Schülerinnen und Schüler einer Grundschule sitzen in ihrem Klassenraum. Immer mehr Erstklässler sind nicht schulfähig (Symbolbild).

Rheinland-Pfalz Immer weniger Kinder schulfähig? Die Lage an Grundschulen in RLP

Stand: 11.06.2025 07:24 Uhr

Seit 2023 wiederholen immer wieder viele Kinder die erste Klasse der Gräfenauschule in Ludwigshafen. Wie steht es landesweit um die Schulfähigkeit unserer Kinder?

Von Maximilian Christ

In einer bundesweiten ARD-Umfrage wurden auch rund 1.300 Grundschullehrerinnen und -lehrer aus Rheinland-Pfalz befragt. Die große Mehrheit von ihnen macht sich Sorgen um die Schulfähigkeit der Kinder. Fast 90 Prozent sind der Meinung, dass neu eingeschulte Kinder deutlich mehr Schwächen hätten als noch vor zehn Jahren. Darunter sind vor allem Verhaltensauffälligkeiten, Konzentrationsschwierigkeiten, Probleme mit der Feinmotorik und Sprachschwierigkeiten.

Das fehlt: Bildung im Elternhaus und verpflichtende Vorschulen

Als Begründung sagt ungefähr die Hälfte der befragten RLP-Lehrkräfte, dass viele der förderbedürftigen Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern kämen. Nur ungefähr einem Viertel der Lehrkräfte gelänge es, das Elternhaus von Kindern mit sprachlichem Förderbedarf zu kontaktieren und einzubinden. Auch bekämen Kinder mit Schwächen keine ausreichende Vorbereitung auf das Schulleben. Fast alle der befragten RLP-Lehrkräfte stimmen der Aussage zu, dass es eine verpflichtende Vorschule für förderbedürftige Kinder geben sollte - eine solche gibt es bisher nur in Hamburg.

So funktioniert die Vorschule in Hamburg
Etwa anderthalb Jahre vor der Einschulung werden Schulanfänger in Hamburg zusammen mit ihren Eltern zu einem Kennenlerngespräch an der regionalen Schule eingeladen. Das ist für alle Kinder im Alter von viereinhalb Jahren Pflicht. Eltern können hier Fragen zur Einschulung stellen, die Schulen schätzen die Entwicklung des Kindes ein. Wenn ein Kind als noch nicht schulfähig eingeschätzt wird, muss es in eine Vorschulklasse - oder in eine Kita - die eine extra Sprachförderung anbietet.

Modell Schulkindergarten als Lösung?

Wie man Kindern helfen kann, die frisch aus dem Kindergarten kommen und eigentlich noch nicht bereit für die Einschulung wären, zeigt eine Grundschule in Bullay im Kreis Cochem-Zell. Aktuell besuchen hier fünfzehn Kinder einen Schulkindergarten, der sie auf das Schulleben vorbereiten soll.

Mit großem Erfolg: Schulleiterin Marion Mohr sagt, wer bei ihnen den Schulkindergarten geschafft habe, schaffe in fast allen Fällen auch die erste Klasse ohne Probleme. Ein paar Schüler seien "gerettet" und "auf einen guten schulischen Weg gebracht" worden, sagt Marion Mohr.

Wir haben auf jeden Fall ein paar Schüler mit dem Schulkindergarten gerettet [und] auf einen guten schulischen Weg gebracht. Marion Mohr, Schulleitung

Lillys Erfolgsgeschichte aus dem Schulkindergarten Bullay

Eines dieser Kinder ist Lilly. Sie hat vor ein paar Jahren den Schulkindergarten in Bullay besucht. Sie war laut ihrer Mutter emotional noch nicht bereit für die Einschulung. Die Angst vor dem Versagen sei groß, das Selbstbewusstsein noch nicht da gewesen.

Aber während des Jahres im Schulkindergarten sei der Wandel gekommen: Mit einem riesigen Strahlen sei Lilly nach Hause gekommen und habe ihrer Mutter stolz erzählt, wie gerne sie jetzt in die Schule gehe. Ein großer Moment für die beiden. Lilly sei daran gewachsen und sei offener geworden, betont ihre Mutter.

Sie ist [daran] gewachsen, sie ist offener geworden. Sie hat endlich einmal die Erfahrung gehabt, in etwas die Beste zu sein. Mutter von Lilly

Schulkindergarten eine "Brücke" zwischen Kita und Schule

Mittlerweile ist Lilly zehn Jahre alt, kommt bald in die vierte Klasse und erzählt, dass sie den Schulkindergarten manchmal sogar vermisse. Sie erinnere sich ans Buchstaben- und Zahlenlernen, an Rätselblöcke und an ganz viel Basteln. Was ihr besonders gefallen hat: die kurzen Spielpausen. Ihre Mutter beschreibt den Schulkindergarten als eine Brücke zwischen Kindergarten und Schule.

Lilly ist heute überzeugt davon, dass sie es ohne die Vorschule in der Grundschule schwer gehabt hätte. Stattdessen habe sie gelernt, keine Angst vor der Schule haben zu müssen.

Ich glaube, ohne die Vorschule hätte ich das alles nicht so gut geschafft. Da habe ich gelernt, dass ich keine Angst vor der Schule haben muss und dass ich so gut bin, wie ich bin. Lilly, hatte den Schulkindergarten besucht

Aktuell nur sieben Schulkindergärten in RLP

Was laut Schulleiterin Mohr viele Schulen nicht wissen: Einen Schulkindergarten könne jede Schule bei der Verbandsgemeinde beantragen. Dafür müsse es mindestens zehn Kinder geben, die ihn besuchen würden. Das bestätigte auch ein Sprecher des Bildungsministeriums in Rheinland-Pfalz auf SWR-Anfrage. Im Schuljahr 2024/25 gibt es nach Informationen des Sprechers sieben Schulkindergärten in Rheinland-Pfalz. Das Konzept gebe es im Land seit den 1960er Jahren, sei aber nicht flächendeckend eingeführt worden.

Probleme der Kinder nur schwer in den Griff zu bekommen

Ausgleichen können die meisten Lehrkräfte die Probleme der Kinder ohne solche Programme nicht - sie haben keine Zeit. Etwas mehr als die Hälfte hat keine Schulstunden übrig, um den Kindern bei ihren Sprachschwierigkeiten zu helfen. Immerhin könne rund ein Viertel noch eine Stunde pro Woche anbieten. Mehr sei in den allermeisten Fällen aber nicht drin.

In erster Linie sollten die Eltern wieder die Erziehung der Kinder übernehmen und die Schule sollte ein Ort sein, in dem es hauptsächlich um die Vermittlung von Bildung geht - nicht um das Vermitteln von Grundfähigkeiten. Anonyme Lehrkraft in der bundesweiten ARD-Umfrage

Was sich die Lehrkräfte wünschen

Ganz vorne an der Spitze steht bei den Lehrkräften aus Rheinland-Pfalz der Wunsch nach einer besseren finanziellen und personellen Ausstattung von Grundschulen und Kitas. Aber auch eine verpflichtende Vorstellung der Kinder mit viereinhalb Jahren und eine notfalls verpflichtende Vorschule nach Hamburger Vorbild wünscht sich etwas mehr als die Hälfte. Das zeigte die bundesweite ARD-Umfrage.

Dazu wünschten sich etwas mehr als 40 Prozent mehr lernzielorientierte Aktivitäten anstatt freie Formen des Spielens und Lernens in der Kita. Rund ein Drittel wäre für verpflichtende Sprachtests.

Hilfsprogramm der Bundesregierung

Einen Versuch, benachteiligte Kinder und Jugendliche besser zu fördern, startete die Bundesregierung 2024 mit dem "Startchancenprogramm". Für Rheinland-Pfalz heißt das: eine Milliarde Euro für rund 200 Brennpunktschulen, verteilt auf zehn Jahre.

Nur rund zwölf Prozent der befragten RLP-Lehrkräfte halten das Programm für sehr sinnvoll und trauen ihm zu, eine Chance für Veränderung zu sein. Mehr als ein Drittel findet das Programm gut - glaubt aber, dass es in der Umsetzung nicht klappe. Genauso viele kannten das Programm aber auch gar nicht.

Sendung am Mi., 11.6.2025 5:00 Uhr, Guten Morgen RLP, SWR1 Rheinland-Pfalz

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