
Thüringen Wie Babys in Arnstadt eine ungewöhnliche Sprache lernen
In der Kinderkrippe "Regenbogen" in Arnstadt lernen die Kleinen mit Handzeichen zu kommunizieren. Mit der "Zwergensprache" können Kinder so schon ab acht Monaten verständlich machen, was sie wollen. Wir haben es uns angesehen, wie das Erziehern und Kindern hilft.
- Baby-Zeichensprache ist noch neu in Thüringen.
- "Zwergensprache" hilft, Bedürfnisse mit Gesten auszudrücken.
- Eltern können die Zeichen mitlernen.
Unbeschwert und fröhlich spielt die kleine Thalia mit den Tierfiguren. Doch ihr Start in der "Mäuse"-Gruppe der Kinderkrippe "Regenbogen" in Arnstadt war alles andere als einfach. Das Kind philippinischer Eltern weinte anfangs viel, erzählt Erzieherin Cindy Keil. Thalia hatte einen schweren Start mit vielen Tränen.

Die kleine Thalia spielt mit Tierfiguren und kennt schon für viele Tiere die passende Geste und das richtige Wort.
Thalia ist zwei Jahre alt. Ihre großen, dunklen Augen leuchten, während sie begeistert alle Gesten nachmacht, die Cindy Keil in den Krippenalltag einbaut. Dazu sagt sie auch immer die passende Vokabel. Thalia weiß, dass der Hahn mit aufgerichteten Fingern auf dem Kopf gezeigt wird, die Kuh durch zwei Hörner am Kopf symbolisiert wird und dass einmal mit dem Zeigefinger hin- und herwackeln "Hund" bedeutet. Als die Erzieherin mit überkreuzten und gespreizten Fingern fragt, wo ein Schmetterling zu sehen ist, zeigt das Kind auf seine pastellfarbenen Sandalen.
Baby-Zeichensprache noch neu in Thüringen
Cindy Keil ist die Babyzeichensprach-Beauftragte der Einrichtung. Sie hat zwei eigene Kinder - zwölf und drei Jahre alt. In ihrer Elternzeit interessierte sie sich für die Baby-Zeichensprache, fand jedoch damals kein passendes Angebot. Als Cindy Keil die Gelegenheit bekam, die "Zwergensprache" von einer Expertin zu lernen, meldete sie sich sofort für einen Kurs an.
Mir geht das Herz auf, wenn die Kinder das annehmen und wir sie wirklich verstehen. Cindy Keil | Erzieherin
Auch ihre Kollegen in Arnstadt interessierten sich dafür und belegten die Weiterbildung. Nun wenden alle Erzieher in der Kinderkrippe "Regenbogen" die Baby-Zeichensprache im Alltag an. Damit ist die Kinderkrippe laut Keil die erste in Thüringen, die systematisch in allen Gruppen auf die Baby-Zeichensprache setzt.
Nicht alle Kinder begeistern sich dafür - aber wenn, erlebt Cindy Keil wahre Glücksmomente. "Mir persönlich geht das Herz auf, wenn ich sehe, wie die Kinder das annehmen, wie begeistert sie sind, dass wir sie auch wirklich verstehen."
"Ein kleiner Junge, der schon mit wenigen Monaten in die Krippe kam, hat gerade beim Spielen die Geste für 'nochmal' gezeigt. Er hat gesehen, dass ich ihn verstehe, und ich wusste sofort, dass er nochmal die Musik hören wollte. Er hat verstanden, wie es funktioniert und was er damit erreichen kann", so Keil.

"Geht das Herz auf", wenn die Kinder sich ausdrücken können - Babysprachbeauftragte Cindy Keil in Arnstadt.
Bedürfnisse mit Gesten ausdrücken
Es geht viel um Bedürfnisse bei der "Zwergensprache": Müde sein, trinken, essen, spielen, aufräumen. Ganz wichtig sind auch die Gebärden für Schlafen (gefaltete Hände neben dem Kopf), Windelwechseln (Klopfen mit beiden Händen ans Becken), Mama (streichen über die Wange) und Papa (streichen über das Kinn). Im Eingangsbereich der Kinderkrippe steht ein großes Plakat mit 40 Gesten. Doch das ist nur ein Auszug.

Von Grundbedürfnis bis Sieb - für fast alles gibt es eine Baby-Gebärde.
Cindy Keil geht zum Bücherregal und holt ein Buch über "Babyzeichen" heraus. Ein Fachwälzer mit vielen Schwarz-Weiß-Fotos. Das lockt den kleinen Stefan an. Der Junge blättert immer wieder im Teil mit den Bildern. Er brabbelt und zeigt verschiedene Gesten, die er auf den Bildern sieht. Nicht alles wird vermittelt - es gibt zum Beispiel auch ein Zeichen für "Sieb". Das brauchten die "Mäuse" bisher noch nicht.

Stefan (Mitte) ist ganz begeistert vom Buch mit der Baby-Zeichensprache. Sonst spricht der Junge Russisch.
"Feuerwehr" und "Flugzeug" hingegen sind schon eher gefragt. Oder auch die Baby-Gebärde der Woche: "Baby." Dazu wiegt Cindy Keil die Arme hin und her. Die Geste ist wichtig für die "Mäuse", weil hier seit kurzem ein vier Monate altes Baby Teil der Gruppe ist, mit dem man ganz vorsichtig umgehen muss.

Es gibt Hunderte Gesten in der Baby-Zeichensprache. Nicht alle werden vermittelt. Bei manchen gibt es auch mehrere Versionen - hier haben sich die Erzieherinnen auf eine geeinigt. Etwa beim Hund mit dem wackelnden FInger.
Eltern können die Zeichen mitlernen
Die "Igel"-Gruppe nebenan hat kein "eigenes Baby" - war aber gerade viel in der Kinderküche und hat deshalb das Wort "Topf" gelernt. Je nachdem, was die Gruppe so beschäftigt, suchen die Erzieher eine passende Geste aus.
So kann ein Kind mit acht bis zehn Monaten zeigen, dass es Milch möchte. Cindy Keil | Erzieherin
Das Zeichen der Woche ist dann immer eine Woche lang auf einem Bildschirm im Eingangsbereich zu sehen - damit auch die Eltern mitlernen können. Für sie gibt es auch eine Karte mit den Top-Gesten oder für einen einmaligen Beitrag eine App, in der sie nach "Zwergensprache" suchen und dazu Videos ansehen können.
"Man kann von Anfang an damit beginnen - etwa beim Stillen. So wird dem Kind signalisiert, dass es jetzt Milch gibt. Und je nachdem, wie ambitioniert das Kind ist, kann es mit acht bis zehn Monaten zeigen, dass es Milch möchte", so Cindy Keil. Dafür einfach ein kleines Fäustchen machen und den Daumen etwas strecken.

Fäustchen zusammen, Daumen leicht nach oben: Ich will Milch!
Manche Eltern würden auch anders verstehen, was ihre Kinder wollen, räumt Cindy Keil ein. Hier in der Krippe hilft es in jedem Fall. Denn alle benutzen die gleichen Gesten.
"Wir haben auch Eingewöhnungskinder hier, bei denen die Eltern schon mitmachen. Vergangene Woche hatte ein Kind einen Pullover mit Blumen drauf an. Die anderen kamen hin und machten das Zeichen für Blume - und die Mama zeigte die Geste, bei der sich die Faust wie eine aufblühende Blume langsam öffnet und sagte Blume", freut sich Keil. Zeigen und dazu sprechen - eher beiläufig. Das ersetzt nicht das Sprechen, es ergänzt es, so die Erzieherin. Besonders bei Kindern mit Migrationshintergrund würde die Baby-Zeichensprache bei der Integration in die Gruppe helfen. Die Kinder untereinander verstehen sich auch so. Aber in der Kommunikation mit den Erwachsenen hilft die "Zwergensprache" enorm, so Keil.
Bäuchlein reiben bei Hunger
Das wird auch bei den Vorbereitungen fürs Mittagessen deutlich. Es geht darum, ob es Tee oder Wasser aus einem Becher oder Glas geben soll. Der kleine Stefan erzählt etwas auf Russisch. Außer "да", also ja - verstehen die anderen hier nichts. Das geht mit "Zwergensprache" dann schon besser. "Die Frustration sinkt", sagt Cindy Keil.
Die Kinder sitzen am Tisch. Gleich gibt es Königsberger Klopse mit Kartoffeln und Roter Beete. Vorher noch ein Spruch - bei dem die vielen Kinder auch die passenden Gesten mitmachen. Erzieherin Cindy Keil spricht vor und gebärdet mit:
Mein Teller - der ist voll,
mein Bauch - der ist ganz leer
Er brummt, wie ein Bär.
Piep, piep, piep -
recht guten Appetit!
Danke gleichfalls.

Das Mittagessen wird mit einem kleinen Spruch eingeläutet - dazu werden zum Beispiel die Gesten für "Hunger" gezeigt.
Reibt man mit der flachen Hand über den Bauch, steht das für Hunger. Einige Kinder sprechen auch einzelne Wörter mit. Zeigen und Sprechen ergänzen sich. Irgendwann löst das Reden die Geste ab. Bis dahin ist die "Zwergensprache" eine gute Alternative zum Weinen und Rätseln, was die Kleinkinder wohl meinen könnten.
MDR (ifl)