Elektronische Fußfesse | Impulse | tn

Nordrhein-Westfalen Wo bleibt der Deutschlandplan gegen Gewalt an Frauen? | MEINUNG

Stand: 13.06.2025 06:00 Uhr

Noch dieses Jahr will die Bundesregierung eine elektronische Fußfessel nach spanischem Modell einführen, um Frauen besser vor Gewalt zu schützen. Kolumnistin Minh Thu Tran findet, wir brauchen mehr Ideen wie diese.

Von Minh Thu Tran

Mitte Januar starb eine 32-jährige Krankenschwester durch mehrere Stiche in Dortmund. Erstochen von ihrem Ex-Partner, der anscheinend die Trennung nicht akzeptieren wollte. In Bielefeld erdrosselte ein 82-Jähriger im März seine vier Jahre jüngere Ehefrau im Streit. Im April tötete ein Mann seine Lebensgefährtin in Oberhausen. Die Kinder waren davor schon in Obhut des Jugendamtes genommen worden, um sie vor der Gewalt des Mannes zu schützen. An Karsamstag erstach ein Mann in Espelkamp erst seine Frau und fügte sich auch selbst lebensbedrohliche Stichverletzungen zu - zum Tatzeitpunkt waren die Kinder des Paares in der Wohnung. In Troisdorf erstach Anfang Mai ein Mann seine 30-jährige Lebensgefährtin.

All diese Frauen sind in diesem Jahr alleine in NRW gestorben. Und das sind nur die Fälle, die in der Presse gelandet sind und die ich nach fünf Minuten Suche im Internet finden konnte. Es sind Taten, die in Lokalmeldungen vorkommen. Taten wie diese werden häufig als "Beziehungstat", "Mord aus Eifersucht" oder "Verzweiflungstat" betitelt. Jeden zweiten Tag stirbt in Deutschland eine Frau, getötet von ihrem Partner oder Ex-Partner.

Die Fußfessel gegen häusliche Gewalt kommt

Um Frauen wie sie zu schützen, will die Politik endlich mehr machen. Auf der Innenministerkonferenz hat Bremens Innensenator diese Woche einen Vorschlag eingebracht: Die Fußfessel nach spanischem Modell. Sie wird dort etwa bei Fällen von Gewalt durch einen Ex-Partner eingesetzt. Der Täter muss sie tragen, die Frau trägt - wenn sie das will - einen GPS-Tracker mit sich. Nähert sich der Mann dem Aufenthaltsort der Frau, ob absichtlich oder unabsichtlich, löst das einen Alarm aus - sowohl bei der Polizei als auch beim potenziellen Opfer.

Bisher können Gewaltopfer in Deutschland zwar ein Kontakt- und Näherungsverbot beantragen. Allerdings wird das nicht von den Behörden kontrolliert, die Frau muss im Fall einer Gefährdung selbst die Polizei rufen. Bis die Polizei kommt, kann es allerdings schon zu spät sein. Und sie ist nur an spezifischen Orten, wie zum Beispiel in der Wohnung oder am Arbeitsplatz geschützt. Das schränkt die Bewegungsfreiheit der Betroffenen deutlich ein. Der Einsatz der Fußfessel würde das ändern. Opfer von Gewalt bekämen eine virtuelle Schutzzone um sich herum, egal wo sie sind, in der sich der Täter nicht nähern könnte, ohne die Polizei automatisch zu alarmieren.

Deutschland will sich nur EINE Maßnahme aus dem spanischen Modell rauspicken

In Spanien wird die Fußfessel seit 15 Jahren eingesetzt. Mit riesigem Erfolg. Keine einzige Frau, die vor ihrem Ex-Partner mit einer Fußfessel geschützt wurde, ist in der Zeit gestorben. In einigen Bundesländern wird sie schon getestet, in NRW gibt es seit diesem Jahr einen Fall. Die aktuelle Bundesjustizministerin will die Fußfessel noch dieses Jahr auf den Weg bringen. Aber reicht das aus? 100 prozentige Sicherheit, die gibt es auch damit nicht. Was, wenn Täter und Opfer noch im gleichen Haus wohnen - weil die Frau noch nicht raus will oder auch, weil sie wegen fehlenden Plätzen in Frauenhäusern nicht raus kann?

Schauen wir doch nach Spanien, das Vorbild zur Verhinderung von Femiziden, also Morden an Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Dazu zählt etwa Gewalt durch Ex-Partner, Gewalt aus Eifersucht, aus Besitzansprüchen, aus Wut über Unterhaltszahlungen, aus sexueller Motivation. In Spanien gibt es nicht nur die elektronische Fußfessel bei häuslicher Gewalt. Das Thema Femizide wird ganzheitlicher gedacht. 

Es gibt zum Beispiel ein durch Algorithmen unterfüttertes Datenerhebungssystem, VioGen, das Informationen zu möglichen Tätern sammelt und der Polizei dabei hilft zu bewerten, wie gefährlich die Männer für die Frauen sind - um dann entsprechende Maßnahmen in die Wege leiten zu können. Hier in Deutschland gibt es nicht mal eine juristische Definition von Femiziden, dadurch können Behörden bis heute die Zahl der Femizide nur schätzen. Es gibt in Spanien Gerichte, die auf geschlechterspezifische Gewalt spezialisiert sind. Polizeibeamte werden geschult. 

Aufklärung zu Gewalt gegen Mädchen und Frauen und Geschlechtergerechtigkeit wird aber auch an Schulen unterrichtet - um frauenfeindlichen Einstellungen und Gewalt in den nächsten Generationen vorzubeugen. Immer, wenn trotz der strengen Gesetze in Spanien eine Frau ermordet wird, hält das Parlament eine Schweigeminute. Im vergangenen Jahr 48 Mal. 

Die Verantwortung müssen wir als Gesellschaft tragen - nicht wir Frauen alleine

Das ist ein krasser Unterschied zu der Beiläufigkeit, mit der wir die Ermordung von Frauen hier in Deutschland behandeln. Die Geschichten der Opfer, die ich am Anfang dieser Kolumne aufgezählt habe, werden für die Öffentlichkeit schnell vergessen sein. Gesellschaftlich scheint immer noch die Meinung zu herrschen: Das passiert halt, so im Privaten. Dabei sind Femizide die häufigste unnatürliche Todesursache weltweit für Frauen und Mädchen.

Noch immer schieben wir die Verantwortung für sexualisierte und andere Gewalt den Frauen zu. Dein Date war übergriffig - warum hast du den Typen mit nach Hause genommen? Warum warst du so aufmüpfig gegenüber deinem Ehemann? In der Leipziger Autoritarismus-Studie von letztem Jahr findet ein Drittel der dort befragten Personen, ein Mann solle bereit sein, Frau und Kinder mit Gewalt zu verteidigen. Ein Viertel der Befragten meint, Frauen, "die mit ihren Forderungen zu weit gehen", müssten sich nicht wundern, "wenn sie in die Schranken gewiesen werden".

Diese Einstellung trägt sich auch weiter in die deutschen Gerichtssäle. Tötungen von Frauen durch ihre Ex-Partner werden häufig als Totschlag gewertet, nicht als Mord - und damit auch mit niedrigeren Haftstrafen versehen. Orientiert wird sich an einem Urteil des Bundesgerichtshofs vor über 20 Jahren. Damals beschlossen die Richter des BGH, dass es gegen "niedrige Beweggründe" einer Tötung spreche, "wenn die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will". Auf Deutsch: Wenn eine Frau sich vom Partner trennt und er sie deswegen umbringt, sei das Motiv des armen, armen Mannes ja von Verlustangst geprägt. Eine lebenslange Freiheitsstrafe ist dadurch meistens nicht mehr möglich.

Frauen, Männer, alle Menschen in Deutschland: Wir müssen laut werden!

In Spanien wurde diese Vielzahl an Maßnahmen beschlossen, nachdem es dort einen gesellschaftlichen Aufschrei gab. Der Auslöser: Eine Frau wurde von ihrem Mann getötet, nachdem sie von dessen jahrelanger Gewalt im Fernsehen berichtet hatte. Es gibt einen großen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass diese Maßnahmen notwendig sind - in der Prävention, in der Strafverfolgung, in den Gerichten. Widerstand dagegen, den gibt es in Spanien zwar auch: rechtspopulistische Kräfte und Parteien machen auch dort aktuell dagegen Lobbyarbeit. Doch die Stimmen, die Femizide und sexualisierte Gewalt in Spanien stoppen wollen, sind immer noch lauter. Das Beispiel Spanien zeigt: Gesellschaftliches Engagement kann Leben retten! 

Und das brauchen wir hier auch. Das Gesetz ist angestoßen und die Gelegenheit müssen wir als Gesellschaft nutzen, um laut zu werden. Regelmäßig auf die Straßen gehen, wie das in Spanien noch immer geschieht, um mehr zu fordern von unseren Gerichten, von unserer Politik, von unseren Bildungseinrichtungen. In Petitionen mehr Mittel fordern für Frauenhäuser, mehr Bildung an unseren Schulen. Denn Deutschland braucht nicht nur die Fußfessel. Sondern eine ähnlich große gesellschaftliche Zustimmung dafür Femizide zu stoppen.

Hinweis für Betroffene

Hilfe und Unterstützung finden Frauen in Not jederzeit beim Hilfetelefon unter 116 016 und im Chat unter www.hilfetelefon.de.

Welche Maßnahmen könnten Betroffenen noch helfen? Wie kann sich jeder Einzelne von uns engagieren? Lasst uns darüber diskutieren und Ideen sammeln. In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.