
Berlin Drama "Die Krume Brot" eröffnet Autor:innentheatertage in Berlin
Was kann Gegenwartsdramatik? Zur Eröffnung der 30. Jubiläumsausgabe der Autor:innentheatertage zeigt das Deutsche Theater Lukas Bärfuss' Armutsdrama "Die Krume Brot" – in einer komödiantischen Italo-Show. Von Barbara Behrendt
Nehmen wir einmal an, es gäbe Tage, an denen Kunst und Kultur verboten sind. Die "Tage ohne Kultur" nennt sie der togolesische Theaterautor Elemawusi Agbédjidji in seiner kleinen, auf französisch gehaltenen Rede zur Eröffnung der Autor:innentheatertage am Deutschen Theater in Berlin. Die würde er einführen, sagt er, wäre er Kulturminister in Deutschland.
Musik ist an diesen Tagen verboten: im Konzert, aber auch auf Handys, auf Youtube, im Radio. Theater und Fiktion sind verboten: kein Kino, keine Shows, kein Netflix. Literatur ist verboten: das Öffnen eines Buches, eines Comics. Bildende Kunst ebenfalls: Alle Bilder im öffentlichen Raum müssen abgedeckt werden, alle Museen geschlossen, alle Gebäude verhüllt.

Vertreter des Überflüssigen?
Diese "Tage ohne Kultur" dauerten so lange an, bis die Menschen die Depression spürten, die Dürre, die Hölle. "Bis wir aufhören, von 'Unterstützung' zu sprechen, wenn wir über Kulturförderung sprechen", sagt Agbédjidji. Und weiter: "Bis sie aufhören, mich als Vertreter des Überflüssigen zu betrachten, und mich als Minister für das Gleichgewicht der Seelen, als Bürgermeister des Herzschlags, als Direktor des Atmens, als Hüter des Sauerstoffs an den Verhandlungstisch für das Wesentliche einladen."
Ein hübsches, kleines, aber treffendes Gedankenspiel, mit dem Elemawusi Agbédjidji zwar nichts über den Stand der Gegenwartsdramatik aussagt, was sonst in den Reden zum Beginn der Autor:innentheatertage oft der Fall ist. Mit dem er aber grundsätzlich über Kulturförderung spricht und den Blick über den Theater-Tellerrand hinaushebt – und zwar zum 30. Jubiläum des Festivals.
"Die Krume Brot": Eine Frau in der Armutsspirale
Wer wissen will, was im deutschsprachigen Theater "State of the Art" ist, der ist in Berlin nicht nur beim Theatertreffen richtig, sondern auch bei den Autor:innentheatertagen am Deutschen Theater. Hier werden die wichtigsten neuen Theatertexte der Saison vorgestellt, in Inszenierungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. In diesem Jahr stellt das Festival ein großes, langes Gastspiel vom Theater Basel an den Anfang: "Die Krume Brot" vom Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss. Ein Stück, das Bärfuss aus seinem neuen Roman gleichen Titels fürs Theater adaptiert hat.

"Die Krume Brot" von Antú Romero Nunes vom Theater Basel
Bärfuss kommt selbst aus einfachen Verhältnissen in der Schweiz, hat einige Zeit auf der Straße gelebt. Sein Stück erzählt nun vom Schicksal einer Frau, Adelina, Tochter italienischer Einwanderer in Zürich, die aufgrund ihres sozialen Backgrounds, aufgrund des Rassismus gegen Italiener und weil sie eine Frau ist, nicht aus der Armutsspirale herausfindet. Von ihrem Vater, einem Faschistensohn, der sich für etwas Besseres hält, erbt sie nichts als Schulden. Um sie abzustottern, beginnt sie, in einer Fabrik am Fließband zu arbeiten. Sie bekommt ein Kind mit einem Mann, der wegen der strikten Aufenthaltsregelungen zurück nach Italien muss und nie zurückkehrt. Als Legasthenikerin versteht sie die Kreditverträge nicht, die sie unterschreibt. Ein anderer, gut situierter Mann will sie und ihre Tochter Emma unter seine Fittiche nehmen, doch Adelina will sich nicht kaufen lassen. Bis sie schließlich an die Roten Brigaden gerät, eine kommunistische Terrorgruppe, und im Gefängnis landet.
Anders als im Buch wird die Geschichte nun aus der Sicht von Adelinas Tochter Emma erzählt – und somit aus der Gegenwart. Emma ist mit vier Jahren im Kinderheim gelandet und wurde von reichen Schweizern adoptiert. Nur langsam und widerständig nähert sie sich der Biografie ihrer leiblichen Mutter und ihren Kindheitserinnerungen an.
Schwerer Stoff im Komödienton
Bemerkenswert ist nun, wie der Regisseur Antú Romero Nunes diesen harten, schweren Stoff erzählt: mit den einfachsten Mitteln der Komödie – und einem großartigen, verspielten Ensemble. Das beginnt schon damit, dass die Schauspieler:innen die Gegenstände imitieren, die in der Villa von Emmas verstorbenen Adoptiveltern herumstehen. Ein Schauspieler fungiert als Plattenspieler, der zu Singen beginnt, wenn man den richtigen Knopf drückt. Eine Schauspielerin gibt den Badezimmer-Spiegel und bringt das Publikum zum Lachen, wenn sie versucht, das Zähneputzen der Protagonist:innen spiegelverkehrt synchron nachzuahmen. Und wer hätte gedacht, dass man auf der Bühne auch Kerzen, Seifenspender, Schuhschränke, Betten, Balkonkästen und Aschenbecher spielen kann? Rasend schnell wuseln die Schauspieler:innen umeinander, wenn es in ein anderes Zimmer mit neuen Gegenständen geht.
Zunächst ist das ungeheuer irritierend – bei allem Hin und Her der Spieler:innen und Gegenstände kann man sich kaum auf den Dialog zwischen Emma und ihrem Freund konzentrieren. Und es wirkt, gemessen am Thema, allzu albern. Doch es folgen kleine Musical-Elemente, die herzerwärmend und komisch Italo-Schlager heraufbeschwören – bei allem Slapstick kommen einem die Figuren schließlich doch immer näher. Sodass die gut dreieinhalb Stunden des Abends in all ihrer unterhaltsamen Albernheit und Emotionalität deutlich kürzer wirken.
Die Inszenierung hilft dem didaktischen Stück auf
Letztlich hilft die Inszenierung mit ihrem tollen Ensemble dem doch arg didaktischen, erzählerisch schmalen Stück deutlich auf. Dass Bärfuss den Roman nur schlaglichtartig und im Schnelldurchlauf für die Bühne adaptiert hat, tut dem Stoff keinen Gefallen. Als neues Gegenwartsdrama kann das nicht überzeugen – allein die Inszenierung macht daraus einen sehenswerten Festival-Auftakt.
Die nächsten zehn Tage lohnen mindestens einen zweiten und dritten Blick aufs Festivalgeschehen. Denn mit Autor:innen wie Calle Fuhr, Lothar Kittstein, Dea Loher und Jan Friedrich stehen einerseits die großen sozialpolitischen Fragen im Zentrum – andererseits aber auch hoch poetische Dramen versierter Autor:innen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 12.06.2025, 09:55 Uhr