
Schwarz-rote Bundesregierung Die Kompromissmaschine
Schwarz-Rot ist mit dem Ziel angetreten, mit weniger Streit als die Vorgängerregierung auszukommen. Daran muss sich die Koalition jetzt messen lassen. Wer sorgt für die Umsetzung?
Wer mit Beteiligten der schwarz-roten Koalition spricht, hört so etwas wie eine neue Ernsthaftigkeit. Sei es im Kanzleramt, sei es im Parlament. Die Regierungsparteien vermitteln, dass diese Regierung einfach nicht scheitern darf, sondern politische Handlungsfähigkeit zeigen muss - damit nicht populistische Kräfte noch stärker werden.
Die Erwartung, mit weniger Streit als die Vorgängerregierung auszukommen, wurde zu Beginn auch öffentlich geäußert. Daran muss sich Schwarz-Rot jetzt messen lassen.
Bei den ersten Maßnahmen des Innenministers Alexander Dobrindt (CSU) zur Migrationspolitik musste die SPD einiges herunterschlucken - die Rhetorik des Innenministers ist ganz sicher nicht die ihre. Aber sie ließ ihn machen, gab ihm seinen Raum.
Es ist das Prinzip dieser Koalition. Umgekehrt tut sich die Union bei SPD-Themen wie der Tariftreue und der Mietpreisbremse schwerer - aber auch dort ist man entschlossen, dem kleineren Koalitionspartner die Themen zu lassen.
Man könnte sagen, die Koalitionspartner üben gerade das Modell der friedlichen Koexistenz. Selbst relevante Querschüsse aus Bayern von CSU-Ministerpräsident Markus Söder blieben bisher aus.
Bisher nur kritische Einzelstimmen
Wenn es Kritik untereinander gibt, sind es einzelne Abgeordnete wie etwa der baupolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jan-Marco Luczak, der vor der Ausweitung der Mietpreisbremse deutlich warnte. Oder SPD-Außenpolitiker, die mit einem Manifest einen Kurswechsel in der Außenpolitik fordern.
Kritik am neuen Bundeskanzler gibt es auch schon - etwa zu seiner außenpolitischen Aussage der "Drecksarbeit". Aber es bleiben Einzelstimmen, die sich noch in die übliche Meinungsvielfalt selbstbewusster Fraktionen gegenüber der Exekutive einordnen, aber nicht zum Koalitionsstreit stilisieren lassen.
In der vorausgegangenen Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP herrschte zur vergleichbaren Zeit noch eine Art Honeymoon-Stimmung - der Versuch von mehr Leichtigkeit und einem politischen Aufbruch. Bei der jetzigen schwarz-roten Koalition habe es "nie einen echten Honeymoon" gegeben, sagt der Trierer Politologe Uwe Jun. Dafür habe sie sich offenkundig auf Regeln verständigt, etwa Kontroversen weniger nach außen dringen zu lassen - und wenn, nicht weiter anzuheizen: "Der offene Streit schadet nur allen Beteiligten, das ist eine zentrale Lehre aus der Ampelkoalition."
Vertrauen muss noch wachsen
Mehr Kompromissfähigkeit, mehr Kommunikation, mehr Vertrauen soll es untereinander geben. Haben Union und SPD das bisher eingelöst? Noch ist es früh, die Gesetzgebungsphase ist gerade erst gestartet, die berühmten ersten hundert Tage noch nicht vorbei.
Zwischen dem Unions-Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn und seinem SPD-Pendant Matthias Miersch muss das Vertrauen erst noch wachsen. Was schon auffällt, ist ihr Prinzip, sich jeweils ihre Parteiidentität zu lassen: Bei Bundestagsauftritten vor der Presse setzen beide etwa gleichzeitig völlig unterschiedliche Themenschwerpunkte, ein Kanzler-Lobeswort überlässt Miersch dann auch eher dem Kollegen Spahn.
Es wäre ein schlechtes Omen für die noch neue Regierung, wenn sich doch wieder die klassischen Ampel-Muster des "Wenn-Dann" durchsetzen würde, sich gegenseitig Gesetzesinitiativen zu blockieren, heißt es in SPD-Kreisen. Und schlussendlich Misstrauen untereinander als Ergebnis vieles überlagern würde.
Man habe deswegen bewusst auf Schnickschnack verzichtet, heißt es im Maschinenraum der Regierung - etwa auf Begriffe wie "Fortschrittskoalition". Merz, der sich hier in einer "Arbeitskoalition" sieht, sei nicht mit der Erwartung ins Kanzleramt gegangen, seine CDU-Politik voll umsetzen zu können. Ihm sei seine Rolle völlig klar, zu ständigen politischen Kompromissen mit dem Koalitionspartner kommen zu müssen.
Koalitionsausschuss nicht nur in Krisenzeiten
Um Kompromisse möglichst schon im Vorfeld geräuschloser als die Ampelkoalition zu schmieden - dafür hat man auch an der Prozessorganisation politischer Kompromisse gefeilt. Im Kanzleramt wurde eine Frühkoordination von Gesetzeswerken eingeführt, an der Kanzleramtschef Thorsten Frei mit Finanzstaatssekretär Björn Böhning und weiteren Staatssekretären beteiligt ist. SPD-Politiker Böhning ist im Finanzministerium bei Vizekanzler Lars Klingbeil zuständig für die Regierungskoordination und für Frei der erste Ansprechpartner für alle SPD-geführten Ministerien.
Zudem hat man sich darauf verständigt, den Koalitionsausschuss nicht nur situativ stattfinden zu lassen, sondern sehr regelmäßig alle vier bis sechs Wochen. Und zwar auch dann, wenn keine großen Themen anstehen, sondern es eher als Get-Together dient.
In der Ampelkoalition war dieses Gremium mehr und mehr zum Krisengipfel geworden - aber auch von der Besetzung her zu groß, um bei strittigen Themen schnell zu einer Einigung zu kommen. Legendär wurde eine Marathonsitzung im März 2023, dies sich rund 20 Stunden ergebnislos bis in die Nacht zog.
Nur Männer an den entscheidenden Stellen
Als kleine Clearingstelle vor dem Koalitionsausschuss wiederum hat sich noch ein informelles schwarz-rotes Trio zusammengefunden. Es versucht letzte Konfliktthemen zwischen CDU, CSU und SPD bereits vorab abzuräumen: Regierungssprecher Stefan Kornelius für den Kanzler, sein von der CSU bestellter Stellvertreter und ehemaliger Dobrindt-Sprecher Sebastian Hille sowie Steffen Meyer, ebenfalls stellvertretender Regierungssprecher und Klingbeil-Vertrauter.
Die Kunst des Kompromisses ist es, die jetzt neu geübt wird. Dafür wirken im Parlament und in der Regierung auf verschiedenen Ebenen Duos und Trios von Union und SPD bisher möglichst geräuschlos im Hintergrund.
Mit einem deutlichen Merkmal: Allesamt sind männlich besetzt - bis herunter auf die Ebene der parlamentarischen Geschäftsführer. Nur die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken und demnächst ihre Nachfolgerin ist als einzige Frau in einem Gremium dabei, dem Koalitionsausschuss. Das missfällt sogar führenden Frauen der Kanzlerpartei CDU. Geändert wurde daran bisher nichts.