
Pistorius in der Ukraine Ein fordernder Einsatz
Unermüdlich setzt Verteidigungsminister Pistorius Zeichen für die Unterstützung der Ukraine. Sein Besuch in Kiew bedeutet volles Programm: Treffen mit NATO-Botschaftern, Ministern und Parlamentariern - zwischendurch Briefings und Interviews.
Es ist abends, 20 Uhr im Kiewer Bahnhof, draußen laufen die üblichen sowjetischen Schnulzen aus den Lautsprechern. Boris Pistorius steigt in den blauen Nachtzug, mit dem Kanzler und Ministerinnen und Minister nach Kiew fahren. Fliegen kann man nicht, es ist ja Krieg. Am Bahnsteig das übliche Kommando zur Verabschiedung, Botschaftsmitarbeiter, Militärattachés, die ukrainischen Organisatoren.
Der Minister sieht müde aus. Aber als er vor kaum zwölf Stunden aus diesem Zug ausgestiegen ist, war er auch schon müde. Nachtzüge durch ein Land im Kriegszustand sind nicht jedermanns Sache, möglicherweise hat Pistorius schon mit Nachtzügen selbst ein Problem.
Fragen über Fragen
Fünf Mal war er schon im Land, am Donnerstag hat er nach eigenen Angaben "ein Standardprogramm" hinter sich, "ungefähr so wie immer". Das heißt: Morgens aus dem Zug, in der Fahrzeugkolonne durch die Stadt, Frühstück im Hotel, Treffen mit Botschaftern von NATO-Staaten, danach Gespräche mit Parlamentariern aus der Rada, ein Treffen mit dem ukrainischen Verteidigungsminister, ein Gespräch mit dem Präsidenten, danach eine Pressekonferenz, dazwischen immer Abstimmungen und Kurzbriefings.
Die Themen: Wie kann man einen möglichen Rückzieher der USA in den Hilfeleistungen kompensieren (NATO-Botschafter), wie könnten weitere Unterstützungsleistungen Deutschlands in den ukrainischen Provinzen aussehen (Parlamentarier), wie sieht die Lage an der Front aus und wie kann Europa darauf reagieren (Verteidigungsminister Umerow) und was hat sich durch die neue Regierung in der Ukrainehilfe geändert - wie viel Geld ist Deutschland bereit auszugeben (Präsident Selenskyj).
Kranzniederlegung auf dem Maidan
Nach den politischen Gesprächen gibt es die Kranzniederlegung zum Gedenken an die ukrainischen Opfer des Krieges auf dem Maidan-Platz. Dort gibt es Nachfragen zu den jüngsten, verschärften Attacken Russlands auf die ukrainische Hauptstadt.
Dann verschwinden Minister und Stab ohne Presse zu einer Besichtigung einer ukrainischen Rüstungsproduktionsstätte. Immerhin will Deutschland, das hat Pistorius verkündet, mehr Rüstungsgüter für die Ukraine in der Ukraine selbst herstellen lassen. Bei der Produktion von Marschflugkörpern soll das schon in den nächsten Monaten funktionieren.
Im Gegenzug will die Ukraine Deutschland Knowhow und Hardware etwa bei Drohnen und Elektronischer Kampfführung zur Verfügung stellen. Nicht gerade wenig Inhalt für einen Standardbesuch. Nicht zu vergessen die neun Milliarden Euro, die nach Pistorius Willen am Ende 2025 als deutsche Hilfe in den Büchern von Kiew stehen sollen. Vor zwei Jahren wäre das noch eine große Schlagzeile wert gewesen.
Von müde auf kontrolliert ärgerlich
Stattdessen wird Pistorius in zwei langen Interviewaufzeichnungen für die ARD-Tagesthemen und die ZDF-Sendung Maybrit Illner auf das "Manifest" von prominenten SPD-Mitgliedern angesprochen.
Mützenich, Walter-Borjans, Stegner und Co fordern darin mehr Zusammenarbeit mit Russland und rufen zu mehr Abrüstung auf, beklagen die angebliche Militarisierung von Politik und Gesellschaft. Pistorius hat sich unter Kontrolle, aber man sieht, wie er von müde auf kontrolliert ärgerlich schaltet.
Man ahnt, was er denkt: Da kämpft er sich durch ein Besuchsprogramm, das sich gewaschen hat, erklärt zum x-ten Mal die Solidarität mit der Ukraine, verspricht der Ukraine Geld, schlägt Deutschland Joint-Ventures vor und muss sich von seinen Parteigenossen Kriegstreiberei vorwerfen lassen.
Es ist die Welt vor der Zeitenwende, die SPD vor der Zeitenwende, die ihn da einholt. Ihn, der im Ministerium über Wehrdienst, Beschaffungswesen und Rüstungskooperationen nachdenkt oder nachdenken lässt. Seine Partei ist Regierungspartei, wenn da etwas wackelt, muss er sich gleich die Frage nach der Stabilität von Schwarz-Rot gefallen lassen.
Und so versucht er auf dem Michaelsplatz in Kiew, den Moderatoren in Deutschland zu erklären, dass man mit Putin einfach nicht verhandeln könne, selbst wenn auch er sich Frieden wünschte. Auch das sagt er nicht zum ersten Mal. Ob er solche Antworten als Teil des "Standardprogramms" sieht, man weiß es nicht.
Lob der Journalisten in Kiew
Die Abendnachrichten des ukrainischen Fernsehens verkünden die Solidarität Deutschlands mit der Ukraine, breit wird über die Summe der Unterstützung berichtet, sogar von der angeblichen Freundschaft zwischen Pistorius und dem ukrainischen Verteidigungsminister Umerow. Das sieht Pistorius nicht, aber, so kann man vermuten, es würde dem Verteidigungsminister besser gefallen als die mühsame Diskussion über Moral in Deutschland.
Aber er ist SPD-Mitglied und muss sich mit den Argumenten seiner Parteikollegen auseinandersetzen. Sein Pressespiegel ist vermutlich deutsch und beinhaltet weniger das Lob der Kiewer Journalisten, sondern vielmehr Gutgemeintes aus Berlin.
Ausführlich fragen kann man ihn danach nicht. Die Autokolonne rast zurück zum Bahnhof, das "ungefähr-so-wie-immer-Programm" ist zu Ende und der müde Minister steigt wieder ein. In zwei Wochen beginnt der SPD-Parteitag, auf dem er zum wiederholten Male erklären wird, warum er mehr Waffen momentan für sinnvoller hält als weniger.
Unterstützung als Standardprogramm
Danach wird er als Minister sicher wieder in die Ukraine reisen, die sechste und die siebte Reise absolvieren: Nachtzug, Kolonne, Frühstück, Botschafter, Abgeordnete, Minister, Präsident, Besuch vor Ort, Interviews. Müde ankommen und müde abreisen.
Für ihn gehört die Unterstützung der Ukraine zum politischen Standardprogramm. Für Teile seiner eigenen Partei und Teile der deutschen Gesellschaft auch 2025 immer noch nicht.