
Thüringen Verwundete Bundeswehr-Einsatzveteranen auf Radtour durch Deutschland
Einsatzveteranen der Bundeswehr radeln in diesen Tagen von Bayern nach Berlin. Die Soldaten, die zum Teil schwere Verletzungen in Gefechten in Afghanistan erlitten haben, wollen auf die Situation von Veteranen aufmerksam machen - und für Zuversicht und Kameradschaft werben. Am Mittwoch führte ihre Tour durch Ostthüringen nach Gera. Mit dabei: Bundeswehr-Soldaten aus dem Standort Gera, unter ihnen der 2010 in Afghanistan schwer verwundete Sven Hornig aus dem Saale-Orla-Kreis.
Parkplatz Wünschendorf bei Weida am Mittwoch: Um die Mittagszeit rollt ein roter Transporter auf den Platz. Seine Insassen: Sven Hornig, seine Mutter Doris und seine Betreuerin.
Heute ist ein besonderer Tag im Leben des Bundeswehr-Hauptfeldwebels Hornig aus dem Saale-Orla-Kreis. Er wird gemeinsam mit Kameraden aus seiner Einheit, dem Panzerpionierbataillon 701 in Gera, sowie weiteren Einsatzveteranen der Bundeswehr Fahrrad fahren. Für den Mittvierziger, der seit seinem Auslandseinsatz vor 15 Jahren im Rollstuhl sitzt, keine Alltäglichkeit.
Schwer verwundet in Afghanistan
Hornig war im April 2010 in Afghanistan als Kampfmittelräumer der Bundeswehr im Einsatz. Seine Aufgabe: Minen oder versteckte Sprengsätze finden und entschärfen. Am 15. April, gut zwei Wochen nach dem denkwürdigen Karfreitagsgefecht, in dem drei Fallschirmjäger der Bundeswehr in einem stundenlangen Kampf gegen Taliban gefallen waren, war Hornig mit einer Bundeswehr-Patrouille im Norden Afghanistans unterwegs. Die Patrouille geriet in einen Hinterhalt der Taliban. Das gepanzerte Fahrzeug "Eagle", in dem Hornig saß, wurde an einer Brücke von einem versteckten Sprengsatz zerstört. Drei deutsche Soldaten starben, fünf weitere wurden verletzt. Hornig erlitt zahlreiche Knochenbrüche und ein schweres Schädel-Hirn-Trauma.
Seither hat Hornig einen langen Weg zurück in ein möglichst normales Leben zurückgelegt. So normal, wie man als Schwerstverwundeter im Rollstuhl leben kann. Die Fahrradtour heute ist so ein Stück neue Normalität.
Dörte Krampitz aus Fraureuth ist auch mit einem Transporter gekommen. Aus diesem hat sie eine Art Doppelsitzer-E-Bike rausgerollt. In dem Gefährt, das in etwa soviel wie ein Kleinwagen kostet, werden Sven Hornig und Hauptfeldwebel René Erdmann gemeinsam von Wünschendorf nach Gera radeln. Erdmann ist Lotse für einsatzgeschädigte Soldatinnen und Soldaten in der Kaserne in Gera und gehört seit einigen Jahren zum Betreuungsteam für Sven Hornig.

Mit dem Gefährt soll es nach Gera gehen: Sven Hornig nimmt das Bike in Augenschein. Begleiten wird ihn René Erdmann vom Panzerpionierbataillon 701. Dörte Krampitz erklärt, wie das Gefährt zu bedienen ist.
Hornig und Erdmann werden nicht allein nach Gera rollen. Sie warten auf die "Battlefield Cyclists", die jeden Moment hier auf dem Parkplatz Wünschendorf ankommen sollen. Die "Cyclists" sind eine Gruppe von Einsatzveteranen der Bundeswehr, die am 8. Juni im bayerischen Regen zu ihrer "Tour of Valor" aufgebrochen sind. Ziel der mehrtägigen Tour ist Berlin, wo am 15. Juni erstmals der 2024 vom Bundestag beschlossene nationale Veteranentag mit einer zentralen Veranstaltung am Parlament begangen wird.
Sven Hornig und sein Begleiter probieren schon mal das Doppel-E-Bike aus. "Steuermann" Erdmann wird lenken und in die Pedale treten, Sven Hornig wird dabei unterstützen. "Er kann entweder selbst mit in die Pedale treten oder, wenn er nicht mehr kann, seine Beine durch die Pedale bewegen lassen", erläutert Dörte Krampitz. So habe das Bike verschiedene Möglichkeiten der Bewegungstherapie.
Von Bayern nach Berlin
Und während das Tandem-Duo sein Gefährt ausprobiert, trudeln die "Battlefield Cyclists" ein. Männer und Frauen in blauen und grünen Shirts. Eine Panne hat ihren Zeitplan etwas durcheinandergebracht. Stört aber niemanden. Auf dem Parkplatz ein fröhliches Hallo und eine kurze Trinkpause.
Die in Blau gekleideten Radler sind die Einsatzveteranen, und die in olivgrün Angehörige des Panzerpionierbataillons in Gera. Wobei die Teilnehmer selbst hier keinen Unterschied machen: "Wir sind alles aktive Soldaten", betont Stefan Huss, einer der Tour-Organisatoren. Auf der heutigen Etappe von der bayerisch-thüringischen Grenze nach Gera sind mehrere Soldatinnen und Soldaten aus Gera dabei, und mancher von ihnen hat ebenfalls Auslandseinsätze absolviert. Dass einige Geraer Soldaten hier mitfahren, freut die "Battlefield Cyclists" besonders. Und die Teilnahme Sven Hornigs sei etwas Besonderes. "Wir wollen ja allen zeigen, dass man trotz Beeinträchtigung immer noch Teil der Gemeinschaft sein kann. Für uns war es wichtig, Sven da mit einzugliedern und ihn mit nach Gera zu nehmen", sagt Huss.

Die Erinnerung wachhalten: Auf den Shirts werden die Namen der in Auslandseinsätzen ums Leben gekommenen Bundeswehr-Soldaten aufgelistet.
Wir wollen mit dieser Radtour den 120 gefallenen oder im Dienst verstorbenen Soldaten gedenken. Wir wollen die Aufmerksamkeit wecken für den Soldatenberuf. Und wir wollen zeigen, was trotz Einsatzschädigung und Beeinträchtigung immer noch möglich ist. Tour-Organisator Stefan Huss |
Nach zehn Minuten geht es weiter, Hornig und Erdmann fahren in ihrem Doppelsitzer mit an der Spitze der Truppe. Die Route führt über den Elster-Radweg nach Gera hinein. Hier und da begegnen den "Battlefield Cyclists" andere Radfahrer und Fußgänger - manche mit erstauntem oder fragendem Blick, wer hier wohl unterwegs ist. Zwei Polizeibeamte auf Fahrrädern begleiten die Truppe und stoppen bei Straßenüberquerungen kurz den Autoverkehr.
Begrüßungskomitee vor der Stadt: Oberbürgermeister und Bataillonskommandeur
Kurz vor Gera nehmen Oberbürgermeister Kurt Dannenberg (CDU) und Bataillonskommandeur Oberstleutnant Tobias Kloiber die "Battlefield Cyclists" in Empfang - Dannenberg in Jeans und Jackett, Kloiber in Flecktarn, beide auf Fahrrädern.
Im Pulk fährt auch Hornigs Kompaniechefin mit. Der Tag sei für sie und ihre Leute von großer Bedeutung, sagt die Offizierin. "Für mich war es eine Selbstverständlichkeit. Ich habe in meiner Kompanie acht einsatzbeschädigte Soldaten. Der Tag gilt ihnen, aber auch uns für den Teamgeist." Es gehe auch darum, dass Soldatinnen und Soldaten sich in der Öffentlichkeit zeigen. "Wir haben heute keine negativen Reaktionen gehabt, im Gegenteil, Zurufe und Winken."
Gegen 15 Uhr erreicht die Kolonne das heutige Etappenziel: den Marktplatz von Gera. Ein großes Zieltor ist aufgebaut, ein Infowagen des Veteranenbüros steht an der Seite, daneben ein Zelt des Bundeswehr-Verbandes. Beifall empfängt die Radfahrer - und mancher neugierige Blick von Gästen auf den Freisitzen der Cafés auf dem Markt.
Eine Gelbe Schleife als Zeichen der Verbundenheit
Als Zeichen des Danks für den Empfang überreichen Stefan Huss und Mitorganisator Naef Adebar dem Oberbürgermeister eine gelbe Schleife. Dieses Symbol symbolisiert die Verbundenheit einer Gemeinde mit der Bundeswehr und wird in der Regel an den Ortseingangsschildern angebracht.
Mit bewegenden Worten erinnert Oberbürgermeister Dannenberg an den 15. April 2010, den Tag, an dem Sven Hornig in Afghanistan schwer verwundet wurde. Dannenberg war damals Kommandeur des Panzerpionierbataillons in Gera und überbrachte Hornigs Mutter die Nachricht von der Verwundung ihres Sohnes. "Wir haben zusammen gebetet", erinnert er sich, und Doris Hornig kommen die Tränen. Sie eilt zu ihrem Sohn und umarmt ihn fest.
Es sei beeindruckend für ihn zu sehen, wie sich Sven Hornig seit dem tragischen Geschehen in Afghanistan entwickelt und gekämpft habe, sagt Dannenberg im Gespräch mit MDR THÜRINGEN. Der Soldat und seine Familie hätten die Hoffnung nicht aufgegeben, und das imponiere ihm, sagt Dannenberg.
Allein, wenn ich mir die Situation von Hauptfeld Hornig angucke. Ich war ja zu der Zeit selber Kommandeur auf dem Hain. Und dann ist es auch schön zu sehen, wie Menschen die Hoffnung nicht aufgeben. Wie Menschen schwere Schicksale erleiden und trotzdem weiter kämpfen. Kurt Dannenberg (CDU), Oberbürgermeister von Gera |
Teamgeist und Kameradschaft spielen zentrale Rolle
Radsport-Legende Olaf Ludwig steht im olivgrünen Shirt auf dem Platz und hört den Rednern zu. Er hat die Etappe von Bayern nach Gera mitgemacht. Zum Thema Veteranen habe er bisher kaum persönlichen Bezug gehabt, sagt er im Gespräch mit dem MDR. "Doch die Geschichten der Betroffenen hier persönlich zu hören, das war schon sehr beeindruckend", sagt er. Und Parallelen zwischen Bundeswehr und Sport sehe er durchaus: Teamgeist und Kameradschaft spiele in beiden Bereichen eine zentrale Rolle.

Auf der Etappe mit dabei: Radsport-Legende Olaf Ludwig (Bildmitte)
Sven Hornig ist zufrieden mit seiner Tour und dem E-Bike. Es sei sehr schön gewesen, sagt er. Und der Empfang hier auf dem Marktplatz sei "genial, weil es für uns ist". Und zum Abschluss fährt er noch mit seiner Mutter an der Seite ein Stück über den Platz. "Es wäre schön, wenn wir so ein Gefährt für Sven bekommen könnten", sagt sie. Nicht ohne Grund: Zwar bezahlt die Bundeswehr dem Soldaten Hornig die notwendigen Therapien und hat auch einen Zuschuss zum Bau seines barrierefreien Wohnhauses in seinem Heimatort gegeben. Doch man müsse über alles immer wieder verhandeln, sagt Doris Hornig.
Veteranentag wird erstmals begangen
Wie die Bundeswehr mit ihren an Leib und Seele verwundeten aktiven und ehemaligen Soldaten umgeht - auch das ist ein Thema beim bundesweiten Veteranentag am 15. Juni. In Berlin planen Bundestag, Regierung und Bundeswehr eine große, zentrale Veranstaltung. Doch auch in Kommunen wird es lokale Veranstaltungen geben, beispielsweise in Arnstadt. Der Thüringer Landtag will mit einem Transparent am Gebäude die Veteranen der Bundeswehr würdigen. Eine eigene Veranstaltung zu organisieren, sei wegen der erst im April erfolgten Verabschiedung des Haushalts nicht mehr möglich gewesen, heißt es aus der Pressestelle. "Zukünftig wird der Veteranentag auch durch eine Festveranstaltung im Landtag gewürdigt."
MDR (dr)