
Cum-Cum und Cum-Ex Verhindert der Bürokratieabbau neue Ermittlungen?
Ein Gesetz zum Bürokratieabbau ermöglicht es Banken, bald früher als bislang Steuer- und Buchungsbelege zu vernichten. Kritiker befürchten, dass dem Staat viel Geld verloren geht. Das Finanzministerium winkt ab.
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil hat angekündigt, die Bekämpfung von Steuerbetrug und Finanzkriminalität voranzutreiben. Doch ein Gesetz zum Bürokratieabbau aus den Zeiten der SPD-geführten Ampelregierung könnte genau das behindern. Denn die Aufbewahrungsfristen für Steuer- und Buchungsbelege wurden dadurch verkürzt.
Die Opposition im Bundestag und eine Nichtregierungsorganisation befürchten, dass das schon bald die Aufarbeitung des mutmaßlich milliardenschweren Steuerbetrugs durch so genannte Cum-Cum-Geschäfte erschweren könnte. Sie fordern Klingbeil auf, sofort gegenzusteuern. Kurz nach seinem Amtsantritt hatte sich der SPD-Politiker und Vizekanzler dafür offen gezeigt. Auf Nachfrage äußert sich das Bundesfinanzministerium mittlerweile allerdings zurückhaltend.
Brorhilker: "Uns rennt die Zeit davon"
Für Anne Brorhilker ist hingegen klar: Es müsste jetzt schnell gehen. Im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio sagt sie, "uns rennt tatsächlich die Zeit davon". Seit Monaten warnt, mahnt und appelliert die Vorständin des Vereins Bürgerbewegung Finanzwende an das Bundesfinanzministerium und die Politik, endlich tätig zu werden. Die Aufklärung sogenannter Cum-Cum-Geschäfte stehe noch "ganz am Anfang und wenn jetzt die Unterlagen vernichtet werden dürfen, dann sehen wir das Geld wahrscheinlich nie wieder."
Brorhilker hat vor ihrer Zeit bei Finanzwende jahrelang als Staatsanwältin zu illegalen Cum-Ex-Deals und zu sogenannten Cum-Cum-Geschäften ermittelt. Cum-Cum wird häufig als großer Bruder von Cum-Ex bezeichnet. Auch dabei geht es um Aktiendeals rund um den Dividendenstichtag mit dem Ziel unrechtmäßiger Steuererstattungen. Es gibt Schätzungen, wonach der Schaden für den deutschen Staat, die Bürgerinnen und Bürger, knapp 30 Milliarden Euro betragen könnte.
Davon konnte bisher "nur ein winziger Bruchteil zurückgefordert werden", sagt Brorhilker. Sie vermutet - wie auch die Opposition im Bundestag: In den Unterlagen vieler Finanzinstitute könnten noch viele unentdeckte Fälle schlummern.
Frist läuft Ende des Jahres aus
Doch genau diese Unterlagen können bald, ganz legal, und schneller als bislang, Schritt für Schritt, vernichtet werden. Grund dafür ist das sogenannte vierte Bürokratieentlastungsgesetz. Das hatte die damalige Ampel-Koalition im September 2024 verabschiedet. Teil des Gesetzespakets ist eine Regelung, die die Aufbewahrungsfristen für Steuer- und Buchungsbelege von bislang zehn auf jetzt acht Jahre verkürzt hat. Schon damals hatte es Warnungen gegeben, dieses Gesetz könnte die Aufklärung von Cum-Ex und Cum-Cum-Geschäfte erschweren.
SPD, Grüne und FDP reagierten im Gesetzgebungsverfahren auf die Kritik dahingehend, dass sie die verkürzten Aufbewahrungsfristen für Finanzinstitute für ein Jahr aussetzen. Doch diese Fristverlängerung läuft Ende des Jahres aus. Das heißt, im Januar 2026 können Finanzinstitute Belege für die Jahre 2016 und 2017 schreddern. Im folgenden Jahr dann für 2018 und so weiter. Jahre, die, so sehen es zumindest die NGO Finanzwende und die Opposition, noch nicht ausreichend auf Cum-Cum-Geschäfte untersucht wurden.
Thema im Bundestag
Bereits bei seiner ersten Befragung im Bundestag Mitte Mai, Finanzminister Klingbeil war da gerade eine Woche im Amt, wurde das Thema von der Fraktion Die Linke und der AfD angesprochen. Klingbeil antwortete, er habe das natürlich verfolgt und er nehme die Hinweise, die ihn "in den letzten Tagen" erreicht hätten, "sehr ernst". Er kündigte zudem an: "Ich lasse mir das jetzt im Ministerium aufbereiten und es wird dann Entscheidungen geben."
Vergangene Woche setzten die Grünen das Thema erneut auf die Tagesordnung im Bundestag. Sie hatten die Fristverkürzungen im vergangenen Jahr zwar mit verabschiedet, setzen sich jetzt allerdings für eine erneute Fristverlängerung ein. Eine solche, "minimale Gesetzesänderung" würde niemandem wehtun, sagt dazu die Grünen-Politikerin Katharina Beck dem ARD-Hauptstadtstudio, "denn ehrlicherweise, so aufwendig ist das für große Finanzinstitutionen nicht, die Daten, die meist digital sind, sowieso noch ein bisschen weiter aufzubewahren."
Aussicht auf Erfolg dürfte der Antrag, der jetzt im Finanzausschuss des Bundestags weiter beraten wird, allerdings kaum haben. Denn bei der Debatte wurde deutlich: Alle Parteien sind sich zwar einig, Cum-Cum-Geschäfte müssten weiter aufgeklärt werden und der Staat sich zu Unrecht ausgezahlte Gelder zurückholen.
Bei der Frage, ob die verkürzten Aufbewahrungsfristen dafür allerdings ein Problem sind, gehen die Ansichten weit auseinander. Grüne, Linke und AfD sehen das so. CDU, CSU und SPD äußerten sich hingegen skeptisch.
Finanzministerium: Keine Cum-Cum-Geschäfte ab 2016
Auch das Bundesfinanzministerium teilt auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios mit, zur Verhinderung von Cum-Cum-Gestaltungen seien bereits umfangreiche gesetzliche Maßnahmen ergriffen worden. "Damit wurde ein Rechtsrahmen geschaffen, der nach bisheriger Erkenntnis diese Gestaltungen für Veranlagungszeiträume ab 2016 wirksam verhindert. Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, dass Cum/Cum-Gestaltungen nach 2016 noch abgewickelt wurden."
Übersetzen könnte man das wohl so: wenn ab Januar 2026 Unterlagen aus den Jahren 2016 und folgenden vernichtet werden, dann ist das in Bezug auf die Aufklärung von Cum-Cum kein Problem, weil es in diesen Jahren vermutlich ohnehin keine Cum-Cum-Geschäfte mehr gegeben hat.
Die ehemalige Ermittlerin Anne Brorhilker sagt dazu, "also das wundert mich." Sie verweist auf Aussagen von Kronzeugen und Erhebungen zu erhöhten Aktiengeschäften rund um den Dividendenstichtag. Man müsse aber "natürlich auch hinschauen".
DekaBank zahlt Millionen wegen mutmaßlicher Cum-Cum-Geschäfte
Interessant an der Aussage des Bundesfinanzministeriums ist, dass erst vor wenigen Wochen bekannt wurde, dass die DekaBank für die Jahre 2013 bis einschließlich 2018 rund 500 Millionen Euro wegen mutmaßlicher Cum-Cum Geschäfte an die Finanzverwaltung überweisen musste. Mehrere Medien berichteten darüber.
Auf Nachfrage bestätigt die DekaBank, dass ihr "die Anrechnung der gesamten Kapitalertragsteuern mit Bezug zu Aktienhandelsgeschäften über den Dividendenstichtag betreffend" für diese Jahre versagt wurde. Zugleich betont die Bank allerdings, dass eine inhaltliche Prüfung durch die Finanzverwaltung noch nicht stattgefunden habe. Die DekaBank hat Einspruch eingelegt und geht, so eine Sprecherin, weiterhin davon aus, "dass ihre Rechtsauffassung in einem finanzgerichtlichen Verfahren letztinstanzlich bestätigt werden wird". Auf den Fall angesprochen, teilt das Finanzministerium lediglich mit, dass Informationen zu einzelnen Steuerpflichtigen dem Steuergeheimnis unterliegen und eine "Kommentierung daher nicht möglich" sei.
Zurückhaltend äußert sich das Ministerium auch hinsichtlich einer weiteren Forderung der Opposition. So hatten unter anderem die Grünen den Finanzminister aufgefordert, das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) anzuweisen, sich stärker an der Aufklärung möglicher Cum-Cum-Geschäfte zu beteiligen. Das Ministerium teilt dazu auf Anfrage mit, die Zuständigkeit für Besteuerungsverfahren und Betriebsprüfungen liege bei den Ländern. Es gebe im BZSt allerdings "zwei Arbeitseinheiten mit Spezialwissen zur Prüfung" von Banken. Diese "stehen auch im Kontakt mit den Landesfinanzbehörden hinsichtlich der Prüfung von Cum/Cum-Gestaltungen."