
Baden-Württemberg Experte zu Hitze in der Stadt: "Der Druck aus der Bevölkerung wird steigen"
In der Region Stuttgart kann der Sommer unangenehm sein. Ein Klima-Experte der Universität Stuttgart erklärt im Interview, was er bis 2050 erwartet und wo die Kommunen handeln müssten.
Die nächsten Tage werden heiß im Raum Stuttgart. Es sollen über 30 Grad werden. Einige Städte in Baden-Württemberg sind so stark von Hitze belastet, dass sie beim diesjährigen "Hitze-Check" der Deutschen Umwelthilfe durchgefallen, sind, darunter auch Ludwigsburg. Wie Städte sich an Hitzestress anpassen, erforscht Jörn Birkmann an der Universität Stuttgart. Er ist Professor für Stadtentwicklung und Raumplanung, hat auch an einem Sachstandbericht des Weltklimarats IPCC im Jahr 2022 mitgearbeitet.

Jörn Birkmann ist Professor für Stadtentwicklung und Raumplanung an der Universität Stuttgart.
SWR Aktuell: Herr Birkmann, wie heiß wird es im Raum Stuttgart im Jahr 2050?
Jörn Birkmann: Das ist schwer zu beantworten, weil es auch davon abhängt, wie viel Klimaschutz wir betreiben. Klar ist aber: Es wird heißer. Man muss sich auf Temperaturen von 35 bis 40 Grad einstellen. Wie stark die Dinge sich verändern, zeigt auch der Blick in die Vergangenheit. Zwischen 1990 und 2019 ist die Anzahl der heißen Tage im Jahr in baden-württembergischen Städten und Verdichtungsräumen im Durchschnitt um 16 bis 20 gestiegen, also bis zu 20 heiße Tage mehr als früher. Unter einem heißen Tag versteht man dabei: mehr als 30 Grad. Da ist Baden-Württemberg mit führend in Deutschland. In manchen Städten betrug der Wert sogar 24, also 24 mehr heiße Tage im Jahr als früher. Hinzu kommt auch noch die Frage, wie Menschen die Temperaturen wahrnehmen. Das misst man mit der sogenannten "Physiologischen Äquivalent Temperatur", kurz PET. Und bei der PET zeigen die Daten: Etwa ein Viertel der Fläche in baden-württembergischen Städten wird heute schon als stark thermisch belastet wahrgenommen, das bedeutet, dort herrschen empfundene Temperaturen von 35 bis 41 Grad. Das ist nichts, was Sie dauerhaft aushalten wollen.
SWR Aktuell: Was müssen Städte tun, damit das Leben in den Stadtzentren erträglich bleibt?
Birkmann: Wir brauchen mehr kühle, öffentlich zugängliche Orte in den Innenstädten - nicht nur drinnen, sondern vor allem auch im Freien, denn da gibt es zur Abkühlung Wind. Das lässt sich durch Verschattung, Bäume, Grünflächen und Wasser erreichen. Konkret müssen es Orte sein, die die Leute wirklich in ihren Alltag integrieren, also zum Beispiel schattige Wege, auf denen ich die Kita erreichen kann oder ein kühler Platz mit Bäumen, wo ich meine Mittagspause machen kann. Was nicht reicht, sind nur ein paar kalte Kirchen oder Bibliotheken, in die man gehen kann, oder im schlechtesten Fall Einkaufszentren, in denen es zwar kühl ist, man sich ohne Konsum und ohne Geld auszugeben aber nicht wirklich aufhalten kann.
SWR Aktuell: Tun die Städte in der Region Stuttgart da genug?
Birkmann: Das Bild ist aktuell gemischt. Auf der einen Seite gewinnt das Thema an Bedeutung, und es gibt positive Beispiele wie die Umgestaltung des Arsenalplatzes in Ludwigsburg. Auf der anderen Seite haben wir Wohnungsmangel und dadurch eine dichtere Bauweise als früher, was die Zufuhr von Frischluft erschwert und wodurch freie Flächen verloren gehen. Wenn es konkret um einen bestimmten Platz in der Stadt geht und dieser Platz angesichts des Klimawandels besser gestaltet werden kann, gibt es dann am Ende immer zahlreiche Ausreden, zum Beispiel, dass die Parkplätze dort gebraucht werden oder nicht genug Geld da ist, um Leitungen zu verlegen, damit Bäume gepflanzt werden können.
SWR Aktuell: Welche Entwicklung sagen Sie voraus?
Birkmann: Der Druck aus der Bevölkerung für attraktive und kühle Innenstädte wird steigen. Allein schon, weil wir eine alternde Bevölkerung haben und alte Menschen bei Hitze besonders gefährdet sind. Auch die Frage nach der Produktivität von Arbeitnehmern bei Hitze wird aus Kostengründen zunehmen, weil Menschen an heißen Orten weniger produktiv sind. Es werden diejenigen Städte gewinnen, die es schaffen, ihre Stadtzentren angesichts von Hitze attraktiv zu gestalten.
SWR Aktuell: Würden Sie sich heute im Stuttgarter Talkessel noch eine Wohnung kaufen?
Birkmann: Zumindest wohl keine Dachgeschosswohnung. Ich würde beim Kauf einer Immobilie stark darauf achten, wo kühle, frische Luft herkommt. Das Thema trifft aber nicht nur Stuttgart. Auch an anderen Orten wie in Ludwigsburg, im Rheingraben, Karlsruhe, Baden-Baden - da wird es unheimlich heiß werden in den nächsten Jahren.
Sendung am Do., 12.6.2025 14:00 Uhr, SWR4 am Nachmittag, SWR4