Frau trinkt Alkohol.

Nordrhein-Westfalen Ab wann wird Alkoholkonsum zum Problem - und wie kommt man da raus?

Stand: 10.06.2025 13:31 Uhr

Rund 1,4 Millionen Menschen in Deutschland gelten als alkoholabhängig. Was sind die Warnzeichen und wo gibt es Hilfe?

Von Andreas Poulakos

Alkohol ist überall erhältlich und der Konsum gesellschaftlich akzeptiert - viele treibt er allerdings in die Abhängigkeit. Nach einer aktuellen Studie der Barmer-Krankenkasse befinden sich 1,4 Millionen Menschen in Deutschland wegen einer Alkoholsucht in medizinischer Behandlung. Nach Ansicht von Experten handelt es sich dabei wohl nur um die Spitze des Eisbergs: Nur ein relativ kleiner Teil der Betroffenen bemühe sich irgendwann im Verlauf ihrer Suchtgeschichte um ärztliche Hilfe.

Nach Daten der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) zeigen tatsächlich rund 7,9 Millionen Erwachsene in Deutschland riskantes Konsumverhalten, das die Gefahr für psychische, körperliche oder soziale Schäden erhöht. Für sie gibt es eine Reihe von Hilfsangeboten - zum Beispiel die Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker, die am Dienstag ihr 90-jähriges Bestehen feiern konnten.

Wie groß ist das Problem? Ab wann sollte man den eigenen Konsum kritisch beobachten? Und wo gibt es Hilfe?

Welche Bevölkerungsgruppe ist besonders stark betroffen?
Sind Frauen weniger anfällig?
Wie erkennt man, dass man ein Problem hat?
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Ist nur Abstinenz die Lösung?
Was ist mit Selbsthilfegruppen?

Welche Bevölkerungsgruppe ist besonders stark betroffen?

Nach der Barmer-Studie steigt das Risiko, im Laufe eines Lebens alkoholkrank zu werden, ab den mittleren Jahren stark. Ein Großteil der Betroffenen ist demnach zwischen 55 und 64 Jahre alt. Während das Risiko bei jungen Menschen unter 25 Jahre noch relativ gering ausfällt, nimmt die Zahl der Betroffenen mit zunehmenden Alter stark zu, um ab dem 65. Lebensjahr wieder zu sinken.

In fast allen Altersgruppen gibt es dabei mindestens doppelt so viele betroffene Männer wie Frauen. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) geht davon aus, dass in jedem Jahr rund 40.000 Menschen vorzeitig an den Folgen ihres Alkoholkonsums sterben.

Auch regional gibt es Unterschiede: In den Neuen Bundesländern und Berlin gibt es laut der Barmer-Studie deutlich mehr Menschen mit einer diagnostizierten Alkoholsucht. Nordrhein-Westfalen liegt mit 1,51 Prozent Betroffenen in der Gesamtbevölkerung leicht unter dem bundesweiten Durchschnitt von 1,69 Prozent.

Sind Frauen weniger anfällig?

Statistisch scheinen Frauen tatsächlich seltener von einer akuten Alkoholsucht betroffen zu sein. Allerdings gebe es Ausnahmen, erklärte Suchtmediziner Falk Kiefer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit am Dienstag im WDR. Immer häufiger seien zum Beispiel Frauen betroffen, die beruflich besonders erfolgreich sind. Das hänge indirekt auch mit der Emanzipationsbewegung zusammen. Während in den 1980er- und 90er-Jahren Frauen, die übermäßig Alkohol trinken, noch stark stigmatisiert wurden, gestehe man ihnen mittlerweile gesellschaftlich gleiche Rechte wie Männern zu - auch beim Trinken.

Allerdings seien Frauen in der Regel gesundheitsbewusster als Männer und erkennen auch schneller als Männer, dass ihr Konsumverhalten problematisch ist, so Kiefer. Deshalb seien sie auch eher bereit, sich einer Therapie zu stellen.

Wie erkennt man, dass man ein Problem hat?

Laut den Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO ist "riskanter" Alkoholkonsum sehr weit verbreitet. Bereits 20 Gramm reiner Alkohol am Tag könne bei einem Mann langfristig zu schweren gesundheitlichen Schäden führen, bei Frauen sind es zehn Gramm. Wer einen halben Liter Bier trinkt, hat dabei bereits 20 Gramm intus. Frauen brauchen nur ein Glas Wein, um auf zehn Gramm reinen Alkohol zu kommen. Das heißt: Die Menge des konsumierten Alkohols reicht nicht aus, um auf eine Suchterkrankung zu schließen.

Aber wann ist der Alkoholkonsum noch im Rahmen – und wann ist die Grenze zum Alkoholismus überschritten? Nach den Kriterien der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems spricht man von einer Alkoholabhängigkeit, wenn bei dem Betroffenen innerhalb eines Jahres mindestens drei der folgenden Symptome aufgetreten sind:

  • empfindet den starken Drang, Alkohol zu trinken
  • kann Beginn, Ende und Ausmaß des Konsums nicht oder nur schwer kontrollieren
  • reagiert mit körperlichen Entzugssymptomen, wenn er oder sie den Konsum stoppt
  • benötigt immer mehr Alkohol, um eine Wirkung zu spüren
  • vernachlässigt das soziale Umfeld zugunsten von Konsum oder Erholung vom Konsum
  • Trinkt weiter Alkohol, obwohl bereits gesundheitliche oder soziale Probleme bestehen

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Die meisten Therapien einer schweren Alkoholsucht starten mit einer Phase des körperlichen Entzugs, der in der Regel bei einem stationären Aufenthalt in einer Suchtklinik oder einer Reha-Einrichtung überwacht wird. Die medizinische Begleitung ist oft notwendig, weil in schweren Fällen der plötzliche Entzug von Alkohol für den Süchtigen gefährlich werden kann.

Im Anschluss an den Entzug folgt die Entwöhnungsphase, in der die psychische Abhängigkeit im Fokus steht. Die Therapie kann sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, ein Großteil der Betroffenen erlebt mindestens einmal oder mehrmals einen Rückfall. Vor allem bei sehr schweren Fällen von Alkoholsucht besteht das Therapieziel in einer völligen Abstinenz. Schon kleinste Mengen Alkohol können einen massiven Rückfall in alte Gewohnheiten auslösen.

Inzwischen gibt es auch eine Reihe von Medikamenten, die Alkoholkranke beim Entzug unterstützen. Teilweise mildern sie die Abhängigkeitssymptome, manche greifen auch direkt in das "Belohnungssystem" des Körpers ein und verringern auf biochemischen Weg das Verlangen nach Alkohol. Früher wurden auch Wirkstoffe verabreicht, die eine Alkoholunverträglichkeit beim Patienten auslösten. Die Präparate werden inzwischen nicht mehr eingesetzt.

Ist nur Abstinenz die Lösung?

Jahrzehntelang wurde Abstinenz als die einzig Erfolg versprechende Therapie angesehen. In der Praxis aber bleiben langfristige Erfolge häufig aus – so halten laut Bundesforschungsministerium beispielsweise nur 20 Prozent der Betroffenen die Abstinenz bis Therapieende durch. International werden deshalb immer häufiger alternative Strategien empfohlen, insbesondere eine Reduktion der jeweiligen Trinkmenge. "Wissenschaftliche Untersuchungen und die Praxis deuten darauf hin, dass auch ein geringes Trinken unterhalb schädlicher Mengen ein Ausweg aus der Alkoholkrankheit sein kann", sagt zum Beispiel Christopher Baethge von der Uniklinik Köln.

Was ist mit Selbsthilfegruppen?

Der Austausch mit anderen Betroffenen gilt als sehr hilfreich, wenn es darum geht, "trocken" zu werden und zu bleiben. Besonders weit verbreitet sind in Deutschland Gesprächsgruppen der Anonymen Alkoholiker (AA) - insgesamt sind 1.650 Gruppen registriert. Anders als in früheren Zeiten spielen christliche Erweckungsbotschaften bei AA-Gruppen keine zentrale Rolle mehr. Inzwischen sind auch Atheisten oder Mitglieder nicht-christlicher Konfessionen bei den Anonymen Alkoholikern willkommen, obwohl auf den Treffen weiterhin eine ausgeprägt "spirituelle" Atmosphäre gefördert wird.

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