
Beschwerden über Zustellung Was Kunden bei Paket-Ärger tun können
Die Zahl der Beschwerden über verloren gegangene Pakete und Briefe hat Rekord-Niveau erreicht. Was Verbraucherschützer betroffenen Postkunden raten.
Das Paket war wuchtig und schwer. Wochenlang brauchte der neue Wohnzimmertisch, bis er endlich beim Empfänger im hessischen Bruchköbel ankam. Als der Paketzusteller klingelte und merkte, dass niemand zu Hause war, stellte er die Lieferung einfach vor die Tür. Eine Abstellgenehmigung gab es nicht. Das schwere Paket wieder ins Zustellzentrum zurück zu schleppen, war dem Zusteller offenbar zu viel. Schließlich war sein Lieferwagen noch übervoll, und die Uhr saß ihm schon im Nacken. Doch als der Kunde am Abend nach Hause kam, war das Paket verschwunden. Und dann ging das Theater los.
Kein Einzelfall. Bei den Paketdienstleistern und der Bundesnetzagentur häufen sich die Beschwerden. Mal wird das Paket ohne Genehmigung abgestellt, mal liegt es irgendwo im Garten, mal fliegen Päckchen über die Mauer in den Hinterhof, mal liegen sie neben den Mülleimern. Doch nicht nur das. Ein Kunde in Köln, der dringend auf ein Ersatzteil wartete, berichtete kürzlich, wie der Hermes-Paketbote mit seinem Lieferwagen zwar vor die Tür fuhr, doch keine Anstalten machte, es auch auszuliefern. Stattdessen rauchte er lieber eine Zigarette, um dann unverrichteter Dinge wieder abzurauschen. Der Grund: Das Paket lag im Lieferwagen ganz unten, darüber zahlreiche andere schwere Pakete. Die Lieferung da herauszuziehen, war dem Zusteller offenbar zu anstrengend.
Um der Überwachung aus der Zentrale aber Genüge zu tun, fuhr er die Adresse des Empfängers zumindest an. Um dann am Abend vorzugeben, der Kunde sei nicht zu Hause gewesen. Nur weil der Empfänger den Lieferwagen zufällig sah und nachfragte, wurde die vorher schon einmal unnötigerweise zurückgeschickte Sendung doch noch ausgehändigt.
Beschwerden auf Rekordhoch
Rund 420.000 Beschwerden hat der Platzhirsch DHL/Deutsche Post allein im vergangenen Jahr erhalten, weil Pakete oder Briefe verloren gingen, verspätet ankamen, gestohlen oder beschädigt wurden. Das war deutlich mehr als bislang bekannt. Einen kräftigen Anstieg melden auch die Wettbewerber Hermes, DPD, GLS und Co., wenn sie sich überhaupt in die Bücher schauen lassen. Bei der zuständigen Aufsichtsbehörde, der Bundesnetzagentur, gab es im gleichen Zeitraum etwa 39.500 Beschwerden über DHL/Deutsche Post. Rund 44.400 Reklamationen waren es inklusive der Wettbewerber. So viele gab es noch nie.
Dass die amtlichen Beschwerdezahlen deutlich geringer ausfallen als die Angaben der Post- und Paketdienstleister, liegt daran, dass sich die Kunden meistens zunächst an das Unternehmen wenden. Nur ein Bruchteil schaltet auch die Bundesnetzagentur ein. Dies wohl auch, weil der Bonner Behörde vorgeworfen wird, es mit dem Verbraucherschutz nicht so ernst zu nehmen, wie Verbraucherverbände immer wieder bemängeln.
Auch die Dunkelziffer dürfte erheblich sein. "Die Probleme verstärken sich und werden seit Jahren immer schlimmer", berichtet auch Klaus Gettwart, Vorsitzender des Deutschen Verbandes für Post, Informationstechnologie und Telekommunikation (DVPT) gegenüber tagesschau.de. Die Schäden gingen in die Millionen, so der Verband - "nicht nur bei Verbraucherinnen und Verbrauchern, sondern auch bei den Unternehmen".
Kritik an Arbeitsbedingungen
Ursachen für die zunehmende Schlamperei gibt es viele. Tatsächlich haben die Paketzusteller einen harten Job, und einige Firmen setzen sie auch unter Druck. Bei nicht gerade üppiger Bezahlung müssen die Zusteller immer mehr Pakete in immer weniger Zeit zustellen. Überstunden sind gang und gäbe, immer wieder zahlen eingesetzte Subunternehmer auch unter Mindestlohn, wie die Gewerkschaft ver.di berichtet. Sie fordert deshalb seit langem ein Verbot von Subunternehmen und Werkverträgen wie in der Fleischwirtschaft.
Hinzu kommt, dass viele Mitarbeitende schlecht geschult sind, häufig fehlt es an Orts- und Sprachkenntnissen. Auch die Fluktuation bei den Mitarbeitenden ist hoch. Bei Stress und schlechter Bezahlung schmeißen viele schnell wieder hin. All dies, obwohl die Bundesnetzagentur Porto-Erhöhungen immer schnell und großzügig genehmigt und die Paketdienstleister sprudelnde Gewinne verzeichnen, nachdem sie in den boomenden Corona-Zeiten kräftige Rücklagen angehäuft haben.
Für die Postkunden ist das besonders ärgerlich. Denn wenn das Paket weg ist, fangen die Probleme erst richtig an. Auf Beschwerden reagieren die Paketdienste nur selten, weil der Kundenservice überlastet ist. Druck auf den Einzelhändler auszuüben, der den Paketdienstleister ja beauftragt hat und eigentlich für die Beschwerde zuständig ist, hilft meistens auch nicht. Zwar gibt es Unternehmen wie Amazon, die sich kulant zeigen und die Sache für den Kunden regeln. Andere reagieren kaum auf Beschwerden. Verbraucherschützer berichten, dass Kunden es teilweise schnell mit einem Inkassodienst zu tun haben, wenn sie sich weigern, nicht erhaltene Ware zu bezahlen.
Vorsicht bei Abstellgenehmigungen
Kunden sollten deshalb vorsichtiger sein, wenn sie im Internet Waren bestellen. Bei hochwertigen Produkten sollte man auf die Lieferung per Paket lieber gleich verzichten oder eine Versicherung abschließen, raten die Verbraucherzentralen. Auch mit der Abstellgenehmigung, die die Paketdienstleister gerne einfordern, um sich das Leben leichter zu machen, sollte man extrem vorsichtig sein. "Die sollte man nur geben, wenn die Sendung am genehmigten Ablageort wirklich sicher ist", sagt DVPT-Vorsitzender Klaus Gettwart. Ansonsten lieber darauf verzichten. "Denn wenn die Genehmigung erteilt ist, wandert die Haftung vom Paketdienstleister auf den Kunden", so Gettwart. Der hat dann auf jeden Fall den Schaden.
Verbraucherschützer raten auch, nicht locker zu lassen und bei verlorenen oder beschädigten Paketen unbedingt die Kosten einzufordern. Für viele Verbraucherinnen und Verbraucher mag es sinnvoll sein, sich Sendungen in eine Packstation liefern oder bei einem Nachbarn, auf den man sich verlassen kann, abgeben zu lassen, wenn niemand zu Hause ist.
Deutsche Post: "Kein flächendeckendes Problem"
Dass sich an der Situation viel ändert, ist nicht zu erwarten. Zwar sieht das jüngst reformierte Postgesetz zahlreiche Maßnahmen vor, die die Qualität der Zustellung verbessern sollen. So ist jetzt auch eine Berichtspflicht der Paketfirmen verankert. Doch bei einer Schwemme von täglich mehr als zehn Millionen Paketen und den Rahmenbedingungen gibt es nur wenig Anreize für die Firmen, sich zu bessern. Denn auf die Zahl aller Sendungen hochgerechnet ist der Beschwerdeanteil relativ gering. Im vergangenen Jahr betrug er nach Angaben der Unternehmen bei DHL/Deutsche Post bei 0,0033 Prozent, bei DPD bei 0,11 Prozent und bei GLS 0,1 Prozent.
Die Deutsche Post AG, die nun auch noch 8.000 Stellen streichen will, sieht in den Entwicklungen ohnehin kein Problem - schließlich habe der Weltpostverband das Unternehmen zusammen mit der Schweizer Post erst kürzlich zum besten Postdienstleister weltweit gekürt, heißt es aus der Bonner Konzernzentrale. Zwar gehe auch bei dem Bonner Konzern hin und wieder mal etwas schief, aber "wir haben keine größeren Qualitätsprobleme", sagt Post-Sprecher Hans-Christian Mennenga. "Ich halte es für einen Mythos, dass das ein flächendeckendes Problem ist."