Angeschwemmter Müll und Unrat türmen sich an der Küste in der Bucht von Panama.

Plastikflut im Meer Warum die Lösung an Land beginnt

Stand: 10.06.2025 13:52 Uhr

Plastik ist längst überall im Meer angekommen: an Stränden, auf hoher See und selbst in der Tiefsee. Und das Problem wächst weiter. Tiere, Pflanzen und ganze Ökosysteme leiden darunter.

Von Nadine Gode, SWR

"Egal wo man im Meer sucht, man wird überall Plastik finden. Da bin ich mir mittlerweile leider sicher", sagt Mark Lenz, Meeresbiologe am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (GEOMAR) in Kiel. Die Ursachen für die Vermüllung der Meere sind bekannt - und menschengemacht, weiß Lenz. "Es gibt viele Länder auf der Erde, wo es unzureichende oder überhaupt keine Müllentsorgungssysteme gibt. Da gelangt Plastikmüll unkontrolliert in die Umwelt und letztendlich auch ins Meer."

UN-Ozeankonferenz
Vom 9. bis 13. Juni beraten in Nizza an der französischen Mittelmeerküste Vertreter aus 130 Staaten über einen besseren Schutz der Ozeane. Es ist die dritte UN-Ozeankonferenz, die finanzielle Zusagen und politische Selbstverpflichtungen auf den Weg bringen soll. Die Weltmeere sind mit einer ganzen Reihe von Gefahren konfrontiert: Erwärmung des Wassers, Versauerung des Wassers, Plastikvermüllung, Überfischung und Tiefseebergbau.

Wo ein Abfallverwertungssystem fehlt, helfen sich Menschen oft mit dem Anlegen einer wilden Deponie, verbrennen ihren Müll oder entsorgen ihn direkt in der Umwelt. Mit dem Wasser von Flüssen kann das Plastik weit aus dem Landesinneren bis ins Meer gespült werden. Synthetische Fasern aus Kleidung lösen sich beim Waschen, Mikroplastik aus Kosmetika und Reinigungsmitteln gelangt über das Abwasser in Flüsse und ins Meer. Hinzu kommen: verlorene Schiffsladungen, Fischernetze und Angelleinen, Trümmerteile nach Sturmfluten und Tsunamis oder gar gezielt im Meer entsorgter Müll - illegal oder aus Mangel an Alternativen.

2050: Mehr Plastik als Fische?

Über Meeresströmungen wird dieses Plastik über weite Strecken transportiert und verbreitet sich in alle Winkel des Meeres, weiß auch Laura Griestop. Sie ist Referentin beim WWF und Expertin, wenn es um Plastik und Verpackungen geht.

Man hat Kunststoffe zum Beispiel schon im Marianengraben nachgewiesen, dem tiefsten Ort der Erde. Man hat es auf entlegensten Inseln gefunden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Plastik mittlerweile an allen Orten dieser Welt zu finden ist.
Laura Griestop, WWF

Insgesamt gehe sie davon aus, dass jedes Jahr 19 bis 23 Millionen Tonnen Plastik ins Meer gelangen - Tendenz steigend. Aus Schätzungen des WWF geht hervor: Hält dieser Anstieg weiter an, könnte es im Jahr 2050 nach Gewicht berechnet mehr Plastik im Meer geben als Fische.

Kurzer Nutzen, langes Verweilen

"70 Prozent des Plastikmülls im Meer sind Einwegkunststoffe, der Großteil besteht aus Verpackungen", sagt WWF-Expertin Griestop. Einwegflaschen, Kleinstverpackungen, dünne Plastik-Folien. Meeresbiologe Lenz bestätigt: "Verpackungen sind so günstig, dass wir sie mit den Produkten, die wir eigentlich haben wollen, mitkaufen und sie dann anschließend wegschmeißen."

Was Plastik im Alltag so praktisch macht, wird in der Umwelt zum Problem: Es ist sehr widerstandsfähig und hat eine lange Haltbarkeit. Statt sich biologisch zu zersetzen, zerfällt es in immer kleinere Teilchen: zu Mikroplastik oder noch kleiner: Nanoplastik. Bis zur völligen Zersetzung können mehrere Hundert bis Tausende Jahre vergehen.

Ab dem Moment, wo es in die Natur kommt, ist Plastik ein Fluch.
Mark Lenz, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (GEOMAR)

So wird Plastik zum Problem

Viele Folgen dessen, was Plastik in Meeren anrichten kann, sind inzwischen gut dokumentiert. Große Tiere wie Schildkröten, Delfine, Seelöwen, Haie, die sich in Plastiknetzen verfangen. Seevögel, die Plastikmüll an ihre Küken verfüttern. Diese sterben, weil die Mägen sich mit Kunststoff füllen und keine Nahrung mehr aufnehmen können.

In einem gemeinsamen Report von WWF und dem Alfred-Wegener-Institut wird deutlich: 88 Prozent der untersuchten Arten leiden unter negativen Auswirkungen durch Plastik. "Im Meer können sich die Lebewesen dem einfach nicht entziehen", ordnet Griestop ein. Auch Verhaltensänderungen seien bei einigen Arten schon festgestellt worden oder Schwierigkeiten im Blick auf die Fortpflanzung, etwa bedingt durch im Kunststoff enthaltene Weichmacher.

Plastik lagere sich auch auf Korallenriffen ab, in Mangrovenwäldern und Salzwiesen. Dort überlagert der Müll lebende Oberflächen, schirmt Pflanzen und Tiere vom Licht, Sauerstoff und Nährstoffen ab. "Es gibt wahrscheinlich sehr viele Auswirkungen, die uns noch gar nicht bekannt sind", resümiert Mark Lenz.

"Müll darf nicht in die Umwelt gelangen"

Das Problem muss an Land gelöst werden. Plastik einfach wieder aus dem Meer herauszufischen sei nur mit großem Aufwand und wenig Erfolg möglich. Hier sind sich beide Fachleute einig. Zudem bliebe die Frage offen, welche Auswirkungen dieser erneute Eingriff auf das Ökosystem habe. "Der einzige nachhaltige Lösungsweg ist zu verhindern, dass der Müll überhaupt in die Umwelt gelangt", so Wissenschaftler Lenz.

Laura Griestop ergänzt: "Es muss darum gehen, entlang des gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen zu schauen: Wo kann ich reduzieren? Was braucht man, um Plastik im Kreislauf zu halten?" Es gehe darum, Recyclingquoten zu steigern, Mehrwegsysteme zu etablieren und weltweit in eine funktionierende Abfallwirtschaft zu investieren.

Es braucht Mut

Es gebe bereits viele Lösungsansätze und Pilotprojekte, bei denen man beginnen könnte, findet die Expertin. "In Aarhus, Dänemark, gibt es zum Beispiel eine Initiative für Mehrwegautomaten im Stadtgebiet. Hier kann man seine Mehrweg-to-go-Becher einfach direkt zurückgeben und alles per App steuern." Jetzt müsse geschaut werden, welche Lösungen funktionieren und nach oben skaliert werden können. Dabei wünscht sich Griestop mehr Mut aller Beteiligten.

"Die Regierung muss mutig sein und die nötigen Vorgaben machen. Zum Beispiel eine 50-Prozent-Mehrwegquote. Sie muss Gelder in die Infrastruktur investieren und Unternehmen Planungssicherheit geben. Und die Konsumentinnen und Konsumenten müssen den Mut aufbringen, neue Lösungsansätze auszuprobieren." Denn nur dann werde man langfristig Effekte sehen können.

Plastik nicht verteufeln

Ganz auf Plastik verzichten, das werde auch in Zukunft keine Option sein. Auch hier sind sich die Experten einig. Dazu sei Plastik als Hochleistungsmaterial in vielen Bereichen zu wichtig. Doch man müsse auch aufpassen, dass sich das Problem nicht einfach verlagert, mahnt Laura Griestop vom WWF. "Es besteht eine Substitutionsgefahr. Etwa wenn wir im To-go-Bereich alles auf Papier statt auf Plastik umstellen. Das bringt uns nicht zum Ziel eines nachhaltigen Umgangs mit Rohstoffen." Der Kreislaufgedanke müsse für alle Materialien mitgedacht werden.

Ein großes Potenzial für einen entscheidenden Fortschritt im Umgang mit Plastik sieht Griestop aktuell auf internationaler Ebene. "Gerade läuft auf UN-Ebene der wichtigste Prozess seit Jahrzehnten, um ein globales Abkommen gegen die Plastikverschmutzung zu schaffen." Die finale Verhandlungsrunde des Internationalen Verhandlungskomitees (INC) für ein globales Plastikabkommen steht im August in Genf an. Ziel ist es, erstmals weltweit verbindliche Regeln für die gesamte Kunststoffwirtschaft festzulegen - von der Produktion über den Gebrauch, Abfallbewirtschaftung bis hin zur Bekämpfung der Plastikverschmutzung der Meere.