
Berlin Warum das Schwuz ein Drittel seiner Mitarbeitenden entlässt
Das Schwuz in Berlin-Neukölln hat mehr als 30 Mitarbeitenden gekündigt. Die werfen der Geschäftsleitung des Clubs vor, zu lange zu wenig getan zu haben - und kritisieren schlechte Kommunikation. Von Klaas-Wilhelm Brandenburg
- 33 teils langjährigen Schwuz-Mitarbeitenden gekündigt
- Betroffene kritisieren Club-Führung für mangelnde Informationen
- Club begründet Maßnahme mit drohender Schließung
Es ist der Abend vor Himmelfahrt, kurz nach 23 Uhr, und vor dem Schwuz herrscht gähnende Leere. Dabei hat in Deutschlands größtem und ältestem queeren Club gerade die "Popkicker" begonnen: Eine Party, die noch vor wenigen Jahren so beliebt war, dass Menschen die halbe Straße entlang standen. Das scheint sich geändert zu haben – mit dramatischen Folgen fürs Schwuz.
Der Club hat nach eigenen Angaben 33 Mitarbeitenden betriebsbedingt gekündigt – manche sind nach rbb|24-Informationen bereits mehr als 20 Jahre im Schwuz, und bei einigen liegen zwischen Kündigung und Ende des Jobs nicht einmal eineinhalb Monate. Außerdem wurden sechs Verträge nicht verlängert. Insgesamt wird somit etwa ein Drittel der aktuell mehr als 100 Menschen starken Schwuz-Belegschaft gehen müssen. Die "Berliner Zeitung" [Bezahlinhalt] hatte zuerst berichtet.

Kündigung ohne Vorwarnung
"Es war sehr, sehr schockierend", erzählt Leo Schreiber im Gespräch mit rbb|24. Schreiber ist nicht-binär und trans und arbeitet seit mehr als zwei Jahren im Tür-Team des Schwuz. Schreiber erzählt, das Schwuz sei wie ein Zuhause gewesen. Besonders schön fand Schreiber, in einer "queeren Normalität" arbeiten zu können.
Doch das wird wohl spätestens Ende Juni vorbei sein: Denn auch Schreiber wurde gekündigt – und davon ziemlich überrascht. "Es gab keine Kommunikation davor, die Kündigungen kamen einfach in die Briefkästen der Leute." Schreiber findet schade, dass sich vorher nicht wenigstens "die Mühe und die Zeit" für eine Rundmail genommen wurde, die darauf vorbereitet, dass man bald eine Kündigung aus dem Briefkasten ziehen könnte.
Schon im August hätte Insolvenz gedroht
Leo Schreiber heißt eigentlich anders, will anonym bleiben – genauso wie weitere Schwuz-Mitarbeitende, mit denen rbb|24 gesprochen hat. Die Meinungen, wie man den Club vor den Kündigungen hätte bewahren können, gehen mitunter auseinander, aber eine Kritik teilen alle: die an der Kommunikation des Schwuz. Sie hätten sich gewünscht, früher einbezogen zu werden. Auch, um gemeinschaftlich zu schauen, ob es vielleicht Mitarbeitende gibt, die freiwillig auf ihren Job verzichten oder künftig weniger Stunden arbeiten, damit andere bleiben können.
Verantwortlich für die Kündigungen ist Katja Jäger, Geschäftsführerin des Schwuz. Es sei die schmerzhafteste Maßnahme gewesen, die sie habe ergreifen müssen, erzählt sie, aber aus ihrer Sicht war sie unvermeidlich: "Um einfach abzuwenden, dass wir uns irgendwann mit einer Schließung des Clubs hätten beschäftigen müssen." Wann dieses "irgendwann" genau gewesen wäre, darüber will Jäger nicht öffentlich reden. Nach rbb|24-Informationen hätte das Schwuz ohne die Kündigungen schon im August dieses Jahres Insolvenz anmelden müssen.

Mitarbeitende beklagen "indirekte Drohung"
Glaubt man Katja Jäger, wurde sie vom Ausmaß der finanziellen Sorgen genauso überrascht wie viele Mitarbeitende. Andererseits sagt sie, es habe schon Anfang 2024 einen Gäste-Rückgang gegeben. Dem seien erste Sparmaßnahmen gefolgt, zum Beispiel eine Kürzung des Marketing-Budgets. Aus Jägers Sicht "hätte man zu dem Zeitpunkt sicherlich noch eine Teilhabe der Mitarbeitenden auf einer anderen Ebene gestalten können". Aber jetzt, mit "der kurzen Zeit, die ich hatte, um zu analysieren, was ist überhaupt Phase", sei das nicht mehr möglich gewesen.
Leo Schreiber ärgert aber noch etwas anderes: Eine Aussage Jägers auf einer Betriebsversammlung einen Tag, nachdem die meisten Mitarbeitenden ihre Kündigung im Briefkasten hatten. Dort sagte die Geschäftsführerin nach rbb|24-Informationen sinngemäß: Je mehr Menschen gegen ihre Kündigung klagen, desto eher drohe wegen der Prozesskosten eine Schließung des Schwuz. Für Schreiber und andere Mitarbeitende "hat sich das schon auf jeden Fall so ein bisschen nach einer indirekten Drohung angefühlt".
Crowdfunding für KI statt für Mitarbeitende?
Jäger sagt auf Nachfrage, sie habe versucht, zu kommunizieren, dass "eine Klagewelle das Schwuz einfach beschäftigen und Ressourcen binden" würde. Sie sei sich sicher, dass es vor Gericht nichts zu erstreiten gäbe, weil die Kündigungen rechtmäßigen Kriterien entsprächen.
Um die Insolvenz abzuwenden, bleibt es aber nicht allein bei Kündigungen: Künftig öffnet der Club seine "Pepsi Boston Bar" mittwochs und donnerstags nicht mehr, sondern nur noch freitags und samstags. Statt einer Garderobe soll es bald Spinde geben, und an der Kasse soll nur noch bargeldlos gezahlt werden können. Es soll generell mehr automatisiert werden, im Büro soll KI zum Einsatz kommen. Für solche und andere Infrastruktur-Modernisierungen will das Schwuz jetzt per Crowdfunding 150.000 Euro sammeln. Leo Schreiber sagt: "Vielleicht hätten wir auch nach Geld suchen können für die jetzt gekündigten Kolleg:innen."

Leo Schreiber im Gespräch mit Reporter Klaas-Wilhelm Brandenburg
Welche Verantwortung tragen ehemalige Geschäftsführer?
Die Gründe für die schlechte finanzielle Lage des Clubs liegen laut Jäger vor allem außerhalb des Clubs: Menschen hätten weniger Geld im Portemonnaie, Stammgäste seien älter geworden und kämen deshalb seltener, allgemein hätten es Clubs gerade schwer. Leo Schreiber dagegen sagt, es seien auch im Schwuz in der Vergangenheit Fehler gemacht worden.
Vor Katja Jäger war bis August 2024 Marcel Weber 13 Jahre lang Geschäftsführer des Clubs, heute Vorsitzender der Berliner Clubcommission, und neben ihm bis Anfang 2025 außerdem acht Jahre lang Florian Winkler-Schwarz, mittlerweile Geschäftsführer des Verbands Queere Vielfalt. "Ich gehe auf jeden Fall davon aus, dass sie auch einen großen Teil der Verantwortung mittragen", sagt Schreiber. Schließlich sei die finanzielle Situation des Clubs "schon seit Jahren in der Schieflage", glaubt Schreiber.
Neue Geschäftsführerin spricht von "altem Geist"
"Diese Behauptung entbehrt jeder Grundlage", entgegnet Florian Winkler-Schwarz auf rbb|24-Anfrage. Das Unternehmen sei bis zum Jahr 2023 wirtschaftlich stabil und mit deutlichen Jahresüberschüssen geführt worden. Die "wirtschaftlichen Herausforderungen" im Jahr 2024 sind aus seiner Sicht "Teil einer allgemeinen Clubkrise" und ließen sich nicht auf einzelne Personen oder lokale Entscheidungen verkürzen. Marcel Weber schreibt, er äußere sich wegen Vertraulichkeitsvereinbarungen grundsätzlich nicht zu internen Geschäftsangelegenheiten des Schwuz.
Katja Jäger reagiert auf die Frage nach der Rolle der zwei Männer ausweichend und sagt, dass "Menschen, die lange Teil des Schwuz waren, natürlich auch gewissermaßen von einem alten Geist geprägt sind und waren, und es jetzt einfach enorm guttut, da nochmal neu drauf zu schauen."

Schwuz-Chefin Katja Jäger
Kündigungen treffen vulnerable Gruppen
Schwuz-Mitarbeitende kritisieren unterdessen, dass die Folgen der Finanz-Krise nun vor allem die zu spüren bekämen, die es sowieso oft schwer haben: People of Color und trans Personen. Denn viele von ihnen arbeiten laut Schwuz in allen Bereichen des Clubs. "Gerade für sie ist es sehr schwierig, schnell einen neuen Job zu finden", erzählt Leo Schreiber, selbst trans. Allein im Tür-Team sei allen trans Personen gekündigt worden, den meisten schon zu Ende Juni.
Schwuz-Chefin Jäger entgegnet, basierend auf den ihr bekannten Angaben der Mitarbeitenden ließe sich eine gezielte oder überproportionale Betroffenheit einzelner Gruppen nicht belegen. Zum Tür-Team äußert sie sich nicht explizit.
Zu wenig Awareness?
Was Jäger jedoch bestätigt: Die gekündigten Menschen aus dem Tür-Team sollen durch einen externen Sicherheitsdienst ersetzt werden. Leo Schreiber kann das nicht verstehen: "Unseres Wissens nach sind die auf jeden Fall viel teurer als unser Stundenlohn." Katja Jäger gibt zu, dass "höhere Stundenkosten entstehen können als bei einzelnen bisherigen Mitarbeitenden". Allerdings sei das externe Personal zum Teil qualifizierter als die Schwuz-Kräfte, weshalb es zukünftig nicht mehr so viele Menschen an der Tür bräuchte.
Das Thema ist auch deshalb brisant, weil das Tür-Team für Awareness zuständig ist, also sich zum Beispiel um Club-Gäste kümmert, die von anderen sexuell belästigt wurden oder die zu viel Alkohol oder Drogen konsumiert haben. Katja Jäger betont, es werde stets eine beim Schwuz arbeitende Person gemeinsam mit den externen Kräften an der Clubtür stehen. "Und natürlich wird die Awareness auch weiterhin von Schwuz-Mitarbeitenden geleistet." Leo Schreiber sagt, ein für Awareness zuständiger Mensch reiche nicht aus, weil es oft zwei bis drei Awareness-Situationen auf einmal gäbe.
Schwuz will bei Jobsuche helfen
Es bleiben also viele Fragezeichen zur Zukunft des Schwuz – und viel zerschlagenes Porzellan zwischen Geschäftsleitung und Mitarbeitenden. Leo Schreiber würde sich "richtige Entschuldigungen" wünschen, und dass "Kolleg:innen, die weiterhin im Betrieb sind, besser behandelt werden."
Katja Jäger kündigt an, das Schwuz wolle den entlassenen Mitarbeitenden bei der Jobsuche helfen. Sie habe auch "schon ein paar Rückmeldungen bekommen von Arbeitgeber:innen", die sie bald im Team teilen wolle. Zumindest ein kleiner Lichtblick in einer für das Schwuz und seine Mitarbeitenden schwierigen Zeit.
Sendung: Radioeins, 11.06.2025, 17:40 Uhr