Ein Blick auf die Baustelle von Northvolt Batteriefabrick bei Heide.

Schleswig-Holstein Northvolt: Wurden Warnsignale bei der Kreditvergabe übersehen?

Stand: 12.06.2025 08:41 Uhr

Haben die Verantwortlichen aus der Politik die Kredite für die geplante Batteriezellenfabrik von Northvolt zu unkritisch freigegeben? Kritische Stimmen und ungeklärte Fragen gab es schon lange.

Von Anne Passow

Die Euphorie war groß als es hieß, Northvolt wolle eine Batteriezellenfabrik bei Heide (Kreis Dithmarschen) bauen. Viele Politiker sahen das Projekt als entscheidend an - für Deutschlands Unabhängigkeit in der Batteriezellenproduktion.

Northvolt in Heide: Habeck machte sich für Fabrik stark

Der damalige Bundeswirtschaftminister Robert Habeck (Grüne) hatte sich sehr für die Ansiedlung von Northvolt bei Heide stark gemacht. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) betonte, wie wichtig es sei, die Technologie der Batteriezellenproduktion im Land zu haben.

IfW-Experte: Es gab Warnsignale

Doch es gab sie auch schon immer: die Zweifel, die kritischen Stimmen, die Bedenken. Es habe viele Warnsignale gegeben, meint Dirk Christian Dohse vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. "Zu dem Zeitpunkt, als die Kredite vergeben wurden, war nicht unbekannt, dass die Firma Northvolt Probleme hatte. Da hätte man nur mal bei VW nachfragen müssen", sagt er. Volkswagen hatte 2024 seine Anteile an Northvolt deutlich abgewertet. Bis zur Insolvenz 2025 war VW der größte Anteilseigners bei Northvolt gewesen.

Dirk Christian Dohse vom Insitut für Weltwirtschaft schaut in die Kamera.

Dirk Christian Dohse vom Insitut für Weltwirtschaft meint, die Probleme Northvolts seien kein Geheimnis gewesen.

Zweifel aus den Landesministerien

Im schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministerium und im Finanzministerium gab es durchaus kritische Stimmen. So äußerte das Finanzministerium 2023 Zweifel daran, wie Northvolt mithilfe der Wandelanleihe und von Fördermitteln finanziert werden solle. Und die Investitionsbank Schleswig-Holstein (IB.SH) warnte das Wirtschaftsministerium im Frühjahr 2023 per Mail, dass die geplanten Fördermittel für das Unternehmen möglicherweise nicht ausreichen könnten und Northvolt das Land dann später um weitere Unterstützung bitten könne.

Landesregierung hat 149 Fragen

Um abzuwägen, wie hoch die finanziellen Risiken einer Wandelanleihe sind, hatte die schleswig-holsteinische Landesregierung 2023 insgesamt 149 Fragen dazu an das Bundeswirtschaftministerium geschickt. Die Fragen bewertete die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC). Denn PwC war vom Bund beauftragt, ein Gutachten zur wirtschaftlichen Lage und zu den Risiken des Northvolt-Projekts zu erstellen. Das sollte dann auch als Grundlage für die Entscheidung über die Wandelanleihe dienen.

600 Millionen Euro für Northvolt

Jenen 600 Millionen Euro, die das Unternehmen am Ende von der staatlichen Förderbank KfW bekam - abgesichert jeweils zur Hälfte von Bund und Land. Eine Wandelanleihe ist ein Kredit, der später entweder in Form von Geld oder in Form von Aktien zurückgezahlt werden kann. Der Staat wird damit zum Investor. 

"Gesamtfinanzierung nicht gesichert"

In einer Kabinettsvorlage aus dem Dezember 2023, mithilfe von der über den Landesanteil an der Wandelanleihe entschieden werden sollte, hieß es: "Die Gesamtfinanzierungs des Ansieldungsvorhabens am Standort Heide ist nicht gesichert. (...) Für die derzeitige Finanzierungslücke ist eine Fremdfinanzierung geplant, wobei gewisse Zweifel bestehen, dass ein Bankenkonsortium gefunden wird", heißt es in der Vorlage - und weiter: "Die Standortentscheidung seitens Northvolt ist noch nicht final gefallen. Dennoch ist vertraglich geregelt, dass Northvolt eine erste Tranche in Höhe von 200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt wird."

Aus einer Kabinettsvorlage vom Dezember 2023 geht hervor, dass es Zweifel daran gab, Northvolt in seiner Ansiedlung in Heide zu unterstützen.

Aus einer Kabinettsvorlage vom Dezember 2023 geht hervor, dass es Zweifel daran gab, Northvolt in seiner Ansiedlung in Heide zu unterstützen.

Stender: Landesregierung hat sich einfach an Gutachten rangehängt

"Die Bundesregierung hat PWC als Mandatar beauftragt ein Gutachten zu erstellen als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Und die Landesregierung hat sich an dieses Gutachten einfach rangehängt und gesagt: 'Na gut, wenn der Bund damit einverstanden ist, dann sind wir es auch'", kritisiert Kianusch Stender, (SPD).

Brisant: Recherchen von NDR Schleswig-Holstein hatten im März ergeben, dass PwC nicht nur die Regierung zu Northvolt beraten hatte, sondern auch Northvolt selbst. Vor diesem Hintergrund will Bernd Buchholz (FDP) wissen, was die Grundlage für das Gutachten war. Die Frage sei, "wieviel echte Zahlen Northvolt eigentlich geliefert hat, um dieses Gutachten zu unterfüttern. Oder ob das Gutachten - jetzt spekuliere ich - aus Unternehmensangaben und Hochrechnungen auf der Basis von Creditreform-Berechnungen erstellt worden ist."

Bernd Buchholz von der FDP schaut in die Kamera.

Bernd Buchholz (FDP) will wissen, was die Grundlage für das Gutachten war.

Madsen: Niemand hätte anders entschieden

"Selbst wenn Sie ein paar Seiten mehr aus einer Kabinettsvorlage gekannt hätten, niemand von Ihnen hätte anders entschieden", hatte Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) im März dazu gesagt. Allen Beteiligten sei klar gewesen, welche Risiken bei der finanziellen Unterstützung des Batterieherstellers bestehen. In mindestens 30 Sitzungen hätten sich die beteiligten Ausschüsse mit dem Thema befasst, auch Wirtschaftsprüfer seien anwesend gewesen, so der CDU-Politiker.

Northvolt-Entscheidung als Lehrstück?

Die Opposition bleibt bei ihrer Kritik: Risiken seien beiseite geschoben worden, sagt Buchholz. Und Kinausch Stender glaubt, "dieses ganze Northvolt-Desaster ist ein Lehrstück, wie man es in Zukunft nicht machen sollte."

Am Standort Heide laufen derzeit Tiefbauarbeiten und Infrastrukturmaßnahmen weiter. Die Hoffnung auf einen neuen Investor bleibt.

Rückblick: Was war geplant?

Geplant war, dass in Heide Batteriezellen für bis zu eine Million Elektroautos pro Jahr entstehen. Den Startschuss für den Bau des 4,5-Milliarden-Euro-Projekts gaben Ende März 2024 unter anderem der damalige Kanzler Olaf Scholz (SPD) und der damalige Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).

Im November beantragte dann das Unternehmen in den USA Gläubigerschutz (Chapter 11 des US-Insolvenzrechts). Im März 2025 meldete das Unternehmen seine Insolvenz in Schweden an. Der Standort bei Heide ist als Tochter des schwedischen Mutterkonzerns offiziell nicht ist von der Insolvenz betroffen. Seit Mai ist jedoch klar, dass die Batteriezellenproduktion auch im nordschwedischen Skellefteå, dem Hauptwerk von Northvolt, heruntergefahren wird.

Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 10.06.2025 | 19:30 Uhr