
Bürokratie, Kosten, Personal Wie viel Arbeit der Arbeitsschutz macht
Arbeitsschutzmaßnahmen sind in Deutschland bis ins kleinste Detail geregelt. Doch besonders kleine Unternehmen klagen über einen Dschungel an Bürokratie und über hohe Kosten. Was lässt sich optimieren?
Handverletzungen seien bei ihnen im Handwerksbetrieb die häufigste Form der Verletzungen, erzählt Geschäftsführerin Annegret Vogelsang-Foley. Häufig ist dabei relativ. In ihrer Firma Vogelsang Klimatechnik, die Klimaanlagen vertreibt und installiert, kommt auf 25 Beschäftigte im Schnitt ein Unfall pro Jahr. Dank genauestens umgesetzten und kontrollierten Arbeitsschutzmaßnahmen sind es nicht mehr.
"Das fängt damit an, dass wir natürlich für die persönliche Schutzausrüstung unserer Mitarbeiter Sorge tragen. Wir prüfen die Leitern, es wird regelmäßig überprüft, ob die Autos in Ordnung sind, ob alle einen Führerschein haben und so weiter und sofort", zählt sie auf. Die Liste ist lang. Seit 25 Jahren ist Vogelsang-Foley Geschäftsführerin des Bochumer Familienbetriebs - und seitdem sei die Bürokratie rund um den Arbeitsschutz immer mehr geworden, sagt sie.
10.000 Vorschriften zum Arbeitsschutz
Erst neulich habe einer ihrer Mitarbeiter an einer dreitägigen Schulung teilgenommen - plus fünf Tage nachträgliche Arbeit, um alle möglichen Gefahrenszenarios durchzudenken und zu dokumentieren. Ihre Schätzung: Die Gefahrenbeurteilung, Sicherheitsunterweisungen und vor allem aber die Dokumentation der zahlreichen Sicherheitsmaßnahmen beschäftige eine Vollzeitkraft etwa einen Monat pro Jahr.
Einiges davon könne theoretisch eine Künstliche Intelligenz (KI) übernehmen, das haben sie bereits getestet. Aber für Unternehmen ist wichtig, dass alles für den Fall der Fälle rechtssicher ist. Diese Garantie kann eine KI bisher nicht geben.
Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) spricht von einem "Vorschriften-Dschungel" für Unternehmen in Deutschland. Sie müssten etwa 10.000 Einzelanforderungen im Arbeitsschutz beachten, heißt es basierend auf BDA-Schätzungen in einem Positionspapier. Hunderttausende Sicherheitsbeauftragte in den Betrieben würden diese Vorschriften überprüfen. Das belaste besonders kleine Unternehmen - wie das von Annegret Vogelsang. Auch weil etwa Schulungen bei externen Bildungsträgern laut BDA rund 650 Euro pro Tag und Person kosten.
Viele Regeln betreffen nur einzelne Unternehmen
Anke Kahl forscht am Lehrstuhl für Arbeitssicherheit an der Uni Wuppertal und leitet den Ausschuss für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (ASGA). Dieser soll seit 2021 das Arbeitsschutz-Regelwerk für das Ministerium für Arbeit und Soziales vereinfachen. Sie sagt: Es gebe zwar viele Regeln, aber die wenigsten davon würden die breite Masse der Unternehmen betreffen.
Und besonders die zunächst kleinkariert erscheinenden Vorschriften würden oft Branchen mit einem hohen Gefährdungspotenzial betreffen - man könne also nicht einfach den Rotstift ansetzen. "Wir müssen reduzieren, aber da müssen wir genau hinschauen. Es geht nicht nach einer Zahl, sondern wir müssen uns die Inhalte anschauen und müssen schauen: Wie viel werden die genutzt? Braucht es die noch?"
Nicht nur Unfälle entscheidend
Schaut man sich die Entwicklung der Arbeitsunfälle in Deutschland an, zeigt sich ein positiver Trend: Unfälle bei der Arbeit werden weniger. 2024 waren es laut der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung rund 750.000. Das sind 21 Unfälle pro 1.000 Beschäftigte und immerhin ein Drittel weniger als noch vor zwanzig Jahren. Das liegt unter dem EU-Durchschnitt.
Neben einem strengen Arbeitsschutz dürfte das aber auch am Strukturwandel liegen: potenziell gefährliche Handwerks- und Industrieberufe werden weniger, Dienstleistungen und Schreibtischjobs hingegen mehr.
Trotzdem sei das laut Anke Kahl nicht der einzige Maßstab, der in der Arbeitsschutz-Debatte zählen sollte: "Wichtig ist vor allem auch: Wie viele Beschäftigte erkranken arbeitsbedingt? Wenn zum Beispiel jemand ein Leben lang auf der Baustelle arbeitet und durch die Sonne Hautkrebs bekommt, dann zählt das nicht als Arbeitsunfall. Arbeitsschutz sollte aber auch so etwas berücksichtigen."
Mehr digitale Schulungen
Sie verstehe aber auch die Frustration der Unternehmer. In Zukunft sollen Schulungen und Unterweisungen, wenn möglich, häufiger digital erledigt werden können. Und auch Künstliche Intelligenz soll zum Einsatz kommen, etwa um genaue Sicherheitspläne für jedes Unternehmen zu erstellen. Unternehmerin Vogelsang-Foley fände das wünschenswert.
Der Koalitionsvertrag von Union und SPD plant noch für 2025 erste Maßnahmen, um die Bürokratie für Unternehmen abzubauen und spricht auch die von Unternehmern beklagten Dokumentationspflichten an. Die Regierung wolle stattdessen eher auf Sanktionen bei Verstößen setzen.