Zerstörungen nach israelischen Angriffen

Nordrhein-Westfalen Israel greift Iran an: Flächenbrand ist "sehr wahrscheinlich"

Stand: 13.06.2025 12:58 Uhr

Was bedeutet Israels Angriff auf den Iran? Kommt es zu einem weiteren Krieg in der Region? Fragen an einen Experten.

Von Ingo Neumayer

Nachdem Israel in der Nacht auf Freitag iranische Atomanlagen und andere Ziele im Land angegriffen hat, hat der Iran mit Drohnenangriffen geantwortet. Irans Außenminister wertete den Großangriff auf sein Land als Kriegserklärung. In der Region wächst die Angst vor einem Flächenbrand.

Israel greift den Iran an | Kurzvideo

Cornelius Adebahr ist als Berater für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik tätig. Er hat lange in Teheran gelebt und über das iranische Atom-Programm publiziert.

WDR: Kam der Angriff Israels auf die iranischen Militär- und Atomanlagen überraschend?

Cornelius Adebahr: Das hat sich schon angedeutet. Die Amerikaner hatten zuletzt Personal von den Botschaften abgezogen, was ein Signal dafür war, dass eine Eskalation bevorstehen könnte. Gleichzeitig hat Israel schon seit Monaten darüber gesprochen, dass sie womöglich zu einem Militärschlag ausholen würden. Die Idee, dass Israel militärisch gegen die iranischen Atomanlagen vorgehen könnte, gibt es schon seit langem. Darüber wird seit über zehn Jahren geredet.

WDR: Wie schwer war der Schlag gegen die iranischen Militär- und Atomanlagen?

Iran-Experte Cornelius Adebahr

Politologe und Iran-Experte Cornelius Adebahr

Adebahr: Belastbare und objektive Daten haben wir hier noch nicht. Die ersten Berichte deuten darauf hin, dass es gezielte Schläge gegen einzelne Einrichtungen des Atomprogramms waren. Israel sprach von der Atom-Anreicherungsanlage in Natans, aber auch Führungspersonal der Revolutionsgarden und Einrichtungen militärischer Art wurden angegriffen. Das deutet darauf hin, dass der Angriff von langer Hand vorbereitet war. Wir müssen davon ausgehen, dass Israels Angriff heute Nacht keine einmalige Sache war, sondern dass das noch längerfristig weitergeht.

WDR: Wie weit war der Iran mit seinem Atomprogramm fortgeschritten?

Adebahr: Das ist Gegenstand zahlreicher Spekulationen. Was wir wissen, ist: Iran hat weitaus mehr Uran angereichert, als für das zivile Energieprogramm nötig wäre. Die Tatsache, dass sich dieses hochangereicherte Uran unter iranischer Kontrolle befand, lässt darauf schließen, das zumindest das Ansammeln von Material für eine Atombombe möglich gewesen wäre. Und zwar eher binnen Wochen oder Monaten als binnen Jahren.

Das heißt aber nicht, dass dieses Material dann auch direkt zu einer Bombe hätte fabriziert werden können. Dafür braucht man auch noch Trägersysteme und ähnliche Techniken. Israel behauptet zwar, es gäbe neueste Geheimdiensterkenntnisse. Aber wir können derzeit nicht davon ausgehen, dass tatsächlich der Bau einer Atombombe kurz bevorstand, was diesen Angriff gerechtfertigt hätte.

WDR: Wie groß ist die Gefahr, dass nach den Angriffen auf die Atomanlagen Strahlung austritt und die Bevölkerung betroffen ist?

Menschen laufen über Trümmer nach israelischen Angriffen

Zerstörungen in Teheran nach israelischem Angriff

Adebahr: In Iran gibt es im Moment nur zwei Atomreaktoren: Einen Forschungsreaktor in Teheran und einen Energiereaktor an der Küste des Persischen Golfs. Hier müsste man unter Umständen mit einer Kettenreaktion rechnen, allerdings wurden diese beiden Anlagen meines Wissens nicht beschossen. Die Urananreicherungsanlage in Natans, die angegriffen wurde, ist kein Reaktor, dort besteht also nicht die Gefahr einer Kettenreaktion. Dort könnte zwar angereichertes Uran freigesetzt werden, das wäre aber nicht vergleichbar mit einem atomaren Unfall.

WDR: Am Wochenende wollte sich der US-Sondergesandte Steve Witkoff mit dem iranischen Außenminister treffen, um über das Atomprogramm zu reden. Ist eine diplomatische Lösung jetzt vom Tisch?

Adebahr: Realistisch ist sie derzeit zumindest nicht. Iran wurde angegriffen und wird sich verteidigen wollen. Da wird man jetzt nicht mit den Amerikanern über sein eigenes Nuklearprogramm verhandeln. Das Damoklesschwert eines militärischen Eingreifens hing ja immer über diesen diplomatischen Verhandlungen.

Israel hat sich jetzt entschieden, diese Option zu nutzen, obwohl die Amerikaner sich davon distanziert haben. Und in dem Statement, das US-Außenminister Marco Rubio nach dem Angriff abgegeben hat, liest sich heraus, dass die USA nicht einverstanden sind mit dieser Entscheidung. Da scheint es zu einem großen Zerwürfnis zwischen Israel und den USA gekommen zu sein. Denn natürlich hätte Präsident Trump hier gerne einen diplomatischen Erfolg verbucht -  wie auch immer der dann ausgefallen wäre.

WDR: Wie wird der Iran reagieren, mit welchen Vergeltungsmaßnahmen muss Israel rechnen?

Explosionen in der iranischen Stadt Tehran

Wie reagiert Iran auf Israels Angriff?

Adebahr: Man konnte ja bereits im vergangenen Jahr sehen, wie Iran Israel angreift: mit Drohnen und mit Raketen. Es könnte auch Angriffe auf israelische Botschaften in Drittstaaten geben. Die entscheidende Frage lautet: Inwiefern schafft es Iran, seine regionalen Verbündeten - also beispielsweise die Hisbollah oder die Huthis - mit ins Spiel zu bringen, so dass diese ihrerseits Angriffe gegen Israel fahren? Derzeit ist schwer absehbar, welche Antwort Iran wählt und wie sehr die Lage dann eskaliert. Aber dass Iran nach diesem Angriff nicht antwortet, ist ausgeschlossen.

WDR: Der befürchtete "Flächenbrand", von dem im Nahen Osten immer wieder die Rede ist, steht nun also unmittelbar bevor?

Adebahr: Zumindest ist er sehr wahrscheinlich. Wir haben jetzt das Szenario, vor dem lange gewarnt wurde. Viele Menschen haben lange daran gearbeitet, um genau diese Situation mit diplomatischen Verhandlungen zu verhindern. Aber Israel hat offensichtlich den Weg gewählt, dass es in diese Auseinandersetzung geht.

Ein Feuerwehrmann vor einer zerstörten Häuserfassade im Iran

Wie entwickelt sich der Konflikt?

Die anderen Länder in der Region wie Saudi-Arabien und die Golfstaaten werden in großer Sorge sein, weil der Konflikt unter Umständen auch vor ihnen nicht haltmachen wird. Vieles hängt davon ab, wie Iran antwortet und was Israel an weiteren Maßnahmen geplant hat und durchführen wird. Ich glaube, die Sicherheitslage im Nahen Osten hat sich gerade schon sehr mächtig verschoben.

Über dieses Thema berichten wir am 13.06.2025 auch im WDR Fernsehen: WDR aktuell, 12.45 Uhr.

Unsere Quellen:

  • Interview mit Cornelius Adebahr
  • Nachrichtenagenturen dpa, Reuters