Eisberge in der Weddell-See in der Antarktis

UN-Ozeankonferenz Hochseeschutzgebiete dringend benötigt

Stand: 12.06.2025 06:46 Uhr

Die Hochsee ist eine Art rechtsfreier Raum. Nicht einmal anderthalb Prozent davon stehen unter Schutz. Doch das soll sich jetzt ändern.

Von Jenny von Sperber, BR

Die Entdeckung der weltweit größten Fisch-Brutkolonie ist erst wenige Jahre her. Am Morgen jenes Tages stand der Tiefseeökologe Autun Percer an Deck der Polarstern und hielt Ausschau nach Walen. Die sollten nämlich nicht in den Bereich der Unterwasser-Kamera geraten, die die Polarstern hinter sich herzog. Damit filmte Percer in 450 Meter Tiefe den unbekannten Meeresgrund des Weddell-Meeres in der Antarktis.

60 Millionen Eisfische brüten am Meeresgrund

Zuerst freuten sich die Forschenden des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung schon über ein einziges Fischnest, das die Kamera gefilmt hatte. Aber dann reihte sich ein Nest an das andere. Die Forschenden konnten sehen, das jedes von einem etwa 70 Zentimeter großen Eisfisch bewacht wurde. Am Schluss bahnte sich das Schiff fünf Stunden lang einen Weg durchs Weddell-Meer, und die Brutkolonie unter dem Eisbrecher war noch immer nicht zu Ende. Eine "Riesenüberraschung" für Autun Percer und sein Team.

Tiefsee-Kamera nach Jahren geborgen

Über das Leben der Eisfische und ihrer Nester war bis dahin kaum etwas bekannt. Die runden Strukturen haben einen Durchmesser von etwa einem Meter und sind in der Mitte mit Steinchen ausgelegt. Darauf liegen die Eier. Percer wollte damals mehr über das Leben dieser Tiere herausfinden und installierte eine Kamera am Meeresgrund unter dem Eis. Die sollte jeden Tag vier Fotos machen, jahrelang.

Jetzt hat er diese Wildtierkamera aus 450 Meter Tiefe geborgen und Tausende von Fotos ausgewertet: "Wir konnten sehen, dass die Eier im Laufe mehrerer Monate ihre Farbe von blau nach gelb gewechselt haben. Und dann sind Fische geschlüpft, die nach oben an die Wasseroberfläche unter das Eis geschwommen sind. Dann hat es noch ein paar Tage gedauert, bis auch der bewachende Eisfisch die Farbe gewechselt hat und verschwunden ist", erzählt Percer.

Lebensraum wichtig für das Leben in der Antarktis

Die Brutkolonie zeigt, wie wenig Experten bislang über den Lebensraum Hochsee wissen. Und wie wichtig er für das Leben in der Antarktis ist. "Wir haben auch gesehen, dass die verlassenen Nester für viele Tiere noch jahrelang interessant waren", erzählt der Tiefseeökologe, "wir haben Seesterne reinkrabbeln sehen, Schlangensterne und Oktopusse. Wahrscheinlich fressen sie die Überreste der Eier".

Auch Robben sind auf die riesigen Fischgründe angewiesen. Daten von Sendern, die auf Robbenköpfe geklebt waren, konnten zeigen, dass Robben sich vermehrt hier aufhalten und bis zu den Nestern hinuntertauchen.

Weddell-Meer wäre wichtiges Hochsee-Schutzgebiet

Ein Hochseegebiet wie das antarktische Weddell-Meer zu schützen wäre deshalb wichtig, sagt Stefan Hain, Leiter des Antarktis-Büros vom Alfred-Wegener-Institut. Seit 2016 reicht er immer wieder Anträge dafür bei der CCAMLR-Kommission ein, die hier regional verantwortlich ist. Die Zeit drängt, weil die Meere immer wärmer werden: "Ein Schutzgebiet hier würde auch ein Rückzugsgebiet darstellen für kälteliebende Arten. Die brauchen ein Rückzugsgebiet, wenn es ihnen im Norden zu warm wird." Es wäre mit zwei Millionen Quadratkilometern das größte Meeresschutzgebiet der Welt.

Da Hochsee-Gebiete wie das Weddellmeer schwer zu erreichen sind, wäre das Schutzgebiet aber schwer zu überwachen. "Da brauchen Sie hochseegängige Forschungsschiffe und die richtigen Wetterbedingungen", erklärt Hain. Auch müssen in einem Schutzgebiet ständig Daten erhoben werden, um zu kontrollieren, ob die Schutzziele erreicht werden. Nur dann kann man notfalls nachbessern und beispielsweise Lage oder Größe des Schutzgebietes verändern.

BBNJ-Vertrag eine Chance für neue Schutzgebiete

Zunächst müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass Teile der Hochsee weltweit überhaupt geschützt werden können. Das soll das neue UN-Abkommen BBNJ (Biodiversity Beyond National Jurisdiction) leisten. Sollte es jetzt von mindestens 60 Staaten ratifiziert werden, träte es 120 Tage später in Kraft. Die Ampelkoalition wollte Deutschlands Ratifizierung eigentlich auf der UN-Ozeankonferenz diese Woche verkünden.

Jetzt wird die Ratifizierung noch ein wenig dauern. Aber auch die neue Regierung steht dahinter und will den Vertrag bald in nationales Recht umsetzen.