
Brandenburg Berlin "Die Fußfessel würde den Frauen ein Stück Freiheit zurückgeben"
In Spanien wird die elektronische Fußfessel eingesetzt, um Femizide zu verhindern. In Deutschland soll sie nach dem Willen der Innenminister nun auch kommen. Höchste Zeit, sagt die Brandenburger Kriminalistin Dorothee Dienstbühl.
rbb: Frau Dienstbühl, wie funktioniert die elektronische Fußfessel?
Dorothee Dienstbühl: Die Fußfessel funktioniert so, dass der Täter oder Gefährder ein Instrumentarium hat, das anzeigt, wo er sich befindet. Gleichzeitig hat die gefährdete Person ein Endgerät bei sich, bei dem sie einfach feststellen kann, wo befindet er sich. Gerade wenn er in ihre Nähe kommt, gibt es ein Alarmsignal ab, sodass sie dann flüchten kann. Aber was viel wichtiger ist: Es gibt auch ein Alarmsignal direkt an die Polizei, wenn er sich ihr nähert, damit die Polizei dann im Akutfall schnell eingreifen kann.
Was wäre zum Beispiel, wenn die Frau in einem Supermarkt ist und der Mann geht zufällig draußen vorbei, überschreitet er dabei unbewusst diese Beschränkung?
Ich bin immer der Meinung, lieber einmal zu viel die Polizei rufen oder rufen lassen als einmal zu wenig. Und die Frau hat die Möglichkeit, sich einen Schutzraum zu suchen, zum Beispiel dass sie fragt: Gibt es eine Möglichkeit, dass ich in den Raum der Mitarbeiter komme – oder müssten wir mal die Polizei rufen?
Die Polizei kommt dahin und klärt die Situation. Wenn sich dann herausstellt, das war einfach eine zufällige Überschneidung, dann ist ja alles okay.
Die Verantwortung, sich zu schützen, bleibt damit bei der Frau. Was für Möglichkeiten gäbe es, eine Frau zu schützen, ohne sie derartig einzuschränken oder ihr mehr oder weniger aufzubürden, dass sie sich selber kümmern muss?
Tatsächlich wünschen sich die Frauen, die akut gefährdet sind, die Fußfessel für den Gefährder, weil sie sich jetzt schon ständig in einer Gefahr wähnen, in der sie sich schützen und verstecken müssen. Wenn eine Frau in einem Frauenhaus untergebracht ist, ist das nicht lustig. Sie muss sich einfügen in eine Zwangsgemeinschaft. Sie muss ihre komplette Freiheit aufgeben. Sie kann nicht einfach normal zur Arbeit gehen, sie muss alles hinter sich lassen und ein ganz eingeschränktes Leben führen.
Natürlich sagen die Frauen dann auch, ich muss mal raus, ich muss mal spazieren oder einkaufen gehen. Wenn sie das tun und in dem Moment kommt der Täter und kann sie finden, machen wir es ja häufig diesen Frauen noch zum Vorwurf.
Hier würde eine Fußfessel helfen. Die würde ihnen ein Stück Freiheit zurückgeben, weil sie wissen: Erst wenn die Alarm schlägt, ist der Mensch in der Nähe – und nicht vorher. Wenn das passiert, können sie auch schauen: Wo kann ich jetzt schnell hin, damit ich nicht allein bin? Und auch die Polizei wird informiert, damit sie eingreifen kann.
In Deutschland haben wir immer noch ein sehr rückständiges Frauenbild, das diktiert, wie eine Frau sein soll.
In Spanien ist die Fußfessel Teil eines größeren Konzepts. Was gibt es für Möglichkeiten, vielleicht auch hier eine Frau so zu schützen, dass sie entbunden ist von dieser Verpflichtung, ständig auf sich selber aufpassen zu müssen?
Ich glaube, da müssen wir an einem anderen Punkt anfangen. Aus meiner Sicht wird immer noch zu sehr den betroffenen Frauen die Schuld gegeben für alles. Sie sind schuld, dass sie sich den falschen Mann gesucht haben. Sie sind schuld, wenn sie den Schutzraum verlassen haben. Sie sind schuld, wenn sie nachts durch den Park gelaufen sind.
Das ist ein gesellschaftliches Ding, dass man eine andere Atmosphäre schafft, in der man sagt: Nein, die Frauen sind nicht daran schuld. Und wenn ein Mann meint, er muss sie schlagen, ist er der Täter. Da fehlt mir einfach in Deutschland eine wirkliche, echte Solidarität und Mitgefühl.
Wenn in Spanien ein Femizid passiert, gehen die Menschen auf die Straße, die sind entsetzt und empört. Die Politiker halten eine Schweigeminute. Es ist die erste Nachricht, die in den Medien kommt. Und da würde auch niemand auf die Idee kommen, von einem Beziehungsdrama zu sprechen, sondern das ist ein Mord.
In Deutschland haben wir aus meiner Sicht immer noch ein sehr rückständiges Frauenbild, das diktiert, wie eine Frau sein soll. Und wenn sie so nicht ist, dann muss die Schuld doch irgendwo bei ihr liegen, wenn ein Mann ihr Gewalt antut.
Ich glaube, wir werden mit einer Fußfessel nicht alles lösen, wenn wir uns da nicht an die eigene Nase fassen.

Wenn ein Mann diese Fußfessel trägt, geht das mit einem gewissen Demütigungspotenzial einher. Gibt es Untersuchungen oder Überlegungen, wie sich diese Demütigung eventuell auch gefährdend auf eine Frau auswirken kann?
Das muss man mitbedenken. Mir geht es nicht darum, das zu rechtfertigen, sondern das ist dann noch mal ein zusätzlicher Gefährdungsfaktor für die Frau. Das ist in den Frauenhäusern und Beratungsstellen definitiv ein Thema.
Mittlerweile geht man auch dazu über, beispielsweise auch in Brandenburg, das steht im Polizeigesetz, dass die Polizei im Falle häuslicher Gewalt sehr stark auf den Mann hinwirkt, dass er sich Beratung holen soll. Und sagt: Es gibt extra Stellen, an die ihr euch wenden sollt, um das zu besprechen, denn das ist nicht okay, was Ihr macht. Und dass die Polizei selbst die Opferhilfe kontaktiert, um es den Frauen zu erleichtern.
Das ist natürlich ein massiver Einschnitt in die grundrechtlich verbürgten Freiheiten auch eines Gewalttäters, eines Gefährders.
Unter welchen Bedingungen ist es jetzt möglich, jemanden zu so einer Fußfessel zu verpflichten? Sind die gesetzlichen Möglichkeiten ausreichend?
Es ist ja eigentlich eine Maßnahme der Gefahrenabwehr. Die liegt normalerweise in den Landesrechten, also sprich in den Polizeigesetzen der Länder.
Wenn man eine Situation als entsprechend gefährlich einschätzt, braucht man auch eine entsprechende Gefährdungsanalyse und möglicherweise auch eine Vorgeschichte, etwas, wo man sagt, wir müssen hier erweiterte Sicherheitsmaßnahmen ergreifen. Die könnten dann zur Fußfessel führen.
Das hat aber einen Richtervorbehalt und kann nicht einfach durch die Polizei angeordnet werden. Das heißt: Es muss von Gerichten entschieden werden. Denn das ist natürlich ein massiver Einschnitt in die grundrechtlich verbürgten Freiheiten auch eines Gewalttäters, eines Gefährders.
Um das anordnen zu können, muss das Gericht davon überzeugt werden, dass das wirklich eine wichtige und notwendige Maßnahme ist.

Wäre es unter der jetzigen gesetzlichen Regelung möglich, das so anzuwenden, wie Sie es gerade beschreiben?
Es ist möglich, aber es ist halt schwierig, wenn wir diesen föderalen Flickenteppich haben, wie wir ihn momentan haben: Einige Bundesländer haben es jetzt eingeführt, andere nicht.
Man hat auf der einen Seite polizeiliche Gesetze, das ist Landesrecht, auf der anderen Seite die Justiz, das ist Bundesrecht.
Insofern bin ich wirklich dankbar, dass die Bundesjustizministerin gesagt hat, sie möchte diskutieren, dass das flächendeckend eingeführt wird und sich jetzt auch die Innenminister der Länder getroffen und gesagt haben, wir nehmen das mit auf die Tagesordnung, damit bundesweit einheitliche Regelungen geschaffen werden können. Das macht es deutlich einfacher.

Wenn es als Maßnahme der Gefahrenabwehr verhängt wird, wird es ja wahrscheinlich auf eine bestimmte Zeit festgelegt und dann regelmäßig überprüft.
Genau. Ich kann es vielleicht mit dem Gewaltschutzgesetz vergleichen. Wenn eine Frau vor dem Familiengericht einen Antrag auf Kontakt- und Annäherungsverbot nach dem Gewaltschutzgesetz stellt, wird das in der Regel erst mal bis maximal sechs Monate verhängt. Und dann muss man überprüfen und schauen, ob das verlängert werden muss oder nicht.
Deswegen gehe ich davon aus, dass mit der Fußfessel ähnliche Regelungen getroffen werden, die zeitlich limitiert sind, regelmäßig überprüft und dann auch wieder gerichtlich verlängert werden müssen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Oda Tischewski.
Sendung: rbb24 Abendschau, 14.06.2025, 19:30 Uhr