
Berlin Ausstellung "embrace" im Hamburger Bahnhof: Verwobene Zeitlichkeit
Klára Hosnedlová arbeitet in ihrer Installation "embrace" mit vielen Kunstgriffen an einer postminimalistischen Ästhetik. Dabei entsteht eine zottelige, entrückte Landschaft, die zum Flanieren und Entdecken einlädt. Von Julia Sie-Yong Fischer
Raumfüllend hängen die sechs Tapisserien an Stahlseilen in der riesigen historischen Halle des Hamburger Bahnhofs. Wurstige Tentakel lösen sich von den unregelmäßigen Webflächen ab und legen sich strahlenförmig auf den Boden.
Die gewirkten Naturfasern sind in natürlichen Braun- und Gelbtönen gefärbt und mit schlitzförmigen Löchern versehen. Von weiter weg erscheinen die Oberflächen weich, bei näherer Betrachtung werden sie strohartig und stachelig. Sie erwecken eine kindliche Neugier, sie durch eine Berührung besser verstehen zu wollen.
Dezent angenehmer Pflanzengeruch entfaltet sich in ihrer Nähe zu einer wohligen Geborgenheit. Formal lassen sich diese Webarbeiten schwer einordnen: Es könnten Mammuts, verfilzte Haare, Urwälder oder Felle sein - beeindruckender ist ihre charismatische Selbstverständlichkeit.

"embrace" im Hamburger Bahnhof: Platten, Fossilien und Glas
Unscheinbar darunter wurde der wortwörtlich schwerste Eingriff der Künstlerin vorgenommen: Etwa 3.000 begehbare, rechteckige Betonplatten wurden installiert, die die Ausstellung auf eine kleine Bühne erheben. Neu, grau und glatt stehen sie im Kontrast zu den anderen verwendeten Materialien, die auf ihr installiert wurden.
Sie erinnern die Künstlerin Klára Hosnedlová an die brutalistischen Spielorte ihrer Kindheit in der Mährischen Slowakei Tschechiens, in der sie in den 1990er und 2000er Jahren aufwuchs. Durchbrochen werden die glatten Flächen von mit Erde gefüllten Feldern (500 Kilogramm), auf denen außerdem Natursteine und spiegelnde Wasserpfützen aus Epoxidharz liegen.
Zusätzlich wurden Stahlwände an den offenen Seitenbögen aufgebaut, um den gefühlten Raum zu verdichten. Auf ihnen und den Webstücken zeigt Hosnedlová Reliefs aus Sandstein und Mineralienpulvern, die an Fossilien von Lebewesen erinnern. Ergänzt werden sie von Applikationen aus handgegossenem, farbigen Glas, die wie manikürte Nägel oder auch Krallen geformt sind.

Klára Hosnedlová embrace Relief
Arbeiten zwischen Handwerk und Heimarbeit
In ein paar Wandgebilden sind fotorealistische Stickereibilder der Künstlerin integriert. Matt schimmernd und sehr delikat umgesetzt zeigen diese Szenen vergangener Performances. Zu sehen sind Ausschnitte von Körperstellen und Gesten wie Finger, die auf Körper zeichnen oder Hände, die scheinbar einen Schmetterling verbrennen wollen.
Aber auch im klassisch rechteckigen Format hängen diese an den Wänden. Es sind die einzigen Arbeiten, die Hosnedlová selbst in mühevoller Handarbeit zuhause anfertigte, einige nahmen Monate in Anspruch. Alle anderen Ausstellungselemente wurden von ihr in enger Begleitung in Auftrag gegeben, einige bei traditionellen Handwerksbetrieben in Tschechien.
Auch der Sound, den sie zum ersten Mal für eine Installation einsetzt, ist mit Hilfe eines Experten entstanden. Dieser mischte für sie Geräusche mit Gesängen eines mährischen Frauenchors und den Worten des tschechischen Rappers Yzomandias. Abgespielt werden sie über aufgetürmte, gebrauchte Lautsprecher aus Berliner Clubs, die in der Landschaft aufgestellt wurden und teilweise nicht mehr funktionieren.

Hosnedlová spielt mit gestylter Abwesenheit
Die Klänge der menschlichen Stimme sollen unter anderem auch die Abwesenheit der Performer:innen verstärken. Diese räkelten sich bereits vor der Ausstellungseröffnung unter Ausschluss der Öffentlichkeit in den gewebten Skulpturen, entzündeten Fackeln und umarmten die aufgestellten Lautsprecher.
Diese Happenings an unterschiedlichen Orten nutzt die lange Zeit in Berlin lebende Künstlerin laut eigener Aussage, um Geschichten auszuprobieren, Ideen zu skizzieren oder eben als Stickmotive. Es irritiert dabei ein wenig, dass das daraus entstandene Bildmaterial unter anderem auch das Cover des Katalogs ziert - ohne dass genauere Informationen zu Abläufen, Ausstattung und den Darstellenden der Performances bekannt gegeben oder künstlerische Intentionen vermittelt werden.
Die teilweise von Instagram gecasteten Performenden selbst sind augenscheinlich normschön, jung und wirken auf den Fotos wie emotionslose, entrückte Models in passenden transparenten und archaisch modischen Outfits. Vielleicht ist es kein Zufall, dass diese Ausstellung als erste innerhalb der dreijährigen Zusammenarbeit mit dem privaten Chanel Culture Fund gefördert wird.

Klára Hosnedlová embrace Bild
Alles umarmen
In "embrace" (deutsch: Umarmung) begegnen sich viele unterschiedliche Medien und Formen. Klará Hosnedlová interessieren die Gegensätze und die Zeitlichkeit der Materialien. Statt historischer Akkuratesse nachzueifern, möchte sie lieber Neues mit traditionellem Handwerk erschaffen.
Dabei bezieht sie auch persönliche Interessen und Verweise wie die von ihr geschätzten Filme der Tschechoslowakischen Neuen Welle von František Vláčil oder brutalistische Architektur mit ein. Die ausufernden Dimensionen der Halle im Hamburger Bahnhof bespielt sie mit ihren Mitteln mühelos.
Bei der Vielfalt der hochwertig produzierten Kunstwerke und ihrer Referenzen kann das Publikum auch selbst die Chance ergreifen, eine eigene Interpretation der Arbeit miteinzubringen. Oder sich beim Umherwandeln einfach nur von ihrer futuristischen Zotteligkeit umarmen lassen.
Klará Hosnedlová: "embrace"wird gezeigt vom 1. Mai bis 26. Oktober 2025 im Hamburger Bahnhof - Nationalgalerie der Gegenwart, Invalidenstraße 50, 10557 Berlin
Sendung: rbb24 Abendschau, 02.05.2025, 19:30 Uhr