
Bayern Bürokratie und Überlastung: Viele Hausärzte wollen aussteigen
Mehr als 5.000 Hausarztstellen sind in Deutschland unbesetzt – Tendenz steigend. Eine neue Umfrage zeigt: Ein Viertel der Hausärzte will in den nächsten fünf Jahren aufhören. In Bayern droht in einigen Bereichen die Unterversorgung. Was hilft?
Laut einer aktuellen Umfrage der Bertelsmann Stiftung[externer Link] will etwa ein Viertel der Hausärztinnen und Hausärzte in Deutschland ihren Beruf innerhalb der nächsten fünf Jahre aufgeben. Als Hauptgründe werden genannt: zu viel Bürokratie und eine hohe Arbeitsbelastung. Hausärzte arbeiten im Schnitt 44 Stunden pro Woche – rund zehn Stunden mehr als der Durchschnitt aller Beschäftigten in Deutschland. Schon jetzt sind bundesweit über 5.000 Hausarztstellen unbesetzt.
Bayern: 468 unbesetzte Sitze – Tendenz steigend
Auch in Bayern ist die Lage angespannt. Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) sind derzeit 468 Hausarztsitze unbesetzt. Ein Hausarztsitz ist eine Räumlichkeit, in denen ein Vertragsarzt gesetzlich Krankenversicherte behandeln darf. In 22 Planungsbereichen besteht bereits eine Unterversorgung oder sie droht.
Und ein zusätzlicher Trend zeichnet sich ab: Immer mehr Medizinerinnen und Mediziner arbeiten lieber in Teilzeit oder in Anstellung. Gab es 2014 noch über 8.000 voll zugelassene Hausärzte in Bayern, so sind es 2025 voraussichtlich nur noch gut 6.300. Die KVB versucht gegenzusteuern – mit Förderprogrammen für Studierende und Strukturhilfen für Regionen mit besonderem Versorgungsbedarf.
Hausärzteverband: Konzepte liegen längst auf dem Tisch
Der Bayerische Hausärzteverband sieht sich durch die Ergebnisse bestätigt. "Die Umfrage zeigt deutlich, was wir seit Jahren kritisieren", heißt es in einer Stellungnahme. Zwar sei das Interesse am Hausarztberuf unter Studierenden spürbar gestiegen. Doch das allein reiche nicht aus, um altersbedingt entstehende Lücken zu schließen. Hauptprobleme seien weiterhin zu viel Bürokratie, schlecht umgesetzte Digitalisierung und fehlende Teamstrukturen in vielen Praxen. Der Verband fordert konkrete Maßnahmen: "Wir brauchen funktionierende digitale Prozesse, Entlastung durch Teamarbeit und eine Reform des Medizinstudiums."
Mehr Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Wolfgang Ritter, Hausarzt und Landesvorstand des Bayerischen Hausärzteverbandes, erlebt die Herausforderungen täglich in seiner eigenen Praxis. "Die jungen Kolleginnen und Kollegen sind hervorragend ausgebildet und wollen am Patienten arbeiten. Aber sie wünschen sich auch Rahmenbedingungen, die zu einem modernen Leben passen – also mehr Vereinbarkeit von Beruf und Familie, flexiblere Arbeitszeiten und wirtschaftliche Sicherheit", so Ritter. Weil viele jüngere Ärztinnen und Ärzte weniger Stunden pro Woche arbeiten möchten, müsse das System entsprechend angepasst werden: "Das bedeutet: Wir brauchen mehr Köpfe, um die Versorgung in Zukunft sicherzustellen."
Hausärztin über Praxisalltag: Nah am Menschen, oft unter Druck
Die Hausärztin Elisa-Kathrin Kumm arbeitet seit eineinhalb Jahren in einer Hausarztpraxis in München – ab Herbst nur noch in Teilzeit. Sie schätzt an ihrem Beruf besonders die langfristige Betreuung ganzer Familien, so könne sie ihre Patienten ganzheitlich und über viele Lebensphasen hinweg begleiten. Der Reiz der Allgemeinmedizin liegt für sie in der großen inhaltlichen Bandbreite: Vom Kind bis zur Seniorin, von akuten Beschwerden bis zur chronischen Begleitung sei alles dabei. Für Ärztinnen mit Familie biete die Fachrichtung zudem gute Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.
Kritisch sieht Kumm hingegen die Defizite bei der digitalen Kommunikation mit Kliniken: Oft fehlten bei der Entlassung wichtige Informationen wie Therapiepläne oder Befunde, die sie sich dann mühsam selbst organisieren müsse – ein vermeidbarer Zeitfresser. Hinzu komme der hohe Patientendruck, insbesondere in Urlaubszeiten. Volle Wartezimmer und knappe Zeitfenster führten zu erheblichem Stress, so Kumm.
Spezialisierte Assistentinnen sollen Ärzte entlasten
Ein möglicher Lösungsansatz ist das Modell HÄPPI, so Ritter vom Hausärzteverband. Es setzt auf neue Arbeitsabläufe, sinnvolle Digitalisierung und eine stärkere Rolle der Praxisteams. Ritter beschreibt erste Umstellungen in seiner Praxis: "Wir arbeiten mit qualifizierten Versorgungsassistentinnen – sogenannten VERAHs. Sie übernehmen zum Beispiel Hausbesuche oder kümmern sich um die Betreuung in Pflegeheimen." Mit dem HÄPPI-Modell soll die Versorgung noch effizienter werden: "Es geht darum, dass wir im Team strukturiert zusammenarbeiten." Wenn das klar geregelt sei, bleibe mehr Zeit für die eigentliche ärztliche Tätigkeit.
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Quelle: BR24 im Radio 12.06.2025 - 09:45 Uhr