
Nordrhein-Westfalen Grenzen des Wachstums: "In Würde mit weniger Geld auskommen"
Das Wachstum in Deutschland kommt zum Erliegen. Wirtschaft und Jobs sind in Gefahr. Der Ökonom Niko Paech plädiert für ein Umdenken.
Die deutsche Wirtschaft kommt nicht aus der Krise. Bundeswirtschaftsminister Habeck erwartet für das laufende Jahr eine Stagnation des Bruttoinlandsprodukts. Er stellte am Donnerstagmittag die sogenannte Frühjahrsprognose vor. Demnach wird die Wirtschaft das dritte Jahr in Folge nicht wachsen - das gab es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Ein Comeback hänge nun maßgeblich vom Handelskrieg mit den USA und Reformen der künftigen Bundesregierung ab.
Bessere Lebensbedingungen durch Wachstum?

Immer die neuesten Klamotten als Ausdruck von Wohlstand - Konsum geht einher mit hohem Ressourcenverbrauch
Unser Wirtschaftssystem basiert auf Wachstum. Dieses Wachstum misst sich daran, wie viel der Wert aller Waren und Dienstleistungen, die in einem Land produziert wurden, gestiegen ist. Gemessen wird diese Wertzunahme im Zeitraum von einem Jahr. Historisch gesehen bedeutete Wachstum auch immer Reichtum. Wenn die Wirtschaftsleistung wuchs, verbesserten sich auch die Lebensbedingungen.
Wie zukunftsfähig ist Wirtschaftswachstum?
Andererseits steht die Frage im Raum, ob dieses System überhaupt zukunftsfähig ist. Denn: Wachstum bedeutet auch den weiteren Verbrauch von Ressourcen und die sind endlich. Eine Wirtschaft ohne Wachstum ist für manche Ökonomen der Schlüssel für mehr Nachhaltigkeit, Klimaschutz und einem neuen sozialen Miteinander.

Niko Paech lehrt Plurale Ökonomik an der Universität Siegen
Eine ihrer prominentesten Stimmen in Deutschland ist Niko Paech, außerplanmäßiger Professor an der Universität Siegen. Er forscht und lehrt im Bereich der Pluralen Ökonomik mit Schwerpunkten in Umweltökonomie, Ökologischer Ökonomie und Nachhaltigkeitsforschung. Im Interview mit dem WDR erklärt er, dass Regierungen Unmögliches versprechen, auch grünes Wachstum eine Illusion ist und wie wir in die Zukunft gehen könnten.
Grenzen des Wachstums im Mangel sichtbar
"Es wäre früher oder später auf die moderne Gesellschaft zugekommen, sich damit abzufinden, dass weiteres wirtschaftliches Wachstum nicht fortsetzbar ist, weil die substanzielle Basis dafür fehlt", so Paech. Begrenzt seien Flächen, Materialien, Energie. Er unterstütze Erneuerbare wie Solar und Wind, doch der konstante Energiebedarf einer modernen Industriegesellschaft sei weder billig noch konstant zu leisten.
Paech: „Wachstum ist doppelte Konkursverschleppung“
Die Krise zeige sich in der Verknappung von Mikrochips, von Mineralien wie Kupfer, Lithium, Seltenen Erden, strategischen Metallen und Holz. Ohne die sei man überhaupt nicht in der Lage, weiteres Wachstum zu erzeugen. "Es ist fast so etwas wie eine doppelte Konkursverschleppung, wenn nun mit der Brechstange versucht wird, über Verschuldung, eine Trump'sche Zollpolitik, das Opfern letzter Landschaften oder eine nicht funkionierende Energiewende irgendwie Wachstum herbeizuführen. Das hat langfristig keine Basis."
"Unser Arbeitszeitmodell überdenken"
Man könne nicht von Stagnation, sondern von Gesundung reden, meint Paech. Die Gesellschaft müsste ihren Lebensstil verändern und ihr Arbeitszeitmodell. Bei Nullwachstum drohe so etwas wie Beschäftigungslosigkeit. Die lasse sich nur innerhalb ökologischer Grenzen überwinden: Und wenn man vom Anspruch abrücke, "unbedingt 40 Stunden pro Woche im Lebenszeit-Durchschnitt zu schuften".
Es wäre besser, 31, 20 oder die 15 Stunden-Woche anzupeilen. Und sich zu überlegen, wie es gelingt, in Würde und auf Basis einer hohen Lebensqualität eben auch mit weniger Geld auszukommen.
Niko Paech, Ökonom an der Uni Siegen
Mitwirkung und Bildung stärken
Es sei entscheidend, die freigestellte Zeit zu nutzen, um mitzuwirken an der Befriedigung der wichtigen Grundbedürfnisse, sagt der Postwachstumsökonom. "Wir müssen uns mehr ums Handwerk kümmern, unser Bildungssystem - Nahrungsanbau und mitzuwirken an der Reparatur der Nutzungsdauerverlängerung, der Gemeinschaftsnutzung der Dinge." Wer sich ein Auto mit fünf Leuten teile, brauche weniger Geld, müsse weniger arbeiten. Das ermögliche mehr Menschen ein Leben in Würde und auf Basis hoher Lebensqualität.
Wir haben momentan eine Gesellschaft, in der jede Beziehung verloren gegangen ist zwischen den Wünschen, die Menschen artikulieren, und der eigenen Leistung, die sie in der Lage sind, dafür zu erbringen.
Niko Paech, Postwachstumsökonom
Paech: "Wir werden uns vieles nicht mehr leisten können"

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Eine Degrowth- oder Postwachstumsstrategie sieht Paech auch bei den derzeitigen politischen Konstellationen nicht. Der Ökonom rechnet mit einer Entwicklung aus der Zivilgesellschaft heraus - spätestens dann, wenn sich Krisen verschärfen, wenn sich Deutschland vieles nicht mehr leisten könne. "Dann werden wir anfangen, zu improvisieren. Dann, wenn wir darüber nachdenken, dass wir keine neuen Sneakers kaufen, sondern die alten länger nutzen."
Das Interview mit Niko Paech gibt es hier in voller Länge zum Anhören:
Quellen:
- WDR-5-Interview am 24.2.2025 mit Niko Paech, außerplanmäßiger Professor an der Universität Siegen