
Nordrhein-Westfalen SPD in NRW uneins über "Manifest": Darum geht es
Das "Manifest" der SPD für einen Dialog mit Russland wird auch in NRW die SPD diskutiert. Worum geht es in der Diskussion eigentlich?
Seit vergangenem Dienstag herrscht Unruhe in der SPD: Eine Gruppe innerhalb der Partei hatte überraschend ein "Manifest" veröffentlicht, in dem die Genossen unter anderem für Gespräche mit Russland plädieren - in der Hoffnung auf eine Wende im Angriffskrieg gegen die Ukraine. Außerdem fordern sie einen Stopp der Stationierung weiterer US-Raketen in Deutschland.
Zu den Unterzeichnern gehören Alt-Promis wie der ehemalige Fraktionschef Rolf Mützenich oder der ehemalige NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans, beide aus Köln. Etwa 100 Personen haben das "Manifest" unterzeichnet.
SPD-Parteichef Lars Klingbeil geht auf Distanz
Für Teile der SPD birgt das Papier Sprengstoff, nicht wenige bekannte SPD-Köpfe zeigten sich verärgert: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) diagnostizierte "Realitätsverlust" bei den Parteikollegen. Die Vorstellung einer engeren Zusammenarbeit mit Russland sei "befremdlich", sagte er am Donnerstag in der ZDF-Talkshow Maybrit Illner. Der außenpolitische Sprecher Adis Ahmetovic sprach von einem "inhaltlich in weiten Teilen fragwürdigen Papier". Auch SPD-Parteichef Lars Klingbeil ging auf Distanz.
Partei mit "Raum für Debatten"
Unterstützer des Manifests, darunter auch die NRW-Köpfe Rolf Mützenich und Norbert Walter-Borjans, beteuern dagegen, die angezettelte Diskussion sei kein Angriff gegen die Parteispitze, sondern zeige, dass innerhalb der Partei Raum für Debatten und unterschiedliche Standpunkte sei.
Die Unterzeichner, so viel ist klar, vereint vor allem der Glaube an eine sozialdemokratische Tradition. Ikonische Vorgänger aus der Partei, wie etwa Willy Brandt, hatten den Dialog mit Russland gesucht und gepflegt - und damit zu bestimmten Zeiten der Weltgeschichte auch zur Sicherheit und Stabilität in Westeuropa beigetragen.
"An die Stelle von Konfrontation und Hochrüstung traten Gespräche und Verhandlungen über Sicherheit durch Kooperation, Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung", erinnert man sich wehmütig in dem Papier.
In dem vier Seiten langen Text verweisen die Verfasser darauf, dass es nur durch Gesprächen zwischen US-Präsident Ronald Reagan und dem Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, 1987 zu einer Vereinbarung kam, die das Verbot aller atomarer Mittelstreckenwaffen beinhaltete. Diese "Konzept der gemeinsamen Sicherheit" habe "wesentlich zum Ende des Kalten Kriegs in Europa und zur deutschen Einheit beigetragen", heißt es.
"Heute leben wir leider in einer anderen Welt", stellen die Verfasser fest, und dennoch: "Eine Rückkehr zu einer Politik der reinen Abschreckung ohne Rüstungskontrolle und der Hochrüstung würde Europa nicht sicherer machen."
"Sprache, die Aggressor Putin auch versteht"

Unverständnis bei Jochen Ott
Doch die Zeiten hätten sich gewandelt, sagen die Kritiker. Zu ihnen gehört auch der SPD-Fraktionsvorsitzende in NRW, Jochen Ott. Er verstehe den Antrieb der Unterzeichner und teile ihren Wunsch nach Frieden in Europa und der Ukraine, sagte Ott dem WDR. "Ich stimme mit ihren Vorschlägen zur Erreichung dieser Ziele aber nicht überein."
Heute müsse Deutschland sich selbst verteidigen können, sagt Ott mit Blick auf die geplante Stationierung weiterer Mittelstreckenraketen. "An den notwendigen Investitionen dafür kann daher kein Fragezeichen gesetzt werden. Erst durch eigene Stärke kann Entspannung überhaupt erst wieder Realität werden." Das sei eine Sprache, "die der Aggressor Putin auch versteht".
Zu dem Vorschlag, Gespräch mit Russland zu versuchen, sagte Ott dem WDR: "Ich bin immer für Dialog. Aber Dialogfähigkeit setzt voraus, dass die andere Seite die Sprache auch verstehen will."
SPD-Spitze: Nicht für und nicht wider

NRW-SDP-Generalsekretär Frederick Cordes und NRW-Landeschefin Sarah Philipp
An der Spitze der NRW SPD dagegen scheint man bemüht, sich nicht konkret für oder gegen das Papier zu positionieren: "Uns alle eint der Wunsch nach einem schnellen Ende des Krieges", versichert Generalsekretär Frederick Cordes. Doch die Realität sei "ernüchternd: Nicht zuletzt die Vermittlungsversuche zeigen deutlich, dass es an Wladimir Putin liegt, dass derzeit keine ernsthaften Friedensverhandlungen möglich sind".
Die SPD stehe zu ihrer "historischen Verantwortung als Friedenspartei", sagte Cordes weiter, "aber wir verschließen die Augen nicht vor der Realität". Die Abkehr vom Friedenskonsens durch Russland verpflichte Deutschland, seine Verteidigungsfähigkeit zu stärken und die Bundeswehr zukunftsfest aufzustellen, so Cordes. "Gleichzeitig bleibt es unser Ziel, diplomatische Wege offen zu halten."
"Überlassen Gespräche mit Putin den USA"

SPD-Abgeordnete Sanae Abdi im Bundestag
Zu den jüngeren Unterzeichnerinnen aus den vorderen Reihen der SPD NRW gehört die Bundestagsabgeordnete Sanae Abdi aus Köln. Viele Menschen hierzulande wünschten sich den Dialog, ist die 38-Jährige überzeugt. Als Sprecherin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sehe sie den Weg der Diplomatie als selbstverständlich.
Sie habe das Manifest unterzeichnen können, weil es ihrer Ansicht nach keine Täter-Opfer-Umkehr suggeriere, sondern klar zum Ausdruck bringe, dass Putin im Ukraine-Konflikt der Aggressor sei. Der Name Putin wird in dem Manifest allerdings an keiner Stelle genannt.
Ob mit Putin tatsächlich ein Gespräch möglich ist, sei nicht klar, räumt auch Abdi ein. "Aber es ist eine wichtige Perspektive, die wir gerade zu sehr aus den Händen geben." Und sie verweist darauf, dass ja derzeit durchaus Gespräche mit Putin stattfinden - "aber wir überlassen das gerade dem US-Präsidenten Trump, und dessen Ziel ist sicherlich keine Friedenspolitik".
"Tür zur Friedensbewegung nicht zuschlagen"
Zwar liefen die internen Chatgruppen bei der SPD gerade heiß mit "sehr viel Kritik" und Debatten über das Papier, andererseits erlebe sie in ihrem Kölner Wahlkreis auch viel Zuspruch von Wählern, die ihre alte SPD wieder erkennen würden. "Bewegtheit ging immer mit der Partei einher", sagt Abdi, die mit 22 Jahren in die SPD eintrat. Sie sei immer stark von der Friedensbewegung geprägt gewesen. "Diese Tür dürfen wir nicht zuschlagen."

"Gute gemeint, aber nicht gut gemacht": Thorsten Klute
Das sieht der Bielefelder SPD-Landtagsabgeordnete Thorsten Klute anders: "Das Papier ist bestimmt gut gemeint - damit ist es aber noch lange nicht gut gemacht." Die Unterzeichner - und nicht nur die - unterlägen in der Einschätzung zum Russland des Wladimir Putin "erneut einem Irrtum". So, wie man sich schon nach dem Kauskasuskrieg in Georgien, beim ersten Überfall Russlands auf die Ukraine 2014 oder bei den geopolitischen Folgen des Projekts Nord Stream 2 geirrt habe.
"Putins Kriegswahn falsch eingeschätzt"
Ebenso falsch eingeschätzt habe man Putins "Kriegswahn" auch noch kurz vor dem zweiten Überfall auf die Ukraine im Februar 2022. "Der Grundirrtum ist der Vergleich zur Entspannungspolitik der 70er/80er Jahre", meint Klute: Putin sei nicht an Entspannung interessiert. "Und er ist schon gar nicht Gorbatschow."
"Wenn das Papier doch wenigstens die Utopie verfolgen würde, eine demokratische Opposition zu Putin stärken zu können, und sei es auch zunächst nur im Ausland."
Mützenich vermisst EU-Initiative für Diplomatie
Einer der prominenten Unterzeichner des Manifests ist der Kölner Bundestagsabgeordnete und ehemalige Parteivorsitzende Rolf Mützenich. Im Interview mit der Rheinischen Post von Freitag beklagte er sich über mangelnden Respekt bei der Diskussion um das Papier. Der Vorwurf, er sei "blauäugig" und in einer früheren Zeit stehen geblieben, habe ihn "schon geschmerzt".

Von Vorwürfen getroffen: Rolf Mützenich
Er verkenne "weder die Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen durch Wladimir Putin noch die Drohungen aus dem Kreml", stellte Mützenich in dem Interview klar. Auch sei er für eine gemeinsame Verteidigungsfähigkeit Europas und dafür, die Ukraine in ihrem Selbstverteidigungsrecht weiter zu stärken. Was ihm aber fehle, sei eine EU-Initiative "für Diplomatie, für eine Koexistenz, für den Abbau von Spannungen".
"Erfolglose Strategie anpassen"
Er gehe nicht davon aus, dass Putin derzeit einer Waffenruhe "nach ukrainischen oder europäischen Vorstellungen" zustimmen werde. "Dennoch bleiben Gespräche wichtig."
Eine Frage sei für ihn nach wie vor offen: Warum die bislang verfolgte "Politik der Stärke" gegenüber Russland nicht zu einem Ende des Krieges beigetragen habe. "Wir können nicht erwarten, dass eine erfolglose Strategie irgendwann funktioniert, wenn wir sie nicht anpassen."
Quellen:
- Statement SPD-Landtagsabgeordneter Thorsten Klute
- Statement SPD-Fraktionsvorsitzender NRW Jochen Ott
- Statement SPD-Landesvorsitzender Frederick Cordes
- Interview MdB Sanae Abdi
- Zitate aus Gesprächen in ZDF-Talkshow Maybrit Illner
- Interview mit Rolf Mützenich (SPD) in der "Rheinischen Post"