Ein Schreiner arbeitet allein an einer Werkbank.

Rheinland-Pfalz "Ghosting" auf dem Arbeitsmarkt - wenn der Azubi einfach nicht kommt

Stand: 20.06.2025 06:53 Uhr

Die Bewerbung war erfolgreich, der Vertrag ist unterschrieben - doch zum Beginn der Ausbildung taucht der Azubi nicht auf. Das passiert Firmen in RLP immer häufiger. Was steckt hinter dem sogenannten "Ghosting" und was können Betriebe dagegen tun?

Von Ilona Hartmann

250 junge Menschen stellt der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim jedes Jahr ein - als Auszubildende und für ein duales Studium. Die meisten dürften froh sein über diese berufliche Perspektive. Doch im vergangenen Jahr sind zwei der Azubis, die einen Vertrag bei Boehringer unterschrieben hatten, zum Ausbildungsbeginn nicht erschienen - ohne abzusagen.

Ausbildungsplatz bleibt nach "Ghosting" meist unbesetzt

Für das Unternehmen sei dieser plötzliche Kontaktabbruch sehr ärgerlich gewesen, sagt Alexandra Wichmann von Boehringer Ingelheim. Man habe dadurch zusätzliche Kosten und Arbeit gehabt.

Fälle von "Ghosting" sind sehr ärgerlich und erzeugen unnötige Kosten und Aufwand im Unternehmen. Viel schlimmer ist aber, dass hier den anderen jungen Menschen Ausbildungsplätze und damit Chancen weggenommen werden. Alexandra Wichmann, HR Apprentice Office bei Boehringer Ingelheim

Noch ärgerlicher aber ist aus Wichmanns Sicht, dass der Ausbildungsplatz in solchen Fällen unbesetzt bleibt, weil eine so kurzfristige Neubesetzung meist nicht möglich sei. Dadurch würde dann auch anderen jungen Leuten die Chance auf die Stelle genommen.

"Ghosting" durch Azubis nimmt regional zu

Und Boehringer ist kein Einzelfall. So berichtet die Handwerkskammer (HWK) Rheinhessen, dass dieses Phänomen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat. Im vergangenen Jahr seien 84 von den 1.018 Auszubildenden, die einen Vertrag unterschrieben hatten, am ersten Arbeitstag nicht erschienen. Ein paar von ihnen hätten eine andere Ausbildung aufgenommen, von den allermeisten aber habe die Handwerkskammer nichts mehr gehört.

Rechtliche Konsequenzen bei Azubi-Ghosting
Rechtlich ist es für Unternehmen kaum möglich, sich gegen das "Azubi-Ghosting" zur Wehr zu setzen. Zwar begeht ein Auszubildender Vertragsbruch, wenn er trotz eines unterschriebenen Ausbildungsvertrages nicht zur Arbeit erscheint. Der Arbeitgeber hätte deshalb grundsätzlich das Recht, auf Erfüllung des Vertrages zu bestehen. Doch im Grunde habe der Ausbildungsbetrieb dadurch nur Kosten und Aufwand, sagt Petra Seifert von der Agentur für Arbeit Mainz. Denn laut § 22 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) kann ein Ausbildungsverhältnis während der Probezeit jederzeit gekündigt werden - ohne dass ein Grund genannt oder eine Frist eingehalten werden muss. Wenn der Arbeitgeber also auf Einhaltung des Vertrages bestehen würde, könnte der Auszubildende kommen und sofort seine Kündigung einreichen. Deshalb, so Seifert, mache sich in der Regel kein Arbeitgeber die Mühe, auf seinem Recht zu beharren.

Die HWK Rheinhessen wollte der Sache auf den Grund gehen, berichtet der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Dominik Ostendorf. Deshalb habe man alle Betroffenen angeschrieben und nachgefragt, warum sie ihre Ausbildungsstelle nicht angetreten haben. Doch hier setzte sich das "Ghosting" einfach weiter fort: Keiner der Angeschriebenen hat laut Ostendorf geantwortet.

Noch häufiger "Ghosting" bei Vorstellungsgesprächen

Auch ein Träger der katholischen Kindertagesstätten in Trier oder der Lebensmittelhändler WASGAU in Pirmasens erleben, dass potenzielle neue Mitarbeiter trotz eines bereits unterschriebenen Vertrages nicht zum ersten Arbeitstag erscheinen. 

Noch häufiger aber komme das "Ghosting" bei Vorstellungsgesprächen vor. Das berichtet auch die Agentur für Arbeit Koblenz-Mayen. Bewerberinnen und Bewerber vereinbarten Termine für Gespräche oder zum Probearbeiten und ließen dann nichts mehr von sich hören.

Viele Jugendliche in RLP unzufrieden mit Ausbildung in Betrieben

Erklärungen junger Leute für "Ghosting"

Doch was steckt hinter dem "Ghosting"? Das wollten wir von Jugendlichen selbst hören und haben einige von ihnen vor dem Berufsschulzentrum in Mainz gefragt, welche Gründe für dieses Verhalten sie sich vorstellen können.

Einer vermutet, dass den Betroffenen vielleicht im Nachhinein Details des Vertrages nicht gefallen haben, etwa, dass weniger Urlaubstage oder eine geringere Bezahlung angeboten wurden, als vorher vereinbart. Andere erzählen, dass sie selbst es immer wieder erlebt haben, dass Firmen auf ihre Bewerbungen nicht reagiert haben - ein "Ghosting" also von der anderen Seite. Vielleicht würden manche Bewerberinnen oder Bewerber aus Frust darüber selbst so reagieren.

Wieder andere denken, dass es damit zu tun hat, wie der Arbeitsmarkt sich in den letzten Jahren entwickelt hat. In vielen Branchen könnten sie sich mittlerweile unter mehreren Angeboten das Beste heraussuchen. Manch einer halte sich vielleicht bis zuletzt mehrere Optionen offen und sei dann schlicht zu faul, um abzusagen.

Vielleicht ist das Bewusstsein einfach nicht da, dass man dafür auch eine Verantwortung trägt, das abzusagen. Jugendlicher in Mainz zu möglichen Gründen für das "Ghosting"

Und schließlich sehen zwei Jugendliche ein grundsätzliches Problem in der Haltung ihrer Generation. Zum einen gebe es bei ihnen so eine "lockere Unverbindlichkeit". Die ziehe sich durch alle Lebensbereiche und zeige sich zum Beispiel auch, wenn die Reservierung für einen Restaurantbesuch nicht abgesagt wird.

Zum anderen sei ihre Generation in einer Zeit ohne große Krisen aufgewachsen, in der viel Wohlstand geherrscht habe. Dadurch hätten sie kaum noch gelernt, Verantwortung zu übernehmen, bemerken die beiden selbstkritisch. Vielleicht fehle manch einem deshalb auch das Bewusstsein, dass man eine Verantwortung habe, Dinge abzusagen.

Unangenehme Situationen vermeiden

Jutta Rump ist Professorin für Personalmanagement am Institut für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen. Auch sie sieht im veränderten Zeitgeist und der stärkeren Unverbindlichkeit eine der Ursachen für die Zunahme des "Ghosting" in der Arbeitswelt.

Dazu kommt aus ihrer Sicht eine gewisse Konfliktscheu: "Jemandem abzusagen ist ja nicht immer konfliktfrei... Da sagt man dann: Wenn ich das ignoriere, habe ich diese unangenehme Situation nicht." Das gelte übrigens für beide Seiten. Auch manche Unternehmen sagten Bewerbern nicht ab, weil sie keine schlechten Nachrichten überbringen wollten.

Unternehmen setzen auf enge Anbindung schon vor der Ausbildung

Was also tun? Um die Auszubildenden von vornherein enger an sich zu binden, haben viele Unternehmen spezielle Strategien entwickelt. Auch Boehringer Ingelheim betreibt seit einigen Jahren ein intensives sogenanntes "Onboarding".

Das bedeutet, dass die Bewerberinnen und Bewerber sich schon während der Auswahlphase mit Mitarbeitenden austauschen können und im Werk herumgeführt werden. Vor dem Arbeitsbeginn gibt es einen Kennenlern-Termin mit dem Ausbilder. Außerdem bekommen die "Neuen" Paten aus den höheren Ausbildungsjahrgängen zugeteilt, mit denen sie sich zum Beispiel bei einem Grillevent treffen.

All das soll helfen, Vertrauen und Bindung zu schaffen. Damit die Jugendlichen es sich nicht kurzfristig anders überlegen - und wenn doch, zumindest vorher absagen.

Sendung am Fr., 20.6.2025 6:00 Uhr, SWR4 RP am Morgen, SWR4 Rheinland-Pfalz

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