
Hamburg Immersive Ausstellungen: Effekt-Hascherei oder "wahre" Kunst?
Während traditionelle Museen um Besucher kämpfen, feiern immersive Kunstausstellungen Besucherrekorde. Was bedeutet dieser Trend für die Kunstwahrnehmung des Publikums? Ein Gespräch mit Christoph Platz-Gallus.
Der Kunsthistoriker, Kurator und Kulturmanager findet die Idee immersiver Ausstellungen durchaus interessant. Der Barriereabbau sei da ein entscheidender Faktor, von dem auch andere Institutionen profitieren könnten. Auf der anderen Seite vermutet Platz-Gallus, diese immersiven Techniken würden sich in Zukunft "ein bisschen abnutzen", das habe sich auch beim nun überholten Hype der 3-D-Brillen im Kino gezeigt.
Die erste Ausstellung im Port des Lumières in Hamburg zeigt Werke von Klimt und Hundertwasser, die nicht physisch vor Ort sind, sondern digital inszeniert werden. Wie finden Sie das?
Christoph Platz-Gallus: Das ist eine einfache Frage mit einer komplexen Antwort. Wir zeigen im Kunstverein Hannover seit fast 200 Jahren viel zeitgenössische Kunst. Die Kunst hat sich natürlich stark verändert. Auch die Medien haben sich verändert, und ich finde, es ist in erster Linie eine Frage der Medien, in denen Kunst passiert.
Viele der großen Namen, die wir jetzt anders erleben - von Klimt bis zu Vermeer -, haben vorrangig in einem anderen Medium, nämlich auf der Leinwand, flach gearbeitet. Interessant ist es gerade bei Hundertwasser oder Künstler*innen, die stärker mit Architektur oder der bildenden Kunst und der Skulptur gearbeitet haben.
Verstehe ich das richtig, dass Sie immersive Ausstellungen eigentlich nicht so schlecht finden, wenn sich die Werke für dieses Format eignen?
Platz-Gallus: Ich finde grundsätzlich die Idee, die mit großen Schritten in der Technologie einhergeht, durchaus interessant. Sie haben wichtigen Vermittlungs- und auch Kunstspektakel-Gestus darin, der vorrangig dafür sorgt, dass viele Menschen - vielleicht zum ersten Mal - ihren Weg ins Museum finden. Das finde ich extrem wichtig.

Immersive Kunst zieht viele Menschen ins Museum, das sei extrem wichtig, meint der Kunsthistoriker Christoph Platz-Gallus.
Dennoch ist gerade in diesem Voranschreiten der Technologie, der Virtualität die Frage zu stellen: Was ist eine Vermittlungsleistung von einem originalen Kunstwerk, das ganz anders existiert? Und was ist wirklich für einen Raum so angelegt und von Künstler*innen als Kunstwerk erschaffen?
Immersive Ausstellungen wollen auch Menschen erreichen, die vielleicht seltener ins klassische Museum gehen, die sich sonst nicht so viel mit Kunst auseinandersetzen. Die Frage ist, ob es in diesen Vermittlungsprozess wirklich gelingt, die Menschen für die Kunst im Allgemeinen zu begeistern. Oder bleibt es bei diesem einen Event-Besuch in der immersiven Ausstellung? Wie schätzen Sie das ein?
Platz-Gallus: Virtual Reality, Augmented Reality und auch Gamification sind Dinge, die in der Kunst seit vielen Jahren von Interesse sind. Viele Künstler*innen befassensich damit explizit in ihren teilweise sehr hochkonzeptuellen Projekten, die in erster Linie nicht mit dem gleichzusetzen sind, was vielleicht passiert, wenn man in einen Raum geht, der voll mit Kunst von Klimt ist.
Ich glaube dennoch, dass die Möglichkeit genutzt werden kann, über großflächige Projektionen, über verschiedenste Arten der Anwendung, der Reaktionen, die dann hervorrufen werden, der Interaktion, die auch stattfindet, neue Themen, neue Motive und Dinge zu platzieren, die bisher nicht so im Blick dieser Besuchenden standen. Ich glaube, dass der Barriereabbau da ein entscheidender Faktor ist, von dem auch andere Institutionen profitieren können.
Sehen Sie eine Konkurrenz zwischen wie den klassischen Häusern und den neuen Ausstellungszentren für immersive Kunst, wie es jetzt in Hamburg eröffnet wurde?
Platz-Gallus: Es sind unterschiedliche Aufgaben, und es sind auch unterschiedliche Besucher*innen-Gruppen, die man erreicht. Aber es gibt immer wieder Projekte, die man durchaus als immersiv bezeichnen könnte - sie sind aber eigentlich konzeptuelle Kunst von vor zehn oder 20 Jahren. Es gibt da also immer diesen Zugang.
Ich glaube dennoch, dass dieses Spektakel benötigt ist in unseren Zeiten, und dass dieses Spektakel dazu führen kann, dass man da durchaus sehr positive Effekte erfährt. Ich glaube auf der anderen Seite, dass diese Techniken sich vielleicht auch ein bisschen abnutzen werden, denn das ist etwas, das in dem Voranschreiten der Möglichkeiten immer wieder neu genutzt wird. Wir haben Anfang der 2000er-Jahre alle darauf gewartet, wann denn das Geruchskino kommt. Es gibt diese Formate, aber sie haben sich nicht durchgesetzt.
Ich musste auch direkt an die 3D-Brille im Kino denken, die jetzt auch niemand mehr auf hat.
Platz-Gallus: Genau. Gleichzeitig passiert diese Entwicklung auch mit verschiedenen Improvement-Brillen, die man von Technologieunternehmen angeboten bekommt, wo man vielleicht irgendwann durch die tägliche Realität läuft und in der Brille oder in der Kontaktlinse zusätzliche Informationen, aber vielleicht auch Werbung bekommt. Die Frage ist, ob wir das auch wirklich alles wollen.
Das Gespräch führte Charlotte Oelschlegel.
Dieses Thema im Programm:
NDR Kultur | Der Morgen | 25.04.2025 | 16:30 Uhr