Symbole des Messenger-Dienstes Telegram

Messengerdienst Telegram Chats als Brutstätte des Rechtsterrorismus

Stand: 04.05.2025 13:37 Uhr

Telegram hat sich in den vergangenen Jahren zur zentralen Kommunikationsplattform für rechtsextreme Gruppen entwickelt. Experten konnten mehr als 650 Deutsche in den "Terrorgram"-Gruppen finden.

Von Cosima Gill, wdr

Waffenbau- und Sprengstoffanleitungen. Ein Handbuch zur Giftherstellung. Grafiken, in denen jüdischen oder schwarzen Menschen mit Gewalt gedroht wird. Diese Inhalte werden in Telegram-Gruppen geteilt, die zu einem internationalen rechten Netzwerk gehören - auch Deutsche sind dort aktiv. Ein Nutzer aus Sachsen teilt ein Foto von Bettwäsche mit einem SS-Symbol, prahlt damit, zu Hause eine Hakenkreuz-Flagge aufgehängt zu haben, und schreibt im Chat, es gebe "nicht genug 'Nazis' in Deutschland".

Solche Chat-Gruppen gehören laut Experten zum sogenannten Terrorgram-Netzwerk. Ein Wortspiel aus Telegram und Terrorismus. Die Mitglieder gelten als gewaltorientiert und rechtsextrem.

Hans-Jakob Schindler vom International Centre for Counter-Terrorism stuft diese Gruppen als äußerst gefährlich ein: "Erstens geht von dem Netzwerk eine Gefahr aus, weil hier eine Vernetzung von gewaltorientierten Personen stattfindet. Es wird dann irgendwann auch für die Sicherheitsbehörden schwierig, alle gleichzeitig zu bewachen. Und zweitens werden in diesen Kanälen von Bombenanschlägen bis Messerattacken jegliche Anschlagsszenarien durchgespielt."

Attentäter werden durch "Terrorgram" inspiriert

Auch in Chats mit deutschen Mitgliedern tauschen sich Nutzer über solche Szenarien aus. Ein Mitglied schreibt auf Englisch: "Töte keine Menschen für eine einmalige Aktion, warte auf Tag X (...)." Ein deutscher Nutzer antwortet auf diesen Vorschlag: "Tag X steht kurz bevor und wird auch in Deutschland passieren. Es gibt keine andere Option." Mit "Tag X" ist der Tag gemeint, an dem die demokratische Ordnung kollabieren soll. Ein Systemzusammenbruch ist eines der Ziele solcher rechtsextremen und rechtsterroristischen Gruppen.

Drohungen dieser Art nehmen Experten und Sicherheitsbehörden sehr ernst, denn "Terrorgram"-Mitglieder verehren rechtsextreme Massenmörder wie etwa Anders Breivik. Der Norweger hatte 2011 in Oslo und auf der Insel Utoya 77 Menschen ermordet.

Attentate weltweit werden mit dem "Terrorgram"-Netzwerk in Verbindung gebracht: 2022 erschoss ein Rechtsterrorist zwei Menschen vor einer Bar in Bratislava. Die Bar galt als Treffpunkt von queeren Menschen. In seinem Bekennerschreiben nannte der Täter "Terrorgram" als Inspirationsquelle.

Auch deutsche Nutzer bei "Terrogram" aktiv

Das Center für Monitoring Analyse und Strategie, kurz CeMAS, konnte seit 2022 mehr als 650 Deutsche in 164 "Terrorgram"-Gruppen finden. Gerade, dass viele Deutsche dort so stark eingebunden sind, besorgt CeMAS-Experte Miro Dittrich: "Erschreckend ist, dass in diesen Kanälen sehr junge Menschen teilweise aktiv sind. 12- oder 13-Jährige, die sich bereits am Ende eines Radikalisierungsprozesses befinden. Sie bestellen teils Sprengstoffmaterialien und haben vor, für eine rechtsextreme Ideologie Massenmorde zu begehen." Er warnt: Das Netzwerk könnte weiterhin versuchen, Anschläge zu motivieren - auch in Deutschland.

Viel Hass und Hetze in Telegram-Chatgruppen

Cosima Gill, WDR, tagesthemen, 30.04.2025 22:15 Uhr

Keine einfache Aufgabe für den Verfassungsschutz

Das Bundesamt für Verfassungsschutz versucht, solche "Terrorgram"-Gruppen zu überwachen. Vizepräsident Sinan Selen sagt: "Es ist eine schwierige Aufgabe, aufgrund der Schnelligkeit der Szene, der Anonymität der Plattformen und dem hohen Maß der Radikalisierung."

Trotzdem gelingt es den Behörden immer wieder, Verdächtige frühzeitig zu identifizieren. So wurden 2024 Mitglieder der Gruppe "Sächsische Separatisten" festgenommen. Auch sie gehören laut Spiegel-Recherchen zur militanten rechtsextremen Szene.

So reagiert Telegram auf die Radikalisierung

Selen kritisiert, dass Telegram nicht ausreichend gegen radikale Inhalte vorgeht. "Wir müssen feststellen, dass gerade hier weder die Schnelligkeit noch die umfassende Berichterstattung als zufriedenstellend zu bewerten ist. Telegram hat da noch eine Reise vor sich."

Telegram teilt auf Anfrage mit, dass viele der "Terrogram"-Gruppen mittlerweile gelöscht seien. Allein im Jahr 2025 seien laut Telegram mehr als 81.000 Gruppen entfernt worden, die in Verbindung mit terroristischen Inhalten stehen.

"Terrorgram" auf der Terrorliste einiger Staaten

In den USA, Australien und Großbritannien wurde das "Terrorgram Collective" bereits als Terrororganisation eingestuft. Dieser Teil der Gruppe gilt als harter Kern des internationalen Netzwerks.

In der EU fehlt diese Einstufung bislang. Allerdings wurde 2024 erstmals ein rechtsextremes Netzwerk in die EU-Terrorliste aufgenommen. Experten sehen dies als möglichen Präzedenzfall, dem weitere Ergänzungen auf der Liste folgen könnten.

Der Verfassungsschutz hofft: Eine solche Einstufung könnte Plattformen wie Telegram zu schnelleren Reaktionen zwingen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 30. April 2025 um 22:15 Uhr.