
Altersforschung Sprachtest gibt Aufschluss über Rest-Lebenszeit
Wie viele Tiere können ältere Menschen in 90 Sekunden aufzählen? Sind es eher zehn oder doch über 30? Das Ergebnis soll einer neuen Studie zufolge vorhersagen, wie lang sie noch zu leben haben.
So viele Tiere wie möglich in 90 Sekunden aufzählen - Dieser simple Sprachtest soll verraten, wie lang ältere Menschen noch zu leben haben, so das Ergebnis einer neuen Studie. Die Forschenden fanden heraus: Wer mehr Tiere nennen kann, hat mehr Lebenszeit vor sich. Mit jedem genannten Tier steigt die Restlebenszeit um durchschnittlich fünf Prozent.
Wer in anderthalb Minuten auf rund 33 Tiere kommt, hat im Mittel noch zwölf Jahre vor sich. Bei etwa elf Tieren sind es dagegen nur noch drei Jahre. Die Daten stammen aus der Berliner Altersstudie mit 518 Menschen zwischen 70 und 95 Jahren. Die Studie startete vor rund 30 Jahren mit gleich vielen Teilnehmenden pro Altersgruppe und Geschlecht. Die Probanden nahmen wiederholt an kognitiven Tests teil - darunter auch der Tiere-nennen-Test.
Die Forschenden blieben dabei über alle Teilnehmenden informiert: Wer ist noch am Leben? Wer ist verstorben und wann? Mit diesen Informationen konnten sie den Zeitpunkt, an dem der Test durchgeführt wurde, mit der Sterbewahrscheinlichkeit verknüpfen.
Worauf es beim Tiere-nennen-Test ankommt
Der Sprachtest wirkt simpel, aber er sei zur Vorhersage der noch verbleibenden Lebenszeit bei älteren Menschen wesentlich besser geeignet als alle anderen bisher dazu genutzten Tests und Aufgaben, sagt Ulman Lindenberger vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Er ist Co-Autor der Studie.
Der Test stelle Anforderungen an das gesamte kognitive System, so Lindenberger. Getestet werden sowohl Schnelligkeit als auch das Langzeitgedächtnis und die Geistesgegenwart des Teilnehmenden: "Man muss den Test schnell machen, man muss aus dem Langzeitgedächtnis die Sachen rausholen und man muss gleichzeitig so eine Art Erinnerung an die eigene Handlung neben sich herführen, damit man nicht ständig wieder die gleichen beiden Wörter wiederholt", erklärt Lindenberger.
Abgrenzung zu anderen kognitiven Tests
Da der Test die verbleibende Lebenszeit einschätzen will, ist er anders aufgebaut als klassische kognitive Tests. Diese prüfen meist, ob man mehrere Dinge gleichzeitig im Kopf behalten kann, logisch schlussfolgern oder sich an Wortlisten erinnern kann. Solche Fähigkeiten nehmen bereits ab dem mittleren Erwachsenenalter messbar ab, so der Psychologe. Die Fähigkeit, in kurzer Zeit viele Tiernamen zu finden, bleibt hingegen länger erhalten - trotz kognitiven Alterns.
Lindenberger erklärt dazu: "Wenn diese Fähigkeit anfängt nachzulassen, dann scheint dies in einem besonderen Zusammenhang zur abnehmenden Lebenserwartung zu stehen."
So eine Abnahme kognitiver Fähigkeiten fiel Lindenberger schon früher bei Personen mit Demenz auf. Als junger Forscher hat er viele der Testsitzungen durchgeführt. Er erinnert sich an typische Antwortmuster: "'Was sollte ich machen? Katze, Hund... was war die Aufgabe? Katze, Hund…’ - Das habe ich mehrmals beobachtet, und das kann man sich so vorstellen, dass im Langzeitgedächtnis einfach Katze und Hund die beiden Tiere sind, die am stärksten aktiviert sind." Gleichzeitig vergessen die Betroffenen die Aufgabe und erinnern sich dann auch nicht mehr an ihre vorherigen Antworten - und wiederholen auf Nachfrage erneut "Katze, Hund“.
Testergebnisse unabhängig von Bildung und Einkommen
Die Forschenden untersuchten auch, wie sich der Bildungsgrad und das Nettoeinkommen der Teilnehmenden auf den Test auswirken. Ihr Ergebnis: Auch wenn Personen mit höherer Bildung meist über einen größeren Wortschatz verfügen, ändere das nichts am Zusammenhang zwischen Testergebnis und Lebenserwartung.
Nach Meinung der Forschenden liegt das daran, dass Tiere ein sehr alltagsnahes Thema sind - unabhängig von Lebensstandard oder Bildungsniveau. Auch Menschen mit geringerer formaler Bildung haben häufig intensiven Kontakt zu Tieren - etwa durch ihre Lebensumstände oder ihren Beruf.
Kombination mit Flamingo-Test denkbar
Im Herbst 2024 hatte der sogenannte Flamingo-Test für Aufmerksamkeit gesorgt. Wer länger auf einem Bein stehen kann, lebt laut Studien tendenziell länger. Lindenberger hält es für möglich, dass beide Tests - Sprachtest und Balance-Test - kombiniert noch aussagekräftiger sein könnten.
Beide Tests messen unterschiedliche Aspekte des Alterns: Der eine betrifft die kognitive Verarbeitung, der andere die körperliche Koordination. Laut Lindenberger könnte die Kombination zusätzliche Hinweise auf die individuelle Lebensspanne geben.
Abschließend betont Lindenberger, dass sich statistische Aussagen über den Zusammenhang zwischen einer Testleistung wie Tiere nennen und der Lebenserwartung nicht auf die einzelne Person übertragen lassen. "Die Zusammenhänge drücken eine Wahrscheinlichkeit aus. Sichere Aussagen über die tatsächlich verbleibende Lebenszeit einzelner Personen lassen sich daraus nicht ableiten."