obwohl sich US-Präsident Trump sehr wechselhaft äußert, will auch er neue Gespräche über das Atomprogramm. Als Vermittler hatten sich zuletzt Russland und die Türkei angeboten. Realistischer ist wohl, dass der Oman seine diplomatischen Beziehungen weiter nutzen könnte. Bereits bei den Atomgesprächen hatte der Golfstaat eine wichtige Rolle gespielt.

Für die iranische Führung ist es wichtig, gesichtswahrend aus der unmittelbaren Konfrontation herauszukommen. Neue Gespräche mit den USA, die man ja mitverantwortlich macht, müssen auch an die eigenen Hardliner verkauft werden. In Teheran dürfte aber klar sein, dass man militärisch nicht gewinnen kann.

Könnte es Aufstände im Iran geben?

Israels Premier Netanjahu hatte die iranische Bevölkerung aufgerufen, sich gegen die eigene Führung zu erheben. Doch so groß die Kritik auch ist, die wenigsten Menschen begrüßen die ständigen israelischen Angriffe. Auch Iran-Expertin Amipur ist skeptisch: "Ich weiß nicht, wie Netanjahu es sich vorstellt, dass Menschen auf die Straße gehen, wenn sie Gefahr laufen, dass ihnen Bomben auf den Kopf fallen." Im Gegenteil versuchen möglichst viele, die großen Städte zu verlassen und sich auf dem Land in Sicherheit zu bringen.

Und die Repression im Innern nimmt zu. Es gibt Berichte von Verhaftungen bekannter Regimegegner, außerdem soll es Checkpoints bewaffneter staatlicher Milizen geben, angeblich, um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Sorge um das eigene Leben überwiegt bei den meisten im Moment.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 16. Juni 2025 um 18:00 Uhr.