
Brandenburg Berlin Interview mit Kriminalhauptkommissar zum Enkeltrick: "Das sind Berufskriminelle – nichts anderes"
Ein Anruf – und plötzlich sind die Ersparnisse weg: Kriminalhauptkommissar Sebastian Höhlich vom LKA Berlin erklärt, wie Enkeltrick-Betrüger vorgehen und wie man sich vor ihnen schützen kann.
rbb: Herr Höhlich, wie läuft ein typischer Telefonbetrug ab?
Sebastian Höhlich: Aktuell macht uns neben klassischen Enkeltricks insbesondere der sogenannte Schockanruf zu schaffen. Die Täter rufen dabei gezielt Seniorinnen und Senioren an, deren Namen sie sich aus dem Telefonbuch heraussuchen – oft aufgrund alt klingender Vornamen.
Sie schreien dann ins Telefon. Der oder die Angerufene soll raten, wer dran ist. Meistens nennt das Opfer dann den Namen eines Verwandten. Darauf bauen die Täter ihre Geschichte auf. Sie sagen etwa, der Sohn oder die Tochter habe einen Verkehrsunfall verursacht. Es drohe Untersuchungshaft, die nur durch eine Kaution abgewendet werden könne. Danach übernimmt zum Beispiel ein angeblicher Polizist oder Staatsanwalt das Gespräch. Er dirigiert die Betroffenen oft zu einem Ort, an dem sie Bargeld, Schmuck oder Gold übergeben sollen. Es geht nicht selten um Summen von 100.000 Euro.
Gibt es Momente im Leben von Menschen, in denen wir besonders anfällig für Betrug sind?
Wir sind dann gefährdet, wenn wir emotional verletzlich sind. Deshalb durchsuchen viele Täter gezielt Todesanzeigen. Sie schreiben die Nummer eines Verstorbenen aus dem Telefonbuch heraus und rufen an. Oft nimmt dann etwa die Witwe ab. Der Anrufer gibt sich als Verwandter aus, sagt: "Am Freitag ist ja die Beerdigung. Mir droht Untersuchungshaft. Du willst doch, dass ich dabei bin."
Klären Sie Verwandte darüber auf, dass es diese Masche gibt. Es kann helfen, ein Codewort auszumachen, das nur Angehörige kennen.
Was kann man tun, um sich vor dieser Art von Telefonbetrug zu schützen?
Es ist gut, darüber zu sprechen. Wenn Sie am Wochenende bei Oma sind, reden Sie mit ihr darüber bei Kaffee und Kuchen. Klären Sie darüber auf, dass es diese Masche gibt. Es kann helfen, ein Codewort auszumachen, an dem sich Angehörige erkennen. Das kann etwa der Name des ersten Haustiers sein.
Immer daran denken: Keine deutsche Strafverfolgungsbehörde verlangt Bargeld, Schmuck oder Gold. Wer so etwas am Telefon hört, sollte sofort auflegen und unter einer bekannten Nummer selbst bei den Verwandten anrufen. Und besonders wichtig: Lassen Sie sich aus dem Telefonbuch streichen. Zumindest den Vornamen.

Wer steckt hinter diesen Anrufen?
Oft sind es große Familienverbände, die oft hunderte Mitglieder umfassen. Das sind Berufskriminelle, die morgens aufstehen und Straftaten begehen - nichts anderes. Ihre Stärke ist: Sie sind extrem gut vernetzt, flexibel und nicht durch Bürokratie gebunden. Sie operieren länderübergreifend, mittlerweile in rund 25 Staaten.
Gab es Länder, aus denen besonders viele Anrufe kamen?
Früher war es vor allem Polen. Wir vom Landeskriminalamt Berlin haben dort aber gute Netzwerke aufgebaut, arbeiten mit Polizei und Staatsanwaltschaft zusammen. Dadurch konnten wir mehrere große Callcenter in Polen zerschlagen. Viele Täter sind auch im deutschsprachigen Ausland, also in der Schweiz und Österreich.

Was droht den Täterinnen und Tätern von Telefonbetrug?
Auf dem Papier reden wir hier meist über gewerbsmäßigen Bandenbetrug – das Strafmaß liegt bei bis zu zehn Jahren.
Aus meiner Sicht müsste man das aber oft strenger bewerten: Das ist ein Angriff auf die Gesundheit. Denn viele Opfer sind hinterher traumatisiert. Manche leiden unter Schlafstörungen, Scham, sozialem Rückzug - vereinzelt bis hin zu suizidalen Gedanken. Viele ziehen sich zurück, weil sie sich dafür schämen, ihren Angehörigen von dem Vorfall zu erzählen.
Viele Opfer sind hinterher traumatisiert. Manche leiden unter Schlafstörungen, Scham, sozialem Rückzug – vereinzelt bis hin zu suizidalen Gedanken.
Hat die Polizei denn überhaupt Erfolg in der Strafverfolgung?
Wir haben in den vergangenen Jahren viele Durchbrüche erzielt. Die Fallzahlen in Berlin sind auch deshalb zwischen 2023 und 2024 um rund 50 Prozent zurückgegangen. Vier Callcenter konnten wir allein in diesem Jahr bereits zerschlagen. Das ist durch internationale Zusammenarbeit möglich. Wir arbeiten eng mit Strafverfolgungsbehörden in anderen europäischen Ländern zusammen.
Wie kann es in Zukunft weniger Telefonbetrug geben?
Ich möchte, dass Behörden und Gesellschaft das Thema stark priorisieren – und zwar in allen Bundesländern, national und international. Wir brauchen gemeinsame Standards und klare Zuständigkeiten. Dabei hat sich schon viel getan. Und das ist auch gut so, weil es so viele Menschen betrifft.
Das Gespräch führte Felix Leitmeyer.
Sendung: rbb24 Abendschau, 11.06.2025, 19:30 Uhr