
Long Covid Viele Wege zur Genesung
Fünf Jahre nach dem ersten Corona-Fall in Deutschland gibt es noch kein zugelassenes Medikament gegen die Langzeitfolgen der Erkrankung. Aber es gibt viele Ansätze und Menschen, die gesund geworden sind.
Atemnot, Muskelschmerzen, Schwäche: Fünf Jahre nach Beginn der Covid-19-Pandemie sind oder waren nach Angaben des Robert-Koch Instituts (RKI) zwischen fünf Prozent und zehn Prozent der Menschen in Deutschland von Langzeitfolgen ihrer Infektion betroffen.
Einer davon war Christoph Theissen. Der 34-jährige Bauunternehmer aus Neuss erkrankte im April 2022 an Corona - und wurde nicht wieder gesund. Der akuten Infektion folgten starke Muskelschmerzen, Schlaflosigkeit, rasender Puls und eine Erschöpfung, "die bis auf die Knochen durchdringt und einen daran hindert, die einfachsten Tätigkeiten zu tun."
Geschichten von Genesung fehlen
Theissen konnte seinem Beruf nicht mehr nachgehen. Eine Kardiologin diagnostizierte bei ihm Posturalen Tachykardiesyndrom (POTS), eine Kreislauferkrankung, die zu den möglichen Folgen einer Corona-Infektion gehören kann. Am Tiefpunkt seiner Krankheit dachte er, "jetzt muss ich sterben."
In seiner Suche nach Antworten stieß er auf Selbsthilfegruppen im Internet. Die erhoffte Hilfe blieb allerdings aus. "Das ist ein sehr schwieriges Umfeld und vor allem, wenn man selber noch betroffen und verzweifelt ist", sagt der 34-Jährige. Denn dort werde einem oft gespiegelt, "du erfüllst die Symptomatik einer unheilbaren Krankheit."
Was fehle, sowohl im Netz als auch in den Medien, seien Geschichten über die Menschen, die wieder gesund werden.
Arztbesuche ohne Behandlung
Nadine Busemann weiß, wovon er spricht. Die 24-Jährige erkrankte 2022 an Corona und litt monatelang an den Folgen ihrer Infektion. Atemnot, Reizempfindlichkeit und bleierne Erschöpfung bestimmten auch ihren Alltag.
"Ich war wochenlang in einem abgedunkelten Raum, Rollladen waren runter, Augenklappe auf dem Gesicht, Ohrstöpsel", erzählt die Studentin aus dem Kreis Soest.
Sie besuchte Fachärzte und wurde dort mit ihren Beschwerden ernst genommen - aber eine Behandlung bekam sie nicht. "Ich hatte keine Herzmuskelentzündung. Ich hatte keine Lungenentzündung oder so. Mir konnte man ja kein Antibiotika oder so was verschreiben, dass es besser hätte machen können."
Verschiedene Medikamentenstudien laufen
Mittlerweile sieht die Forschungslage zu Medikamenten gegen Post Covid anders aus. "Es gibt sehr viele Menschen, die daran arbeiten, die Situation zu verbessern", sagt Maria Vehreschild, Infektiologin an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Vehreschild und ihre Kollegen führen gerade eine Plattformstudie mit Post-Covid-Patienten durch, um ein mögliches Medikament zu testen. "Zum einen ist das ein Medikament, das Entzündungen im Körper hemmt", so Vehreschild. Eine Hypothese für Post-Covid-Symptome sei, dass eine chronische Entzündungsreaktion zugrunde liege.
"Und es ist auch ein breit antiviral wirksames Medikament. Damit kann man auch die Hypothese angehen, dass vielleicht noch Corona-Viren im Körper sind oder dass andere Viren reaktiviert worden sind", erklärt die Infektiologin.
Der Begriff Long Covid umfasst längerfristige gesundheitliche Beschwerden nach der Ansteckung, die über die akute Krankheitsphase von vier Wochen hinausgehen. Post Covid bezeichnet bei Erwachsenen Beschwerden, die nach einer Ansteckung mit dem Coronavirus auch nach zwölf Wochen noch vorhanden sind, wiederkehren oder neu auftreten. Bei Kindern und Jugendlichen spricht man bereits nach acht Wochen von Post Covid
Die Krankheit mit den 1000 Gesichtern
Die Frage nach der Ursache der Symptome sei elementar wichtig bei der Suche nach Behandlungsmöglichkeiten, sagt auch Andreas Stallmach, Klinikdirektor der Klinik für Innere Medizin am Universitätsklinikum Jena, aber eben komplex: "Wir haben am Anfang gedacht, Post Covid ist ein Krankheitsbild und das, was wir brauchen, ist eine Behandlung."
Das sei sicher falsch, weil Post Covid eher ein Syndrom sei, so Stallmach, der mit seinem Team ebenfalls klinische Behandlungsstudien durchführt. "Das heißt, ganz unterschiedliche Krankheitsbilder im Auftreten, über 200 verschiedene Symptome und wahrscheinlich auch je nach Patient unterschiedlich Ursachen."
Trotzdem ist Stallmach sich sicher, dass es erfolgreiche medikamentöse Behandlungsmethoden geben werde. "Aber es wird nicht die eine Behandlung sein."
Schritt für Schritt zurück in den Alltag
Das bedeutet allerdings nicht, dass es für Menschen mit Post Covid keine Chancen auf Genesung gibt, bis die perfekten Medikamente gefunden sind. Nadine Busemann schafft es durch Kortison in einem ersten Schritt wieder aus dem Bett. Dann beginnt sie, sich Schritt für Schritt ins Leben zurückzukämpfen.
Dabei helfen ihr eine antientzündliche Ernährung, Atemtraining, Tiefenentspannung, Achtsamkeitsübungen und eine langsame Steigerung ihrer körperlichen Aktivitäten. "Am Anfang bin ich zur Physiotherapie hingefahren worden. Dann konnte ich irgendwann wieder selbst fahren", erinnert die 24-Jährige sich.
Brain Retraining und Geduld
Christoph Theissen hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Mithilfe von Brain-Retraining-Techniken hat er es geschafft, seine Symptome zu überwinden. "Wenn wir Symptome haben, dann lenken wir all unsere Gedanken darauf, was ja auch nachvollziehbar ist." Damit würde unser Gehirn aber immer weiter darin bestärkt, die Symptome für gefährlich zu halten.
Beim Brain Retraining gehe es darum, diesen Kreislauf zu unterbrechen. Gleichzeitig sei es wichtig, sich nicht zu schnell zu überfordern. "Wenn ich über meine Grenzen gegangen bin, dann kamen wieder Symptome." Aber die blieben immer nur einen gewissen Zeitraum bestehen. Und wenn man in diesem Zeitraum nicht in Panik verfalle, sondern es vorbeiziehen lasse, habe man danach wieder mehr Kapazitäten.
Auch psychologische Unterstützung wichtig
Infektiologin Vehreschild hält solche nicht-medikamentöse Behandlungsansätze grundsätzlich für vielversprechend. "Es gibt tatsächlich relativ viel Evidenz, dass eine regelmäßige Bewegungstherapie wichtig ist." Dabei müsse man aber immer beachten, dass Patienten ihr persönliches Limit nicht überschreiten dürfen.
Auch die Anwendung grundsätzlicher Achtsamkeitsprinzipien könne helfen. "Ich bin eigentlich immer dafür, diese Menschen auch einer psychologischen oder psychiatrischen Unterstützung zuzuführen", so die Infektiologin. "Nicht, weil ich glaube, dass die ganze Erkrankung notwendigerweise einem psychosomatischen Problem entspringt, sondern weil eine solche Betreuung für die Krankheitsbewältigung sehr hilfreich sein kann."
Telemedizinisches Programm für Gehirn, Körper und Seele
Auch Mediziner Stallmach sieht Erfolge in einem ganzheitlichen Behandlungsansatz. Neben Studien zu Medikamenten führt er eine Untersuchung zur wohnortnahen Versorgung von Post Covid-Patienten durch.
Im Rahmen dieser Studie fährt ein Behandlungs-Bus durch Thüringen, in dem sich Patienten mit Post Covid vorstellen. Dort wird eine umfassende Untersuchung des Krankheitsbildes durchgeführt, bevor die Patienten telemedizinisch zur weiteren Behandlung angeleitet werden.
"Diese Behandlung basiert auf den drei Säulen Gehirn, Körper und Seele", erklärt der Klinikdirektor. Es umfasst computerbasierte kognitive Trainingseinheiten, ein digitales Sportrehabilitationsprogramm und verhaltenstherapeutische Übungen.
Erste positive Rückmeldungen
Wenn den Patienten ein positiver Umgang mit der Erkrankung und eine Vermeidung von Überlastung gelänge, dann erlebten viele wieder eine Zunahme ihrer Energie und Leistungsfähigkeit, so Stallmach. Dazu gehöre eben Bewegung, Aufmerksamkeitstraining, Atemübungen und die Vermeidung von Belastung. "Wichtig ist natürlich auch Schlafhygiene und ganz ohne Zweifel eine gesunde Ernährung."
In der Untersuchung werden 600 Patienten mit Post Covid so betreut. Da das Projekt erst im November Ende, gebe es noch keine endgültige Auswertung, erklärt Stallmach. "Aber es gibt Rückmeldungen von Patienten, und die Rückmeldungen von einem großen Teil sind positiv. Sie zeigen, dass es ihnen in vielen Dimensionen in der Lebensqualität tatsächlich besser geht."
Allerdings brauche dieser Genesungsprozess Zeit. Deshalb sei die Hoffnung, in Medikamentenstudien "etwas zu finden, was zu einer schnelleren Rekonvaleszenz führt", so Stallmach.
"Die wichtigste Botschaft: Genesung ist möglich"
Für Betroffene wie Christoph Theissen und Nadine Busemann war der Weg zurück in ihr Leben zwar länger, aber erfolgreich. Heute bezeichnen sich beide als vollständig genesen. "Ich habe mehr Energie als vorher", sagt die gelernte KFZ-Mechatronikerin. Seitdem sie wieder gesund geworden ist, hat sie ein Studium begonnen und versucht, anderen von Post Covid Betroffenen mit ihrer Geschichte auf Instagram Mut zu machen.
Christoph Theissen hat seine Erfahrungen mit der Krankheit in einem Buch zusammengefasst. Denn genau solche Geschichten über Genesungen habe ihm damals gefehlt, als er krank geworden ist.
Natürlich sei am Ende jeder Mensch individuell, und was für ihn funktioniert habe, müsse nicht für jeden Betroffenen funktionieren. "Aber die wichtigste Botschaft ist, dass Genesung möglich ist", sagt der 34-Jährige. "Und dass man sich niemals von jemandem einreden lassen sollte, dass man nicht gesund werden kann."