
Social-Media-Konsum Jugendliche mit psychischen Problemen anfälliger?
Jugendliche mit psychischen Problemen fühlen sich von Social Media offenbar besonders angezogen. Laut einer neuen Studie verbringen sie mehr Zeit auf den Plattformen als gesunde und nutzen sie je nach Erkrankung auch anders.
Jugendliche mit psychischen Störungen verbringen im Durchschnitt etwa 50 Minuten pro Tag mehr auf Social Media als ihre gesunden Altersgenossen. Das ist das Ergebnis einer jetzt im Fachmagazin Nature Human Behaviour veröffentlichten Studie. Außerdem vergleichen sich Jugendliche mit bestimmten psychischen Erkrankungen auf den Plattformen häufiger mit anderen Personen. Auch ihre Stimmung hängt stärker von der Menge der Online-Feedbacks, wie erhaltene Likes, Shares oder Kommentaren ab, als bei Jugendlichen ohne entsprechende Erkrankung, so das Fazit der Forschenden.
Für ihre Analyse haben die Forschenden Daten von 3.340 Jugendlichen im Alter zwischen elf und 19 Jahren ausgewertet. Die Daten stammen aus der Mental Health of Children and Young People (MHCYP)-Studie, eine querschnittliche Erhebung des britischen Gesundheitsdienstes (National Health Service). Daten solcher Querschnittserhebungen sind wichtig für Studien wie die aktuelle. Denn wie sich der Konsum sozialer Medien auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen auswirkt, ist für Forschende nicht leicht herauszufinden. Die dafür relevanten Daten von Instagram, TikTok und Co. halten die Unternehmen unter Verschluss. Und experimentelle Studien dazu sind aus ethischen Gründen eigentlich nicht umsetzbar.
Jugendliche mit Angststörung oder Depression besonders gefährdet
In dem Datensatz, den die Forschenden verwendeten, waren 16 Prozent von Jugendlichen, die mindestens eine diagnostizierte psychische Erkrankung hatten. Für deren Analyse unterteilten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Erkrankungen in sogenannte internalisierende Erkrankungen, die von außen kaum oder gar nicht wahrnehmbar sind wie Angststörungen oder Depressionen, und externalisierende Erkrankungen wie ADHS oder andere Verhaltensstörungen, die von außen erkennbar sind. Dabei zeigte sich: Bei internalisierenden Störungen war der negative Effekt - längere Nutzungsdauer und emotionale Beeinflussung durch die Plattformen - geringfügig höher als bei den von außen erkennbaren Erkrankungen.
Andere Wissenschaftler eher zurückhaltend
Andere Forscher, wie etwa Marcel Romanos, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (KJPPP) am Universitätsklinikum Würzburg, halten die Studie des britischen Forscherteams zwar für "wertvoll", weil sie im Gegensatz zu anderen Studien "eine repräsentative Stichprobe von Jugendlichen aus Großbritannien untersucht und zudem klinische Diagnosedaten zur Verfügung hat".
Man müsse davon ausgehen, dass die Daten durchaus auf Deutschland übertragbar seien, erklärte Romanos in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. "Möglicherweise sind manche Kinder und Jugendliche besonders vulnerabel und besonders empfänglich für soziale Inhalte. Solche Überlegungen könnten eine Erklärung sein." Doch ob der Konsum bestimmter Inhalte Kinder krank mache, müsste erst in Studien untersucht werden, so Romanos. Das habe die aktuelle Studie nicht geklärt.
Daten von 2017: Was sagt die Studie trotzdem aus?
Kritik gibt es auch an den Daten, die aus dem Jahr 2017 stammen. "Es ist zu erwarten, dass die Zahl derer heute noch deutlich größer wäre", sagt der Würzburger Psychiater Romanos gegenüber dem Science Media Center. "Dass sich die Zusammenhänge innerhalb der Gruppe wesentlich verändern würden, ist aus meiner Sicht aber nicht zu erwarten".
Einen weiteren Kritikpunkt an der Studie äußert Anne-Linda Camerini, Wissenschaftlerin an der Università della Svizzera italiana in Lugano: "Sind negative Kommentare auf sozialen Medien wirklich ein Grund für die psychischen Probleme der Jugendlichen oder sind Jugendliche mit psychischen Problemen durch ihre erhöhte Vulnerabilität und mögliche Stigma verstärkt Ziel von negativen Kommentaren beziehungsweise nehmen solche Kommentare schlimmer wahr als gesunde Jugendliche?" Diese Frage könne auch in dieser Studie nicht beantwortet werden.
Umgang mit sozialen Medien müssen Jugendliche lernen
Auch die Frage, inwieweit soziale Medien zu einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit Jugendlicher führten, "bleibt heute noch offen", sagt der Mediziner Romanos. Anne-Linda Camerini empfiehlt: "Bei der Behandlung von Jugendlichen mit psychischen Problemen ist es ohne Zweifel wichtig, das Thema 'soziale Medien' stärker in Therapiepläne zu integrieren."
Ein Verbot sozialer Medien hält sie hingegen nicht für sinnvoll. Vielmehr sollten soziale Medien- und Algorithmenkompetenz vermittelt werden, um einen bewussteren und sichereren Umgang mit sozialen Medien zu unterstützen, "da Jugendliche mit psychischen Problemen eben auch von Angeboten und Inhalten auf sozialen Medien profitieren können", so die Wissenschaftlerin.