Palästinenser entnehmen in Rafah im südlichen Gazastreifen Lebensmitteln aus humanitären Hilfspaketen.

Nach Tumulten Neue Gaza-Stiftung will weiter Hilfsgüter verteilen

Stand: 28.05.2025 13:06 Uhr

Obwohl ein erster Hilfseinsatz im Chaos endete, will die umstrittene Stiftung GHF weiter Lebensmittel im Gazastreifen verteilen. Gestern wurden bei den Tumulten in Rafah viele Menschen verletzt, auch Tote werden gemeldet.

Die Verteilung von Hilfsgütern im umkämpften Gazastreifen durch eine neue Stiftung soll trotz anfänglicher Tumulte weitergehen. Das teilte die Gaza Humanitarian Foundation (GHF) mit. Sie soll nach dem Willen der israelischen Regierung künftig die Versorgung des Gazastreifens übernehmen.

Lastwagen mit weiteren Hilfsgütern sollen der Stiftung zufolge heute in das Gebiet einfahren und die Liefermengen täglich größer werden. Die vier GHF-Verteilungszentren im Süden und im Zentrum des Gazastreifens sollen von US-Sicherheitsfirmen betrieben werden. Israel will so Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen (UN) und anderer internationaler Helfer umgehen.

Die UN und andere Hilfsorganisationen lehnen das neue System ab. Sie argumentieren, es könne den Bedarf der 2,3 Millionen Menschen im Gazastreifen nicht decken und ermögliche Israel, Nahrungsmittel als Waffe zur Kontrolle der Bevölkerung einzusetzen.

Berichte über Tote und Verletzte

Nachdem der Gazastreifen durch die fast drei Monate lange israelische Blockade an den Rand einer Hungersnot geraten war, fehlt es den Palästinensern an Nahrungsmitteln, Trinkwasser, Medikamenten und nahezu allen Dingen des täglichen Bedarfs. Die Lage der Menschen in dem von rund zwei Millionen Palästinensern besiedelten Gebiet, das zu weiten Teilen zerstört ist, ist verzweifelt.

Auch deshalb war es gestern bei der Eröffnung des ersten GHF-Zentrums in Rafah im Süden des Gazastreifens zu Chaos gekommen. Unzählige hungrige Menschen hatten das Zentrum belagert, Zäune durchbrochen und das Gelände gestürmt.

Während der tumultartigen Szenen gaben Soldaten außerhalb des Zentrums Warnschüsse ab, wie die israelische Armee mitteilte. Daraufhin sei Panik ausgebrochen. Dass Schüsse gegen Menschen gerichtet worden seien, bestritt die Armee. Nach UN-Angaben wurden ein Mensch getötet und 47 weitere verletzt, die meisten mit Schussverletzungen. Das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium berichtet von einem Toten, andere palästinensische Quellen von drei Todesopfern. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Stiftung nimmt "normale Arbeit" wieder auf

Die Stiftung teilte dazu mit, angesichts des großen Andrangs am Verteilungszentrum in Rafah habe das GHF-Team sich punktuell zurückgezogen, "um es einer kleinen Anzahl von Gaza-Einwohnern zu erlauben, Hilfsgüter auf sichere Weise zu nehmen und sich wieder zu zerstreuen". Das Team habe sich dabei an das Sicherheitsprotokoll gehalten, um Opfer zu verhindern. Die normale Arbeit sei danach wieder aufgenommen worden. 

Bisher seien rund 8.000 Lebensmittelpakete verteilt worden, teilte die Stiftung mit. Jedes Paket könne etwa fünf bis sechs Menschen für dreieinhalb Tage ernähren. Insgesamt seien es 462.000 Mahlzeiten. Allerdings sei es wegen Behinderungen durch die islamistische Hamas zu mehreren Stunden Verzögerung bei der Auslieferung gekommen. 

Hamas nennt neue Verteilung "totalen Misserfolg"

Das Hamas-Medienbüro teilte nach dem Vorfall mit, der von Israel initiierte Mechanismus zur Verteilung von Hilfsgütern sei ein "totaler Misserfolg". Das von der Terrororganisation kontrollierte Innenministerium hatte die Einwohner des Gazastreifens zuvor dazu aufgerufen, den neuen Verteilmechanismus zu boykottieren. 

Mit der von den USA unterstützten Verteilstrategie will die israelische Regierung nach eigenen Angaben verhindern, dass die Hamas Lieferungen für ihre eigenen Zwecke abzweigt und weiterverkauft, um damit dann Kämpfer und Waffen zu bezahlen. UN-Vertreter sagen, Israel habe keine Beweise dafür vorgelegt.

Netanjahu spricht von "momentanem Kontrollverlust"

Der israelische Premier Benjamin Netanjahu sprach am Dienstagabend von einem "momentanen Kontrollverlust" bei der Verteilung der Hilfsgüter. "Wir haben es wieder unter Kontrolle gebracht", sagte er bei einer Ansprache. Man werde weitere Zentren eröffnen.

"Die Idee ist grundsätzlich, der Hamas die Plünderungen humanitärer Hilfsgüter als ein Kriegsinstrument wegzunehmen und sie der Bevölkerung zu geben", so Netanjahu. Ziel sei es, "eine sterile Zone im Süden Gazas zu haben, in der die gesamte Bevölkerung sich zu ihrem eigenen Schutz bewegen kann". 

Viele Palästinenser befürchten eine neue Welle der Flucht und Vertreibung aus dem Gazastreifen, ähnlich wie während des Krieges im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948 und während des Sechstagekriegs 1967. An Israels Vorgehen in dem Küstengebiet, wo täglich Dutzende Tote infolge israelischer Angriffe gemeldet werden, gibt es international massive Kritik. 

Stiftungschef kurz vor Anlaufen der Hilfe zurückgetreten

Die US-Regierung begrüßte die neu angelaufene Verteilung, ging zugleich auf Abstand zur dahinter stehenden Stiftung. Man spreche nicht für die GHF, betonte die Sprecherin des Außenministeriums, Tammy Bruce. Die Kritik der Vereinten Nationen und internationaler Hilfsorganisationen nannte Bruce "bedauerlich". Es sei "die Höhe der Heuchelei", sich darüber zu beklagen, wer die Hilfe bringe oder wie sie organisiert sei.

Kurz vor dem Anlaufen der Hilfe war der GHF-Vorsitzende Jake Woods - ein US-Militärveteran - zurückgetreten. Berichten zufolge hielt er es nicht für möglich, den unter seiner Führung entwickelten Plan umzusetzen und gleichzeitig "die humanitären Prinzipien der Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit" zu wahren.

Geisel-Angehörige begehen 600. Tag seit Entführung

Ausgelöst wurde der Krieg durch das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels: Terroristen der Hamas und anderer islamistischer Gruppen töteten bei einem Überfall auf den Süden des jüdischen Staates rund 1.200 Menschen und verschleppten mehr als 250 als Geiseln in den Gazastreifen.

Angehörige der Geiseln erinnern heute daran, dass diese sich seit 600 Tagen in der Gewalt der Hamas befinden. Nach israelischen Angaben befinden sich derzeit noch mindestens 20 lebende Geiseln im Gazastreifen. Bei drei weiteren Entführten ist unklar, ob sie noch am Leben sind. Zudem befinden sich die sterblichen Überreste von 35 Verschleppten in dem abgeriegelten Gebiet mit unzähligen unterirdischen Tunnelanlagen.