
Studie über Radikalisierung Jeder fünfte Muslim fühlt sich zurückgewiesen
Wann verfangen Botschaften von Hasspredigern? Eine Studie unter Musliminnen und Muslimen hat einen Faktor genauer untersucht, der bisher wenig Beachtung fand: das Gefühl von Kränkung und Diskriminierung.
In der Beratungsstelle "Wendepunkt" in Köln-Kalk steht die Tür zur Straße offen. Junge Menschen aus dem Viertel kommen hierher, um sich bei Problemen oder in schwierigen Lebenslagen beraten zu lassen. Zuletzt äußerten immer häufiger Musliminnen und Muslime, sich ohnmächtig zu fühlen, sagt Projektleiter Mohammed Haddad. "Junge Muslime, die eigentlich Teil dieser Gesellschaft sein wollen, fühlen sich abgelehnt. Sie sehen gar keinen Sinn mehr darin, sich hier zu bemühen, weil Diskriminierung in allen Lebensbereichen sehr präsent ist."
Pauschale, negative Aussagen von Politikern über den Islam, eine verzerrte Darstellung von Muslimen im Zusammenhang mit Themen wie Terrorismus, persönliche Erfahrungen von Demütigung - all das führe bei vielen Musliminnen und Muslimen aktuell zu einem Gefühl des Gekränktseins.
Das zeigt nun auch eine Studie der Universität Münster. Bei etwa 20 Prozent der rund 1.900 Befragten käme noch hinzu, dass die empfundene Kränkung nicht aufgefangen werde. Die Betroffenen geben die Schuld an ihrer emotionalen Misere dann einem abstrakten Täter, nämlich der deutschen Gesellschaft allgemein. Etwa elf Prozent aus dieser Gruppe seien darüber hinaus bereit, muslimische Interessen mit Gewalt zu verteidigen.
Islamisten greifen Gefühlslagen auf
Genau solche Gefühlslagen greifen Islamisten und Hassprediger auf. "Sie verbreiten die Botschaft: Wenn du ein Muslim bist, musst du dich in einer Opferrolle fühlen. Schuld ist der Andere, die Mehrheitsgesellschaft", erklärt Professor Mouhanad Khorchide vom Zentrum für Islamische Theologie. Vor allem in den Sozialen Medien würden auf diese Weise junge Muslime angesprochen. In manchen Fällen könne das zu einer Radikalisierung führen.
Laut den Machern der Studie ermöglichen diese Erkenntnisse nun eine gezieltere Radikalisierungsprävention. Das Gefühl des Gekränktseins müsse frühzeitig erkannt und eingeordnet werden. "Es braucht Maßnahmen, die Muslime in ihrer Zugehörigkeit zur Gesellschaft bestärken und positiv sowie identitätsstiftend wirken", wünscht sich Khorchide. Dazu zähle beispielsweise der weitere Ausbau von Räumen, in denen Muslime Anerkennung und Teilhabe erfahren - etwa durch die Stärkung des islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen.
"Ebenso wichtig ist die gezielte Förderung von Projekten in den Sozialen Medien, die konstruktive Erzählungen über das Zusammenleben von Muslimen und Nicht-Muslimen in einer pluralen Gesellschaft verbreiten", sagt Khorchide. In der Verantwortung sehen die Forscher die Politik, aber auch die islamischen Organisationen in Deutschland.
Perspektiven aufzeigen
Mahmood Malhi ist Imam in der Bait-un-Nasr-Moschee in Köln. Er nimmt regelmäßig kurze Videos für Instagram und TikTok auf. Darin geht es mal um eine Aktion der Moscheegemeinde in der Nachbarschaft, mal um Botschaften eines friedlichen Islams. Falschaussagen über die Lehren des Islams und pauschalen Feinderzählungen will er so etwas entgegensetzen: "Ich sehe das in den Kommentaren, dass viele junge Muslime ein großes Bedürfnis haben nach solchen Informationen. Die bedanken sich dann und schreiben: Ah, das wusste ich gar nicht."
Auch in der Beratungsstelle "Wendepunkt" versuchen sie, die negativen Erzählungen zu entkräften. In Gesprächskreisen kommen Mohammed Haddad und seine Kollegen mit jungen Menschen zusammen, die sich als Muslime gekränkt fühlen. Sie sprechen über den Umgang mit ausgrenzenden Erfahrungen, sie zeigen Zukunftsperspektiven in Deutschland auf oder beraten zum Thema Ausbildung und Studium: "Wir wollen ihnen einfach aufzeigen, dass sie Teil der Gesellschaft sein können, etwas Positives bewirken können und sich gar nicht zurückziehen müssen."