
Berlin 13. Berlin Biennale: Mit Humor gegen Unterdrückung kämpfen
"das flüchtige weitergeben" - unter diesem Motto zeigt die Berlin Biennale Arbeiten von 60 Künstlerinnen und Künstlern aus fast 40 Ländern, die teilweise unter schwierigsten Bedingungen arbeiten - wie Folter, Gefangenschaft oder Krieg. Von Marie Kaiser
Aus einem Radio erklingt eine aufpeitschende Rede, was das alte Gerät so heiß laufen lässt, dass plötzlich Dampf aus dem Lautsprecher austritt. Die Installation "Burning speeches" ("Flammende Reden") des indischen Künstlers Amol K Patil steht exemplarisch für diese Ausgabe der Berlin Biennale, die heiße Themen in einer komplizierten Welt ansprechen will. Die Kuratorin der 13. Berlin Biennale, Zasha Colah, ist gebürtige Inderin und bekannt dafür, Kunst zu zeigen die in autoritären politischen Systemen entsteht. In Indien hat sie die "Clark House Initiative" mit gegründet, in der sich Kunstschaffende für Themen wie Themen Freiheit und Menschenrechte einsetzen.

Eine Biennale über das Denken unter schwierigsten Umständen
Bei der Eröffnungs-Pressekonferenz betonte Zasha Colah, dass sie sehr große Angst habe vor dem, was aktuell in Myanmar geschehe oder in Indien, das auf dem Weg sei, sich zu einer brutalen Militärdiktatur zu entwickeln. Auch über die Lage in Deutschland, zeigte sie sich besorgt. "Wir befinden uns in Deutschland in einer Zeit der Angst, in der die Medienlandschaft, die kulturelle Landschaft und die politische Landschaft von enormer Unruhe geprägt sind", sagte Zasha Colah und holte die Künstlerinnen und Künstler der Berlin Biennale mit auf die Bühne. "Dies ist eine Biennale über das Denken selbst unter den schwierigsten Umständen wie Folter, Gefangenschaft, Krieg", so Colah weiter. Sie erzähle davon, wie es sei, für politischen Wandel zu kämpfen, sich monatelang vorm Militär zu verstecken, sich vor anrückende Soldaten mit Schusswaffen zu stellen. "Die Menschen, die all dies getan haben, stehen heute mit uns auf der Bühne."

Die 13. Berlin Biennale findet bis Mitte September an vier Standorten statt
Gefängnisgemälde auf Bettlaken
Doch nicht alle der 60 Künstlerinnen und Künstler konnten zur Eröffnung kommen. Zasha Cohla erinnert an den Künstler Htein Lin, der nicht einreisen darf, weil die Behörden ihm keinen Pass ausgestellt haben. Sechs Jahre saß er in Myanmar im Gefängnis, musste Hunger und Folter erdulden. Von Htein Lin sind bei der Biennale Gefängnisgemälde zu sehen. Bilder, die er auf Laken gemalt hat, weil diese sich gut illegal aus dem Gefängnis herausschmuggeln ließen. Es sind beeindruckende Bilder, die zeigen, dass Kunst auch Überlebensstrategie sein kann. Auf vielen der Laken sind verzerrte Gesichter mit aufgerissenen Mündern und verdrehte Körper zu sehen. Ein Stillleben zeigt eine Vase mit Blumen - doch statt Blüten hängen an den Stängeln Totenköpfe.
Kunst im historischen Gerichtsgebäude
Htein Lins Gefängnisgemälde sind in Berlin nun an einem Ort zu sehen, an dem Menschen in Untersuchungshaft saßen und zu Haftstrafen verurteilt wurden: im ehemaligen Gerichtsgebäude in Berlin-Moabit. Neben den Kunst-Werken, den Sophiensælen und dem Hamburger Bahnhof ist das historische Gebäude mit dem typischen muffigen Geruch alter Verwaltungsgebäude einer von vier Spielorten der 13. Berlin Biennale. In dem Haus in der Lehrter Straße fand ein historischer Prozess gegen den Sozialisten Karl Liebknecht statt. Karl Liebknecht wurde wegen Hochverrats angeklagt, weil er am 1. Mai 1916 an einer Anti-Kriegs-Demonstration in Berlin teilgenommen hatte. Die Flugblätter, die Liebknecht damals verteilt hatte, lässt die italienische Künstlerin Anna Scalfi Eghenter nun wieder im ehemaligen Gerichtsgebäude herumflattern. Während Karl Liebknecht die Menschen aufforderte, sich gegen den deutschen Militärapparat zu wehren, wendet sich die Künstlerin in ihrer Installation an die Armee der Verbraucherinnen und Verbraucher, an die sie appelliert, sich gegen Ausbeutung und Verschwendung auf dem Schlachtfeld des Kapitalismus aufzulehnen.
Anders als in den Medien setzt die Biennale nicht auf die Ukraine und Russland, Gaza und Israel als große Problemthemen. Die Kunst lenkt unseren Blick auf Konflikte, die sonst oft übersehen werden - wie den Krieg im Sudan oder die politische Krise auf den Philippinen. Und so sollen während der Biennale auch zwei Prozesse in dem ehemaligen Gerichtsgebäude stattfinden: öffentliche Justizforen, in denen Menschenrechtsverletzungen im Sudan und auf den Philippinen verhandelt werden - mit anschließender Diskussion mit dem Publikum.

Der monumentale BH wurde erstmals 1995 in Córdoba präsentiert
Ein Riesen-BH als ironisches Statement
Die 13. Berlin Biennale ist also sehr politisch, ohne dabei auf markige Statements zu setzen. Und viele Arbeiten führen überzeugend vor Augen, wie wirksam Humor als Waffe gegen Unterdrückung sein kann. So hängt in den Kunstwerken ein riesiger weißer Büstenhalter von der Decke, der einer ausgewachsenen Riesin passen würde. Ein ironisches Statement eines argentinischen Frauenkollektivs unter der Leitung von "Kiki" Roca, das den monumentalen BH zuerst 1995 in Córdoba präsentiert hat, um die patriarchale Macht herauszufordern und gegen Korruption und den wirtschaftlichen Niedergang im Argentinien nach der Militärdiktatur zu protestieren. Ein Schild zwischen de BH-Körbchen zitiert die Aussage eines ehemaligen Provinzgouverneurs: "Wir müssen der Krise die Brust bieten" - worauf die Künstlerinnen fragen: "Wie lange noch?"

Diktatoren mit Unterhosen ausknocken
Im selben Raum hängen dann auch die passenden Unterhosen. Bei der Aktion "Panties for Peace" setzten Aktivistinnen und Aktivisten den Aberglauben im Kampf gegen das herrschende Militär in Myanmar ein. Nach einem alten kulturellen Glauben wird die als überlegen geltende männliche Macht und Moral geschwächt, wenn Männer Sarongs oder Unterwäsche von Frauen berühren. Also werden die Unterhosen als Waffe umfunktioniert. Als Witzfiguren in Uniform hüpfen Diktatoren in der Ausstellung durch ein Videospiel und können mit Unterhosen beworfen und ausgeknockt werden. Am Ende erscheint ein Peace-Zeichen und der Satz: "Danke, dass du 49 Unterhosen auf brutale Diktatoren geworfen. Du hattest 28 Treffer und hast dir jeden einzelnen davon verdient."
Gassi-Gehen mit einem Kohlkopf
Auch persönliche Begegnungen mit Künstlerinnen und Künstlern sind ein wichtiger Teil der Biennale. Während der drei Monate sind immer wieder sogenannte "Encounters" (Begegnungen) geplant bei Lesegruppen, Vorträgen und Führungen. Im Keller der Kunst-Werke veranstaltet die bosnische Künstlerin Mila Panić einen eigenen Comedy-Club. Oder wie wäre es, mal mit einem Kohlkopf Gassi zu gehen? Am Eröffnungsabend der Berlin Biennale wird Han Bing am Freitag einen frischen Kohl auf Rädern an einer roten Leine hinter sich herziehen. "Walking the cabbage" ist eine Performance, die der chinesische Künstler zum ersten Mal im Jahr 2000 auf dem Tiananmen-Platz in Peking aufgeführt hat. Kohl ist in China gerade für Landbevölkerung, die nicht viel Geld hat, ein wichtiges Lebensmittel. Eine absurd-satirische Aktion erdacht für ein Land, in dem strenge Zensur herrscht, die sicher auch in den Straßen Berlins für einige Verwunderung sorgen wird.
Sendung: Radioeins, 13.06.2025, 09:40 Uhr