Eine Männerhand, die ein Messer hält

Nordrhein-Westfalen "Den stech‘ ich ab!" – Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen

Stand: 10.06.2025 06:00 Uhr

In ganz NRW ist die Zahl der Messerangriffe laut Landeskriminalamt deutlich gestiegen. Jeder dritte Tatverdächtige ist unter 21 Jahre alt. Woher kommt diese jugendliche Gewaltbereitschaft? Dazu haben wir mit Patricia Deertz, der Jugendamtsleiterin in Menden und Jana Zimmermann, der Teamleiterin Kinder- und Jugendarbeit, gesprochen.

Von Ulf Priester

Auf einem Spielplatz in Menden wurde ein 14-Jähriger von einem 17-Jährigen erstochen. Es folgten Rache-Androhungen in den sozialen Medien. Auf Anraten der Polizei blieb daraufhin eine Gesamtschule am nächsten Tag geschlossen.

„Den stech‘ ich ab!“ – Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen

WDR-Reporter Ulf Priester beobachtete eine Situation, wie ein Jugendlicher zur Schwester des Getöteten tröstend sagte: "Den stech‘ ich ab!" Die Situation spiegelt eine enorme Gewaltbereitschaft nicht nur beim Täter, sondern bei anderen Jugendlichen wider.

WDR: Nehmen Sie das auch so wahr, Frau Deertz?

Patricia Deertz: Ja, leider. Wir nehmen das unter den Kindern und Jugendlichen tatsächlich wahr. Das kommt aber auch durchs eigene Gewalterleben, was Kinder und Jugendliche in ihrem Leben haben.

Aber auch durch eine geringe Frustrationstoleranz und durch fehlende Konflikt-Lösungs-Strategien. Und – auch wenn das blöd klingt – die Corona-Pandemie. Die klingt immer noch nach bei den Jugendlichen. Sie durften ja niemanden treffen in der Zeit.

Potrait von Jana Zimmermann, der Teamleiterin Kinder- und Jugendarbeit.

Jana Zimmermann, Teamleiterin Kinder- und Jugendarbeit


Jana Zimmermann: Es wurde eben alles unterbunden, was zu einer normalen Entwicklung, zu einer normalen Jugendlichkeit dazu gehört, eben Konfliktlösungen zu trainieren. Zu merken: Was passiert denn, wenn wir aneinander geraten? Was kann man denn tun, bevor eben ein Zuschlagen oder gar ein Abstechen passiert?

Patricia Deertz: Ein weiterer Grund sind die sozialen Medien, die immer wieder Gewalt verherrlichen. Und bei Corona war Social Media für viele Kinder und Jugendliche das einzige Medium. Und an denen sind sie leider hängen geblieben.

WDR: Dann waren die Beteiligten in der Corona-Zeit zum Teil erst neun oder zehn Jahre alt. Sind sie in dem Alter schon sozialen Medien wie Instagram oder TikTok ausgesetzt?

Jana Zimmermann: Ja, also wir haben hier viele Kinder, die 24/7 365 Tage im Jahr ohne Regulierung an Handys können. An das elterliche Handy. An das eigene Handy – auch in dem Alter. Und interessant ist eben auch oft das, was ein bisschen verboten ist.

Patricia Deertz, Jugendamtsleiterin in Menden und Jana Zimmermann, der Teamleiterin Kinder- und Jugendarbeit sitzen nebeneinander.

Patricia Deertz (links) und Jana Zimmermann (rechts)

Es werden gewaltverherrlichende Dinge präsentiert. Die scheinbar cool sind und die dazu führen. Und ich glaube, dass dann auch die Zunge der Jugendlichen etwas lockerer ist. Und solche Dinge, wie Sie gerade beschrieben haben - "Ich stech‘ den ab!“ – das geht leider leichter über die Lippen.

WDR: Inwieweit ist es verbreitet, dass Jugendliche, die sich so treffen, ein Messer dabei haben?

Patricia Deertz: Ja, das ist leider der Alltag. Das stellen wir auch immer wieder fest. Man will cool sein in der Gruppe. Man will Macht ausüben damit. Man will zeigen, was man hat: ein tolles Messer! Und dann gibt’s natürlich auch die, die es mitnehmen, um sich zu verteidigen. Die Angst haben.

Jana Zimmermann: Es ist ja auch überhaupt kein Problem mehr, dran zu kommen – ein paar Klicks im Internet. Es ist schon so, dass wir das in Gesprächen mehrfach wahrnehmen. Und da setzen wir dann an. Das zu thematisieren: Warum tust du das?

WDR: Was sagen die Jugendlichen dann?

Jana Zimmermann: Das, was Frau Deertz gerade gesagt hat: "Ja, das gehört einfach dazu. Macht doch jeder. Warum glaubst du denn, ich hab keins in der Tasche?“ Also das sind wirklich … Ja, da muss man auch als Fachkraft schlucken, sich neu ausjustieren und erstmal gucken.

WDR: Wenn über Messerangriffe berichtet wird, hatten Beteiligte oft einen Migrationshintergrund. Beobachten Sie das auch?

Jana Zimmermann: Kann ich an der Stelle nicht so beantworten. Ich glaube, dass es weniger um Migrationshintergrund oder Deutsch geht. Sondern es geht leider darum, sich darüber zu erheben, dass man einen Unterschied feststellt: "Ich bin anders.“ Und das ist nicht unbedingt "Deutsch“ oder "Migrantischer Hintergrund“.

Das kann auch sein "BVB“ und "Schalke“, um’s mal ganz platt zu sagen. Dass das die Themen sind. Und dass unsere Arbeit ansetzen muss, Verständnis für Diversität zu schaffen.

"Respect the Difference“ ist zum Beispiel der Titel eines Schul-Seminars, das wir haben. Ich glaube, wir machen es uns zu einfach, wenn wir sagen, das hat was mit Migranten in unserem Land zu tun.

Unsere Quelle:

  • Reporter im Interview mit Patricia Deertz und Jana Zimmermann