Im Hafen von Mukran auf Rügen lagern noch Rohre für die Ostseepipeline Nord Stream 2.

Mecklenburg-Vorpommern Nord Stream 2 und Klimastiftung MV: Alles nur ein großer Bluff?

Stand: 10.06.2025 14:20 Uhr

Die umstrittene Klimastiftung sollte Unternehmen, die am Bau von Nord Stream 2 beteiligt waren, vor US-Sanktionen schützen. Aber war sie wirklich notwendig, wie Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig behauptete? Das Schreiben eines Sanktionsexperten stellt das infrage.

Von Frank Breuner

Ende März 2023 kommt der Landtag in Schwerin zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Es geht um die stetig wachsende Kritik an der Russland-Politik der Landesregierung vor dem Beginn des Kriegs in der Ukraine und um die Rolle von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) beim Bau von Nord Stream 2. Warum war sie für die Gründung der umstrittenen Klimastiftung MV, die den Fertigbau der Ostseepipeline sichern sollte?

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In der Debatte begründete Schwesig dies unter anderem mit Gefahren für landeseigene Firmen: "Es ging darum, die am Bau beteiligten Unternehmen wie zum Beispiel den Hafen Mukran vor den rechtswidrigen Sanktionsdrohungen der Trump-Administration zu schützen." Doch ist diese Aussage korrekt? Dem NDR liegt ein Schreiben vor, in dem der Sanktionsexperte der Landesregierung und des Fährhafens Sassnitz-Mukran das völlig anders einschätzte. Es bestehe keinerlei Gefahr für den Fährhafen durch die Sanktionen, schreibt er im Dezember 2020.

Angst vor US-Sanktionen in Sassnitz

Angefangen hatte die Geschichte im Sommer 2020. Die Ostseepipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Lubmin bei Greifswald war fast fertig gebaut, es fehlten weniger als zweihundert Kilometer, als die Arbeiten zum Erliegen kamen. Banken weigerten sich, Geld an die Lieferanten der Nord Stream 2 AG zu überweisen - aus Furcht vor angedrohten Sanktionen der Vereinigten Staaten, die gegen das Projekt waren.

Und auch der Versorgungshafen für die Baustelle auf der Ostsee bekam den Zorn der USA zu spüren. Im August 2020 geht ein Brief beim Fährhafen Sassnitz-Mukran ein, unterschrieben von drei US-Senatoren. In ihm wird dem Hafen mit "vernichtenden" Maßnahmen gedroht, wenn man sich nicht aus dem Pipeline-Projekt zurückziehe. In Sassnitz macht der Inhalt des Briefs schnell die Runde und die Aufregung ist groß. Viele Menschen haben Angst vor den Konsequenzen der angedrohten Sanktionen.

Schwesig: Die Stiftung sollte den Fährhafen Sassnitz schützen

Doch zunächst handelt es sich nur um Drohungen. Im US-Kongress ist das entsprechende Gesetz noch längst nicht verabschiedet. Ministerpräsidentin Schwesig, die bedingungslos hinter der Ostseepipeline steht, fährt im September 2020 demonstrativ nach Sassnitz und weist im Fährhafen die Drohungen der USA zurück: "Was schon gar nicht passieren kann, ist, dass dieser Hafen Mukran, der kleine Hafen Mukran und vor allem seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Spielball von weltpolitischen Interessen werden."

Mutmaßlich in dieser Zeit wurde die Idee einer Stiftung des Landes Mecklenburg-Vorpommern geboren, die den Hafen und andere Lieferanten vor den angedrohten Sanktionen schützen sollte. Denn staatliche Stiftungen wären auf jeden Fall von den US-Maßnahmen nicht betroffen gewesen, da waren sich Experten einig. So sollte die Klimastiftung MV im Auftrag der Nord Stream 2 AG Aufträge an den Hafen Sassnitz und die anderen am Bau der Pipeline beteiligten Unternehmen vergeben - eine Art Schutzschirm für alle Beteiligten.

US-Sanktionsdrohungen wurden entschärft

Doch ob dieser Schutzschirm je notwendig war, ist fraglich. Denn im Herbst wird im US-Kongress weiter an dem Sanktionsgesetz gearbeitet. Und es wird entschärft. So schätzt es jedenfalls der Sanktionsexperte ein, der für die Landesregierung und den Fährhafen Sassnitz arbeitet. Der Rechtsanwalt Hans-Peter Huber schreibt Mitte Dezember 2020: "Mit diesem Gesetz löst sich (…) die Drohung der drei Senatoren, ebenso wie andere Drohungen aus den USA, jedenfalls hinsichtlich des Fährhafens Sassnitz ins Nichts auf."

Öffentliche Infrastruktur wie der Hafen könnte laut Gesetz gar nicht mit Sanktionen belegt werden, so Huber. Und auch andere Firmen müssten sich keine großen Sorgen machen: "Das Gesetz schafft (…) auch für die privaten Firmen, die an dem Projekt beteiligt sind, eine deutliche Erleichterung (…)."

Grüne: Stiftung hätte nie gegründet werden sollen

Das Schreiben Hubers ist als Entwurf gekennzeichnet und in der Landesregierung bekannt. In einer Mail schickt der damalige Energieminister Christian Pegel (SPD) es kurz vor Gründung der Stiftung Anfang Januar 2021 an seinen Kabinettskollegen, den damaligen Finanzminister Reinhard Meyer (SPD). Eigentlich war der Brief Hubers an den Aufsichtsrat des Fährhafens Sassnitz adressiert. Dort kam er aber nie an.

Die Opposition sieht die Geschichte kritisch. Warum wurde dieser Brief nie veröffentlicht? Für die Grünen im Landtag stellt sich damit die zentrale Frage in der Geschichte, nämlich ob die Stiftung jemals notwendig war: "Da das Schreiben der Landesregierung bereits vor der Gründung der Stiftung im Landtag vorlag, wäre sie auch aus meiner Sicht gehalten gewesen, diese Stiftung nicht zu gründen", meint Hannes Damm, Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuss.

Für den FDP-Landeschef René Domke ist die Erzählung vom Hafen Sassnitz sogar nichts anderes als eine Schutzbehauptung der Ministerpräsidentin. Der AfD-Vertreter im Untersuchungsausschuss, Michael Meister, hält die Einschätzung Hubers grundsätzlich für richtig, aber: "Die Gründung der Stiftung diente (…) laut Einschätzung der AfD-Fraktion (…) auch dem Schutz der einzelnen Betroffenen vor US-Sanktionen."

Regierungssprecher: Schwesig kannte brisantes Schreiben nicht

Auf eine Anfrage des NDR an die Ministerpräsidentin antwortet der Regierungssprecher schriftlich: Schwesig kenne das entsprechende Schreiben Hubers nicht. Außerdem sei für die Beurteilung der Bedrohungssituation durch Sanktionen der damalige Energieminister Christian Pegel zuständig gewesen. "Für Herrn Pegel gab es (…) keine absolute Sicherheit, dass die neuen US-Sanktionsregelungen nicht auch den Hafen Mukran betreffen, zumal die Drohbriefe gegen den Hafen nicht zurückgenommen waren", so der Regierungssprecher.

Für die Opposition klingt die Aussage, Schwesig habe nichts von dem Schreiben des Rechtsanwalts gewusst, unglaubwürdig. Frau Schwesig sei bekannt für ihr Mikromanagement, meint Sebastian Ehlers (CDU), der Vorsitzende des Landtags-Untersuchungsausschusses. "Von daher gehe ich mal davon aus, wenn ihre engsten Vertrauten so ein Schreiben bekommen, dass das auch mit ihr kommuniziert wurde." Es sei nicht mit offenen Karten gespielt worden.

Grüne: Stiftung sollte Gazprom-Tochter schützen

Der Grüne Damm hat eine Theorie: "Am Ende wurde diese Stiftung gegründet, um Nord Stream 2 zu schützen - vor den Finanzsanktionen der Amerikaner. Und nichts anderes. Und das wussten auch alle Beteiligten." Es sei eben nicht um die Zulieferer oder den Hafen Sassnitz gegangen, sondern nur um die Gazprom-Tochter Nord Stream und ihre Pipeline.

Der Regierungssprecher weist das zurück. Alle Maßnahmen, auch die Gründung der Stiftung, seien immer zum Wohl des Landes getroffen worden. Die Sicht der Opposition stützte allerdings vor einigen Monaten ein Zeuge im Untersuchungsausschuss des Landtags. Der ehemalige Geschäftsführer des Wirtschaftsbetriebs der Klimastiftung, Steffen Petersen, beschrieb in seiner Aussage die Stiftung als "(…) quasi eine Art Schutz beziehungsweise Risikoreduzierung für Sanktionen gegen Nord Stream 2. Zu keiner Zeit bin ich davon ausgegangen (…), dass die Stiftung ein Schutzschirm für Lieferanten war".

Der Staatskanzlei sei eine solche Aussage nicht bekannt, heißt es vom Regierungssprecher. Im Protokoll des Untersuchungsausschusses ist die Aussage Petersens nachzulesen. Rechtsanwalt Hans-Peter Huber will zu seinem Schreiben keine Stellung nehmen. Auf Anfrage des NDR verwies er unter anderem auf seine anwaltliche Schweigepflicht.

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 10.06.2025 | 16:00 Uhr