
Schleswig-Holstein Wolfsrisse im Kreis Segeberg "völlig erwartbar und normal"?
Im Kreis Segeberg gab es in letzter Zeit mehrere Wolfsangriffe gegen Weidetiere. Doch keiner davon ist laut Wolfsmanagement Grund zur Beunruhigung. Nutztierhalter stehen nach eigenen Angaben vor einem Dilemma.
Eigentlich sollten Schafe im Moment draußen stehen, auf einer saftigen Wiese im Kreis Segeberg unter freiem Himmel. Aktuell heißt es für manche von ihnen aber: Stall. Grund ist der Wolf. Einer oder mehrere Wölfe kamen Anfang Mai an mindestens vier nicht oder unzureichend gesicherten Weiden in Südholstein vorbei, überwanden die Zäune und gingen auf Jagd.
Schafhalterin aus dem Kreis Segeberg: "Tiere lagen über die ganze Weide verteilt"
Eine Schafhalterin, die ihre Tiere tot und verletzt aufgefunden hat, ist Katharina Ehmke. Sie ist eine der wenigen Betroffenen, die offen mit NDR Schleswig-Holstein sprechen. Zu aufgeladen scheint das Thema Wolf. Wir treffen sie in dem Stall, in dem der Rest ihrer Herde vorübergehend Asyl gefunden hat. Täglich muss sie nach eigenen Angaben Wunden reinigen, gebissen wurden fast alle Tiere ihrer Herde.
Eines der Schafe ist vor lauter Verzweiflung in den Graben geflüchtet. Das macht mich schon nachhaltig fertig, mir zu überlegen, was da nachts passiert sein muss."
— Katharina Ehmke, Schafhalterin
Sie züchtet als Hobby-Halterin Coburger Fuchsschafe, eine bedrohte Haustierrasse. 18 Tiere zählte ihre kleine Herde vor dem Wolf, jetzt sind es noch neun - sieben davon Jungtiere und Lämmer. Ehmkes Herde wechselt oft den Standort, betreibt Landschaftspflege, wie sie sagt. "Überall da, wo es zu nass oder klein für die Landwirte ist, um mit großem Gerät was zu machen." Einen wolfsabweisenden Zaun habe sie bislang nicht im Einsatz, obwohl sie Anspruch auf Geld vom Land für die Anschaffung hätte. Dieser müsste mindestens 1,20 Meter hoch sein und 3000 Volt Spannung führen. Der Zeitaufwand, solch einen massiven Zaun alle paar Tage neu zu ziehen, sei für sie neben dem Job einfach zu groß. So gehe es vielen der Hobby-Halter ohne eigenes Grundstück, sagt Ehmke.
Wolfsmanager: Verhalten der Wölfe im Land normal und unauffällig
Wie viele Wölfe genau für die aktuellen Rissvorfälle in Südholstein über die vergangenen Wochen verantwortlich sind, wird aktuell noch untersucht. Bis zu zwei Monate kann das dauern. Durch DNA gesichert ist bisher nur: Es waren Wölfe. Aber so grausam es klingen mag: Der Angriff auf die seltenen Schafe südlich des Segeberger Forstes ist laut Wolfsmanager Jens Matzen vom Landesamt für Umwelt (LfU) in Flintbek (Kreis Rendsburg-Eckernförde) "völlig erwartbar und normal".
Das ist ganz normales Wolfsverhalten, daran ist nichts auffälliges."
— Wolfsmanager Jens Matzen
Der Bereich südlich des Segeberger Forstes sei ein "Durchmarschgebiet", durch welches das dort beheimatete Rudel häufig wandere. Ungeschützte Weidetiere, vor allem Schafe, seien hier extrem gefährdet.
Insgesamt 17 tote und 10 verletzte Schafe
Vier Angriffe auf Nutztiere sind dem LfU im Mai angezeigt worden. Bei drei davon waren Schafe die Opfer, in einem Fall ein Kalb. Und bei allen Angriffen gab es entweder keine wolfsabweisende Umzäunung, oder sie hatte Mängel. "Wenn man sich gegen Übergriffe schützen will, bleibt einem nichts anderes übrig, als einen wolfsabweisenden Zaun zu bauen. Es gibt keine andere Möglichkeit, sich vor dem Wolf zu schützen. Das muss man mal ganz deutlich sagen", so Matzen. Auch wenn die Rissvorfälle in Südholstein neben den jüngsten Rissen des Goldschakals auf Sylt klein wirkten: Für alle ungesicherten Schafe bestehe in den Wolfspräventionsgebieten Lebensgefahr. Das betrifft fünf Landkreise in Schleswig-Holstein.
Herdenschutz, Tierschutz, Artenschutz - ein Dilemma
Das Dilemma der kleinen Schaf- und Nutztierhalterinnen und -halter im Land: Um die Bestände vor dem Wolf zu schützen, ist viel Arbeit und Geld nötig. Auch wenn die wolfsabweisenden Zäune in den Wolfspräventionsgebieten vom Land bezahlt werden. Für viele stelle sich damit nun die Frage, ob und wie sie ihre Schafe im kleinen Stil weiter halten können, so Janine Bruser vom Landesverband Schleswig-Holsteinischer Schaf-und Ziegenzüchter. "Einige haben ihre Tiere schon abgegeben, weil sie den Aufwand nicht leisten können."
Der EU-Artenschutz ist aber eindeutig: Wölfe stehen unter Schutz, auch wenn sich die Bestände in Teilen Europas so weit erholt haben, dass jüngst der Status von "streng geschützt" herabgestuft wurde. Der Wolf gilt nun nur noch als "geschützt". Ein Abschuss kommt nur dann in Frage, wenn Wölfe sich besonders auffällig verhalten, also besonders viele Tiere oder gar Menschen angreifen. Die Rudel in Schleswig-Holstein sind trotz der jüngsten Vorfälle laut Wolfsmanagement aber vor allem eines: Auffällig unauffällig.
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 12.06.2025 | 07:00 Uhr