Demonstrierende stehen bei einer Propalästinensischen Demonstration auf dem Potsdamer Platz in Berlin. (Quelle: Dpa)

Berlin Deutsch-Palästinensische Gesellschaft: "Nicht jede pro-palästinensische Demo ist automatisch gewalttätig"

Stand: 11.06.2025 06:07 Uhr

Nazih Musharbash, Präsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft, kritisiert den Umgang mit pro-palästinensischen Stimmen. Im Interview spricht er über die Demonstrationen in Berlin und, wie er sagt, über ein Klima des Generalverdachts.

Seit dem Terrorangriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und der anschließenden Militäraktion Israels im Gazastreifen herrscht Krieg. Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist katastrophal, der Konflikt hat weltweit Debatten ausgelöst, zuletzt wurde die Kriegsführung des israelischen Militärs immer schärfer kritisiert.
 
In Berlin bewegt das Thema gerade Menschen mit palästinensischen Wurzeln, immer wieder finden Demos statt. Ein Gespräch mit Nazih Musharbash, dem Präsidenten des Vereins Deutsch-Palästinensische Gesellschaft (DPG), über den Umgang mit den Protesten und über das Bild der pro-palästinensischen Community in der Öffentlichkeit.

rbb|24: Herr Musharbash, Sie sind Präsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft. Viele Menschen wissen gar nicht, dass es den Verein gibt, oder?

Nazih Musharbash: Das stimmt. Dabei wurde die Gesellschaft schon vor knapp 40 Jahren gegründet. Warum? Weil die Informationslage zu Palästina damals sehr einseitig war – daran hat sich bis heute leider nicht viel geändert. Unsere Arbeit ist rein ehrenamtlich, wir bekommen keinerlei finanzielle Unterstützung, weder von Parteien noch vom Bundestag – anders als die Deutsch-Israelische Gesellschaft (gefördert vom Auswärtigen Amt, Anmerk. d. Redaktion). Viele scheuen sich, uns offen zu unterstützen, dennoch kommen wir auf etwa 400 bis 600 Mitglieder, einzelne Förderer und Spender.

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Sie haben wegen des Kriegs in Israel und Gaza gerade häufiger Kontakt zu Medien, Politikern und Vertretern der Zivilgesellschaft. Werden Sie oft gefragt, wie Sie eigentlich zur Hamas stehen?

Ja.

Und wie stehen Sie zur Hamas?

Ich habe bereits am 8. Oktober 2023, also einen Tag nach dem Angriff der Hamas auf Israel, gesagt, dass dieser Angriff zu verurteilen ist. Ich bin Friedensaktivist, weshalb ich Gewalt, Terror und Krieg verabscheue.
 
Ich verabscheue aber auch die Art und Weise, wie Israel diesen Krieg führt. Dieser Krieg übersteigt das, was zuvor als Selbstverteidigung bezeichnet wurde. Das ist keine Selbstverteidigung mehr, sondern ein Aushungern und eine Vertreibung der palästinensischen Zivilbevölkerung. Ich bin dagegen, dass das gesamte palästinensische Volk kollektiv für die Hamas verantwortlich gemacht wird.

Wenn etwas passiert, wird sofort berichtet und darüber gesprochen. Wenn alles friedlich bleibt, interessiert das niemanden.

Die deutsche Hauptstadt ist immer wieder Austragungsort pro-palästinensischer Demonstrationen. Die Stimmung ist oft aufgeladenen. Wie bewerten Sie die Auswirkungen dieser Demos auf das Bild der palästinensischen Community?

Leider haben die mediale Berichterstattung und Aussagen von Politikern zu einem verzerrten Bild geführt. Ich lebe seit 60 Jahren in Deutschland und habe viele Demonstrationen erlebt – auch früher, etwa bei Studentenbewegungen, kam es zu Gewaltvorfällen. Ich befürworte das nicht und verurteile jede Regelüberschreitung. Aber es sollte nicht der Eindruck vermittelt werden, dass jede pro-palästinensische Demo automatisch gewalttätig ist.

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Das passiert jedoch, sagen Sie?

Zumindest bleibt in der Öffentlichkeit oft leider nur das Negative hängen. Das hat natürlich auch mit den Medien zu tun. Ich habe einmal bei einer Großdemonstration vor dem Kanzleramt gesprochen, elf verschiedene Solidaritätsgruppen waren beteiligt, auch meine. Im Wesentlichen verlief der Tag friedlich, groß geschrieben wurde darüber nicht. In anderen Städten, zum Beispiel in Bremen oder Hamburg, finden wöchentliche Demos ohne irgendeine Eskalation statt. Wenn etwas passiert, wird sofort berichtet und darüber gesprochen. Wenn alles friedlich bleibt, interessiert das niemanden.

Es ist aber nicht kleinzureden, dass es Gewaltausbrüche und auch antisemitische Vorfälle bei solchen Demonstrationen gegeben hat. Es kam mehrfach zu Zusammenstößen zwischen Polizisten und Demonstranten.

Ich persönlich und wir als DPG lehnen Antisemitismus uneingeschränkt ab. Und ich streite auch nicht ab, dass es Gewaltvorfälle bei pro-palästinensischen Demonstrationen gegeben hat. Es liegt aber auch daran, dass Kritik an Israel als israelbezogener Antisemitismus ausgelegt wird. Aber denken wir zurück an viele andere Demonstrationen. Auch da kam es zu Zusammenstößen zwischen Polizisten und Demonstranten. Ich sage damit, das ist kein palästinensisches Phänomen.

Wenn die arabische Sprache kriminalisiert wird, wird die Identität der Araber infrage gestellt – das geht nicht.

Sie vergleichen die Teilnehmer der pro-palästinensischen Demonstrationen mit Klima-Aktivisten?

Nein. Was ich sagen will: Man muss den Palästinensern ebenso den Raum geben, den sie als Bürger dieses Landes verdienen. Diese Freiräume – etwa für Demonstrationen oder Trauer – sind aber immer enger geworden. Viele spüren, dass sie als Belastung für dieses Land betrachtet werden. Formulierungen, die nicht ins Bild passen, werden untersagt – bei Hamas-Parolen mit gutem Grund, bei anderen Parolen manchmal mit weniger guten Gründen.
 
Wenn sich bei einer Demo Menschen gewaltvoll benehmen, muss der Demo-Veranstalter die Verantwortung dafür tragen, nicht die Gesamtheit der Teilnehmer, die sich größtenteils friedvoll benehmen.

Sie gehen doch auch auf Demonstrationen, oder? Wie verhalten Sie sich?

Ich gehe nur zu Demonstrationen, zu denen ich eingeladen werde. Und wenn ich weiß, wer sie organisiert und dass sie friedlich ablaufen wird. Um sicher zu gehen, informiere ich mich vorher – und wenn ich Zweifel habe, ob etwa Gruppierungen mit problematischem Verhalten dabei sein könnten, bleibe ich der Demo fern. Am Ende schadet falsches Verhalten nicht nur meiner Gesellschaft, sondern der gesamten Community. Uns ist aber auch bekannt, dass auf vergangenen Demonstrationen Eskalationen an manchen Stellen von der Polizei ausgingen.

Die Polizei begleitet pro-palästinensische Demonstrationen, verbietet sie aber nicht. Allerdings wurden solche Demos zuletzt mit teils starken Restriktionen belegt; eine Demo durfte nicht als Aufzug starten, in einem anderen Fall wurde der Gebrauch der arabischen Sprache für Parolen verboten.

Das stört mich natürlich. In einem vielfältigen Land wie Deutschland müssen Menschen sich in ihrer Sprache artikulieren können. Wenn die arabische Sprache kriminalisiert wird, wird die Identität der Araber infrage gestellt – das geht nicht. Die Polizei hat genug sprachkundige Mitarbeiter oder Dolmetscher, um Inhalte zu prüfen. Menschen allein wegen ihrer Sprache oder Herkunft zu reglementieren, verletzt die Meinungsfreiheit.

Sehen Sie die Polizei nicht mehr als Ihren Freund und Helfer?

Ich halte an dem Bild fest: Die Polizei ist mein Freund und Helfer – so wie es in einem demokratischen Staat sein soll. Und ich habe Achtung vor denen, die ihren Beruf korrekt ausüben. Aber Polizisten sind auch nur Menschen, Einzelne können sich danebenbenehmen, provozieren, das gibt es und das kritisiere ich.

Verspüren Sie einen Generalverdacht gegenüber Menschen, die sich pro-palästinensisch äußern?

Natürlich gibt es den! Der Bundespräsident selbst hat doch in einer Rede alle Palästinenser, arabischsprachigen Bürger und Muslime in Deutschland aufgerufen, sich von der Hamas und von Antisemitismus zu distanzieren [tagesschau.de]. Damit hat er auch mich und uns alle in die Nähe von Hamas und Antisemitismus gerückt. Das ist ein Generalverdacht, der von der Politik ausgeht, vom Arbeitgeber vernommen wird und bis in Schulen und Kindergärten reicht.

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Sie waren neulich Gast in der Sendung "phoenix runde". Dort wies Armin Laschet, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, auf die Sonnenallee in Berlin-Neukölln hin, wo 2023 – nach dem Angriff der radikalislamischen Terrorgruppe Hamas auf Israel – Baklava verteilt wurde. Solche Szenen werden der Sache nicht geholfen haben.

Ich war eingeladen, um zum Thema "Wie kann sich Deutschland in Zukunft positionieren?" zu sprechen. Herr Laschet hat da etwas wiederholt, was unmittelbar nach dem 7. Oktober 2023 beobachtet wurde. Seine Einlassungen sollten von der erdrückenden israelischen Vorgehensweise gegen alle Palästinenser ablenken. Ich möchte vielmehr über jetzt und heute reden, über die Vertreibung und das Leid von Palästinensern, und über die Zukunft, so wie es im Sendungstitel hieß, nicht über Baklava.

Sie klagen über ein negatives Bild. Was kann die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft tun?

Unser Ziel als Gesellschaft ist, uns an die deutsche Bevölkerung zu richten – weniger an die Menschen mit palästinensischen Wurzeln selbst, denn die wissen ja, was da gerade passiert. Wir informieren die deutsche Gesellschaft und hoffen, dadurch auch Politiker zu erreichen. Und das alles friedlich, im Dialog, mit gegenseitigem Respekt, daran arbeiten wir.
 
Vielen Dank für das Gespräch.
 
Das Interview führte Hasan Gökkaya.