
Berlin Femizid-Prozess: "Meine Kinder haben mir das Leben gerettet"
Seit Anfang Juni muss sich ein 40-jähriger Ehemann wegen versuchten Mordes im Landgericht Berlin verantworten. 26 Mal soll er auf seine Ehefrau eingestochen haben. Am Donnerstag sagte das Opfer als Zeugin aus. Von Ulf Morling
Aliya H.* (38) soll geschlafen haben, als Soran H. (40) begann, mindestens 24 Mal auf seine Ehefrau einzustechen. Sie habe plötzlich Magenscherzen verspürt und sei aufgewacht, sagt die schmale, kleingewachsene Frau am Donnerstag als Zeugin im Kriminalgericht Moabit. Als sie aufgewacht sei und ihr Mann auf dem Bett mit blutigem Messer auf ihr kniete und wieder zustechen wollte, habe sie begonnen, zu schreien und sich zu wehren. So sei auch die gemeinsame achtjährige Tochter aufgewacht.
"Mach das nicht, Papa", habe sie gerufen und sei ebenfalls verletzt worden. Dann sei die Tochter ins Nebenzimmer gerannt und habe ihren 14-jährigen Bruder zu Hilfe geholt. Der Jugendliche habe seinen Vater von hinten umfasst und vom Bett auf den Fußboden gebracht. Blutüberströmt habe sie sich auf den Flur des Flüchtlingswohnheims schleppen können und sei zusammengebrochen, so Aliya H., mutmaßliches Opfer eines versuchten Femizids, als Zeugin vor der 35. Großen Strafkammer. Als Femizid gilt eine Tat, bei der Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind. "Meine Kinder haben mir das Leben gerettet", sagt Aliya H., sichtlich bewegt.
Wochenlang im Krankenhaus
Die einzige Sicherheitsmitarbeiterin, die in den ersten Stock des Flüchtlingswohnheimes herbeieilte, um die lebensgefährlich verletzte zweifache Mutter zu reanimieren, war im Prozess voller Lob für die achtjährige Tochter: "Was für ein mutiges Mädchen!" Soran H. muss sich jetzt wegen versuchten Mordes verantworten und sitzt seit dem Tattag am 22. Dezember 2024 in Untersuchungshaft.
Wochenlang musste Aliya H. nach dem vorgeworfenen versuchten Mord durch ihren Ehemann im Krankenhaus und in einer Pflegeinrichtung operiert und behandelt werden, berichtete sie als Zeugin im Prozess. Denn unter anderem habe sie während der Tat immer wieder ins Messer ihres Mannes gegriffen, um seine Angriffe abzuwehren. Bis heute seien ihre Hände kaputt. Ihr gehe es immer noch sehr schlecht: "Meine Kraft sammle ich meinen Kindern zuliebe." Nach der Tat waren die neun- bzw. 14-jährigen im Kinderheim untergebracht worden, konnten ihre Mutter lediglich besuchen. Inzwischen leben alle drei wieder zusammen.
Der Ehemann strahlt
Während Aliya H. durch ihre Betreuerin in den Saal geleitet wird, rutscht ihr angeklagter Ehemann in der Gefangenen-Box auf der Sitzbank nach vorn, strahlt über das ganze Gesicht. Aliya H. schluchzt auf und wirkt erschrocken, als sie ihn nur wenige Meter entfernt vor sich sieht. Schon am ersten Prozesstag hatte er dem Gericht mitgeteilt: "Meine Frau ist jeden Tag in meinem Herzen. Jede Stunde warte ich darauf, dass Aliya mich besucht."
2009 hatte eine von Soran H.s Schwestern seine spätere Ehefrau Aliya getroffen, in einer Schneiderwerkstatt in einer Stadt des kurdischen Teils im Irak. So habe der Angeklagte von ihr erfahren und um ihre Hand angehalten, berichtet Aliya H. in ihrer Zeuginnenaussage. Das erste Jahr des Zusammenlebens sei in Ordnung gewesen. 2010 sei der erste Sohn geboren worden, zu dritt seien sie nach Deutschland gegangen. 2016 wurde die gemeinsame Tochter geboren, die letzten fünf Jahre lebte die Familie in zwei Zimmern mit Küche im Flüchtlingswohnheim in der Lehrter Straße in Moabit.

Es habe passieren müssen, was er wollte
Nach dem ersten gemeinsamen Ehejahr habe es nur "schlimme Jahre gegeben". Zwar sei nie Gewalt im Spiel gewesen, aber trotzdem habe es auch schon im Irak gravierende Probleme in der Ehe gegeben - zum Beispiel psychischen Druck, den Soran ihr gegenüber ausgeübt habe. Er habe nur drei Hobbies, sagt Aliya H.: Essen, Rauchen und Sex. "Er ist ein Diktator!"
Kurz vor einem Irak-Besuch im Juli 2024 habe ihr Mann sie dann unvermittelt aufgefordert, Scheidungspapiere zu unterschreiben. Das habe sie abgelehnt.
Einen Tag vor der Tat am 22. Dezember letzten Jahres war die Familie wie jedes Wochenende Crêpes essen am Alexanderplatz. Wieder zu Hause hätten sie begonnen, sich zu streiten, sagt Aliya H. im Gerichtssaal. Der Grund: Beim Irak-Besuch im vergangenen Jahr habe Soran ihre Papiere und das Handy gestohlen. Er habe verlangt, dass sie ihre Schwester mit ihm verkuppele und er sie heiraten könne. Soran habe sie im Irak lassen und nur die Kinder wieder nach Berlin mitnehmen wollen. Später habe er vor ihr gekniet und sich entschuldigt. Doch seine zweite Chance habe er nicht genutzt. Er habe sie nicht geschlagen, sie aber wieder psychisch stark unter Druck gesetzt. Es habe passieren müssen, was er wollte, sonst habe es Streit gegeben. Sie habe - wie auch zweimal zuvor - gedroht, ins Frauenhaus zu gehen. In der folgenden Nacht sei die Tat passiert.

Prozess bis Ende Juni
Aliya H. und die beiden mittlerweile neun und 14 Jahre alten Kinder von ihr und dem Angeklagten leben an einem unbekannten Ort, alle drei nehmen unter anderem an einer Traumatherapie teil. Der Vorsitzende Richter fragt, wie die bei der Tat lebensgefährlich Verletzte jetzt zu ihrem Mann stehe, der im Prozess gesagt habe, dass er sich auf ihren Besuch im Gefängnis freue. Sei sie denn bei ihm gewesen?
Aliya H. ertwidert darauf wörtlich: "Wie soll ihn eine Tote besuchen? Er hat mich doch umgebracht!"
Das Urteil wird Ende Juni erwartet.
* Name aus Sicherheitsgründen geändert
Sendung: rbb24 Inforadio, 12.06.2025, 16:31 Uhr