Geflüchtete mit subsidiärem Schutz bangen um ihre Angehörigen, wenn die Bundesregierung den Familiennachzug für Geflüchtete mit subsidiärem Schutz aussetzen sollte.

Rheinland-Pfalz Familiennachzug: Geflüchtete Frau in Kirchberg bangt um Angehörige

Stand: 11.06.2025 06:00 Uhr

Die Bundesregierung will für bestimmte Geflüchtete den Familiennachzug aussetzen. Einer Kurdin, die jetzt im Hunsrück lebt, bereitet das große Sorgen.

Von Bettina Blum, Kathrin Freisberg, Helen Roth, Dunja von Morzé

Shirana Ali lebt seit etwa anderthalb Jahren im Hunsrück. Ursprünglich stammt sie aus Syrien. Doch während des Kriegs floh sie mit ihrer Familie in die Türkei. Dort sind immer noch ihr Ehemann, ihr Sohn und ihre jüngere, zwölfjährige Tochter.

Im Gespräch mit dem SWR wirkt Shirana Ali nervös. Immer wieder nestelt sie an ihren Fingernägeln. Sie sagt, in der Türkei sei ihr Leben nicht gut gewesen. Näher erklärt sie das nicht. Aber daher habe sie sich auf den Weg gemacht. Manchmal stockt sie, ist den Tränen nahe.

Schwierige Flucht nach Deutschland

Sie kam mit ihrer 18-jährigen Tochter über mehrere Etappen nach Deutschland. Teilweise im Boot übers Meer – über Griechenland. Sie habe dafür Schleuser anheuern müssen, wie sie sagt. Über Luxemburg und Hermeskeil sei sie schließlich nach Kirchberg gelangt. Da die Schlepper tausende Euro pro Person verlangen, hätten auch nur sie und ihre ältere Tochter sich auf den Weg gemacht. Und gehofft, über den Familiennachzug bald wieder mit ihren Angehörigen zusammen zu sein.

In Kirchberg gut aufgenommen

In Deutschland fühle sie sich sicher. Hier gefällt ihr, dass es Demokratie gibt, wie sie sagt. Auch habe sie das Gefühl, dass sie von den Leuten gemocht werde – auch wenn sie geflüchtet sei. Aber wenn sie an ihre beiden Kinder und ihren Mann in der Türkei denke, fühle sie sich schlecht. Sie habe nicht damit gerechnet, dass es so schwierig sei, sie auch nach Kirchberg zu holen.

Geflüchtete sehnt Familiennachzug herbei

Mit ihrer zwölfjährigen Tochter telefoniere sie jeden Tag. Das Mädchen weine oft am Telefon, und erzähle von Mobbing. Und habe Sorge, dass es die Mutter nicht mehr sehe: Immer wieder sage sie: "Stirb‘ nicht, bevor ich Dich sehe!" Shirana fängt selbst an zu weinen, als sie das erzählt. Ihre Tochter habe Probleme in der Schule und bleibe oft zuhause. Ein Arzt in der Türkei habe bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung (PTB) diagnostiziert. Sie sei oft depressiv. Die Tochter habe auch berichtet, dass manchmal andere Kinder Steine an ihr Fenster werfen.

Psychische Belastung als Integrationsrisiko?

Viele Kommunen können den Wunsch, die Familie nachzuholen, verstehen. Die Stadt Koblenz etwa sagt, dass es Betroffene psychisch stark belasten könne, wenn die Angehörigen nicht herkommen dürfen. Das könne den Integrationserfolg behindern.

Auch der Kreis Birkenfeld gibt an, dass der Familiennachzug integrationsfördernde Effekte haben kann. Zudem machten die Familienangehörigen meist nur einen kleinen Teil der Migranten aus. Von rund 101 Visaanträgen in diesem Jahr entfielen bisher 10 auf den Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten. Auch im Kreis Bad Kreuznach geht es den Angaben nach um eher wenige Anträge von Geflüchteten mit diesem Status.

Entlastet das neue Gesetz zum Familiennachzug Kommunen?

Die Verwaltung des Kreises Kusel teilt mit, dass es meist um Ehefrau und Kinder gehe, die zum Mann nachziehen. Dieser müsste sich dann um eine größere Wohnung kümmern. Wenn der Betroffene Sozialleistungen erhalte, könnten die Kosten für größere Wohnungen ein Problem für die jeweilige Verbandsgemeinde oder das Jobcenter sein.

Der Kreis Bernkastel-Wittlich teilt mit, dass er die Aussetzung des Familiennachzugs zwar begrüßen würde. Denn dies sei ein Baustein, um Zuwanderung zu begrenzen. Allerdings erwarte der Kreis keine große Entlastung dadurch. Andererseits sieht er auch die Gefahr, dass betroffene Familienmitglieder von subsidiär Schutzberechtigten dann illegal einreisen.

Ausweichen auf illegale Wege der Migration

Torsten Jäger vom Initiativausschuss für Migrationspolitik in Mainz kritisiert genau das. Es findet es geradezu widersprüchlich, dass die Bundesregierung illegale Migration bekämpfen will, indem sie legale Zugangswege nach Deutschland versperrt. Man gebe Menschen, die legal einreisen könnten, in die Hände von Schleppern. Zudem sei schon jetzt der Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten nicht unbegrenzt. Es gebe bundesweit ein monatliches Kontingent von bis zu 1.000 Kernfamilien-Angehörigen, die nachziehen dürften.

Auch er erwartet keine großen Erleichterung für Städte und Kreise. Zumal die Betroffenen des Familiennachzugs für Kommunen eher planbar seien. Denn sie durchlaufen in der Regel eine relativ lange Prozedur von der Antragsstellung bis zur Visumserteilung. Es gehe also um Personen, bei denen die Ausländerbehörden in den Kommunen wissen, dass sie kommen werden. Also keine Personen, die "plötzlich auf der Matte stehen". Vielmehr hätten Kreise und Städte da eine Vorlaufzeit. Deswegen würde es Kommunen kaum entlasten, wenn diese Gruppe zunächst nicht kommen dürfe.

Fachanwalt für Migration sieht Gesetzesentwurf für Familiennachzug kritisch

Marco Werther, Rechtsanwalt mit Kanzlei in Landau, argumentiert, dass der Familiennachzug schon jetzt schwer sei. Denn gerade in den Staaten, aus denen die Geflüchteten kämen, gebe es gar nicht immer eine Botschaft oder andere Vertretung. Außerdem sei das Kontingent für den Familiennachzug selten ausgeschöpft worden. Somit hält der Anwalt das Argument, das helfe Kommunen, für vorgeschoben. Er sagt, er halte es für reinen Populismus, um bestimmte Wählerschaften zu beruhigen.

Ich halte es für reinen Populismus, um bestimmte Wählerschaften zu beruhigen. Marco Werther, Rechtsanwalt für Migrationsrecht (Landau)

Menschlich sei der Stopp des Familiennachzugs eine Tragödie. Und auch integrationspolitisch gefährlich, meint Werther: "Ich meine, das ist teilweise sexistisch. Denn wer kommt nach Deutschland? Meistens die Männer. Die wollen ihre Kinder, ihre Frauen nachziehen lassen – das geht aber nicht. Ein großer Teil der Familie bleibt außen vor. Und gerade die Schwächsten dürfen nicht nachkommen. Studien zeigen auch: Menschen, die allein hier sind, geraten eher in die Gefahr, sich extremistischen Gruppen anzuschließen oder in strafrechtlich relevante Dinge verwickelt zu werden – weil sie hier keine Familie haben."

Er führt noch an, dass die meisten, die Familiennachzug beantragten, arbeiten. Die belasteten die Sozialsysteme gar nicht. Und es kämen nur Ehepartner und Kinder – nicht wie oft behauptet die ganze Großfamilie, sagt der Anwalt.

Was bedeutet subsidiärer Schutz für Geflüchtete?
Sogenannte subsidiär Schutzberechtigte sind Geflüchtete, die zwar weder als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention noch als Asylberechtigter anerkannt sind, aber im Herkunftsland womöglich durch Folter, Todesstrafe oder unmenschliche Behandlung bedroht sind. Die meisten stammen aus Syrien. Geflüchtete mit dem subsidiären Schutzstatus haben schon seit 2016 keinen rechtlichen Anspruch mehr auf den Familiennachzug. Seit 2018 gibt es ein Kontingent mit 12.000 Plätzen im Jahr, um einigen von ihnen das Nachholen von Kindern, Ehepartnern oder Eltern zu ermöglichen.

Gemeinde- und Städtebund: Signal in Herkunftsländer von Geflüchteten

Moritz Petry, Geschäftsführer des Gemeinde und Städtebunds, gibt zu Bedenken, dass es für sie schwierig sei, geeignete Wohnungen für Familien zu finden. Zudem sieht er in der Entscheidung, den Familiennachzug in diesem Bereich erneut auszusetzen, eine Möglichkeit, Migration besser zu ordnen und zu steuern.

Die Mehrheit der Bevölkerung erwarte eine konsequentere Flüchtlingspolitik, so Petry. Zudem seien die Einschränkung des Familiennachzugs auch ein deutliches Signal in die Herkunftsländer.

Neue Regeln würden es weiter erschweren, Angehörige nach Deutschland zu bringen

Shirana habe direkt bei ihrer Ankunft in Deutschland beantragt, ihre Familie nachzuholen. Sie habe nicht gewusst, dass es so lange dauere. Und wenn neue Regeln kämen, den Familiennachzug auszusetzen, dann fürchte sie, ihre Familie gar nicht mehr herbringen zu dürfen. Dieser Gedanke mache sie verrückt.

Sendung am Mi., 11.6.2025 6:00 Uhr, SWR1 Nachrichten

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