
Immersive Ausstellungen Kunst zum Eintauchen
Immersive Ausstellungen machen Kunst mit gewaltigen Projektionen neu erlebbar. In Hamburg sind gerade Werke von Hundertwasser und Klimt zu sehen. Macht das die Kunstwelt zugänglicher?
Ein Farbenmeer läuft über Wände und Böden der 1.700 Quadratmeter großen Halle. Spiegelnde Säulen stützen die Decke in der Höhe. Die bunten Bilder sind ständig in Bewegung. An der Decke und den Säulen sind 80 Videoprojektoren befestigt, die das Universum von Friedensreich Hundertwasser zum Leben erwecken. Es fallen Hunderte bunte Regentropfen, dann wachsen Bäume empor mit Baumkronen aus grünen Spiralen.
Schließlich baut sich eine unendliche Fotocollage aus organisch geschwungenen Häusern mit Zwiebeltürmchen auf. Dazu läuft gefühlvolle Musik, mal schwermütig, mal beschwingt fröhlich. Auf Sitzsäcken und Sitzinseln haben es sich die Menschen gemütlich gemacht. Sie folgen dem Rausch der Farben und Töne für fast eine Viertelstunde.
Gleich danach läuft dort für gut eine halbe Stunde eine ebenso spektakuläre Show zu Gustav Klimt.

Auch die ohnehin sehr populären Werke des österreichischen Jugenstil-Malers Gustav Klimt werden im Hamburger Port des Lumières eingesetzt.
Einschränkungen durch das Urheberrecht
Für immersive Ausstellungen wie im neuen Hamburger Port des Lumières bearbeiten die Macher digitale Abbildungen. Sie blasen sie riesig auf und nehmen Einzelteile heraus, wie die Regentropfen bei Hundertwasser. Daraus bauen sie unendliche Reihen, oder sie animieren die Bilder in einer Art Kunst-Trickfilm. Visuell und technisch ist das beeindruckend.
Einschränkend wirkt hier allerdings das Urheberrecht: Es schützt Künstler davor, dass ihre Werke ohne Einwilligung als Ganzes oder in Teilen kopiert werden. Doch 70 Jahre nach dem Tod eines Künstlers wird sein Werk gemeinfrei. Jede und jeder darf sie nun kopieren, sich T-Shirts, Regenschirme oder Tassen bedrucken und verkaufen.
Hundertwasser ist erst 2000 gestorben. Seine Erben durften entscheiden, ob seine Kunst für eine immersive Ausstellung digital neu zusammengepuzzelt wird.
Das Gegenteil eines Museumsbesuchs
Immersive Kunstausstellungen gibt es schon seit gut 15 Jahren. Inzwischen ist es ein wachsender Trend. Das Unternehmen Culturespaces bietet solche Shows weltweit an, zum Beispiel in Paris, Amsterdam, New York oder Seoul. Die Shows sind spektakulär und in vielen Punkten das Gegenteil eines Museumsbesuchs.
Anstatt digitaler Bilder gibt es dort Originale. Im Museum bewegen sich die Betrachtenden von Bild zu Bild. Im Port des Lumières bewegen sich die Bilder wie in einem Film. In Kunstausstellungen gibt es keine Musik. Bei der Hundertwasser-Show unterstützt sie die Stimmung der Bilder. Im Museum hängen die Originale. Die immersive Ausstellung arbeitet mit digitalen Abbildungen. Größe und Bildaufbau werden veränderlich. Rahmen und Oberflächen gibt es nicht. Anfassen ist im Museum nicht erlaubt. Im Port des Lumières liegen die Besuchenden auf den Bodenprojektionen.
Ausstellung soll unterhalten
Eine immersive Ausstellung will unterhalten und ein Erlebnis schaffen. Das gelingt: Die meisten Besucher sind begeistert. Frühere Shows an anderen Hamburger Standorten über Marc Chagall oder Frida Kahlo waren so erfolgreich, dass sie verlängert wurden. Doch was bleibt außer einem Gefühl der Überwältigung? Wer auch etwas lernen will, kann im Eingangsbereich ein kurzes, leicht verständliches Video über Hundertwasser anschauen.
In einer klassischen Kunstausstellung ist das Wissensangebot ausgeprägter, etwa wie im Bucerius Kunst Forum. Das Ausstellungshaus am Hamburger Rathausmarkt bietet Führungen, einen Audioguide und Praxiskurse an. Wer Wikipedia nach den Künstlerinnen der aktuellen Ausstellung "In Her Hands. Bildhauerinnen des Surrealismus" befragt, wird dagegen nur knappe Artikel finden.
Kunst erleben und verstehen
Abhishek Kapoor war zuletzt in einer Kunstausstellung als Kind mit der Schule. Von Kunst habe er keine Ahnung, sagt er. Von der Show zu Friedensreich Hundertwasser sei er begeistert: "Man steht minutenlang so da und denkt sich: Wow, wow, wow!". Allerdings fühle er sich von den wechselnden Motiven auch ganz schön überfordert.
Als "Save the Wales" auf allen Wänden steht, interpretiert er alle Bilder von Hundertwasser als Umweltaktivismus. Die Bestätigung dafür liefert dann ein Bildschirm mit kurzen Informationen zum Künstler. Die stehen abseits, etwas versteckt auf der Galerie.
Der anschließende Besuch im Bucerius Kunst Forum ist zunächst ernüchternd farblos: Schwarz-Weiß-Fotos, Skulpturen aus Bronze und Gips. Kapoor ist erst auf den zweiten Blick fasziniert, beim Lesen des Begleithefts und beim Hören des Audioguides: "Jede Skulptur hat eine ganz lange Geschichte hinter sich. Hier geht man sehr in die Tiefe".
Ein leichter Einstieg in die Kunstwelt?
Fazit: Eine immersive Ausstellung ist ähnlich wie ein Kinobesuch - nur ohne Cola und Popcorn. Ein Besuch im Port des Lumières ist berauschend. Ein Besuch in einer klassischen Kunstausstellung erfordert mehr Denkarbeit. Als "Einstiegsdroge" für klassische Kunstausstellungen funktioniert eine immersive Ausstellung also eher nicht.