Karol Nawrocki
analyse

Wahlsieg Nawrockis Ein großes Problem für die Regierung Tusk

Stand: 02.06.2025 14:40 Uhr

Die Pro-Europäer hatten sich zu früh gefreut: Der Sieg des politischen Außenseiters Nawrocki in Polen ist ein Erfolg für die rechtspopulistische PiS-Partei - und ein großes Problem für Ministerpräsident Tusk.

Am Sonntagabend haben sie noch gefeiert. Auf der Bühne hinter Rafal Trzaskowski sprangen die Vertreter der Bürgerkoalition KO im Kreis und feierten den vermeintlichen Sieg. "Wir haben gewonnen!", rief Trzaskowski in Warschau und scherzte, die Redewendung "Na Żyletki", um eine Gillette, eine Rasierklingenbreite also, werde angesichts des knappen Wahlausgangs in die Geschichte eingehen. Am nächsten Morgen: Stille.

In der Nacht haben sich die Umfrageergebnisse gedreht. Trzaskowski hat seinen ohnehin knappen Vorsprung eingebüßt, am frühen Montagmorgen ist klar: Karol Nawrocki, der Kandidat der rechtspopulistischen PiS-Partei, wird Polens nächster Präsident.

Hält die Regierung von Donald Tusk?

Trzaskowskis Mannschaft scheint unter Schock zu stehen. Polens Ministerpräsident Donald Tusk, für dessen Bügerkoalition Trzaskowski angetreten war, meldet sich am Vormittag nicht zu Wort. Einzig Borys Budka, Tusks Vorgänger an der Parteispitze und jetzt Europaabgeordneter, traut sich an ein Mikrofon und dankt den Wählerinnen und Wählern. Er hoffe im Sinne Polens, dass er sich täusche, aber Karol Nawrocki und PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski sei nicht zu trauen: "Kaczynskis Ziel ist der Sturz der legalen Regierung und ich fürchte, Karol Nawrocki wird sein Werkzeug sein, um alle Reformen zu blockieren."

Tatsächlich gratuliert Polens amtierender Präsident Andrzej Duda seinem Nachfolger auch mit dem Hinweis, Nawrocki werde seine Politik fortsetzen. Die bestand seit dem Regierungswechsel 2023 - seit die PiS-Partei nicht mehr an der Macht ist - vor allem darin, zentrale Reformvorhaben der Regierung Tusk per Veto aufzuhalten. Dass Trzaskowski jetzt auch für die schlechte Bilanz der Regierung abgestraft wurde, ist nicht zuletzt Dudas Verdienst.

Der PiS-Abgeordnete Pawel Szrot erklärte heute ganz offen, sollte der nächste Präsident "zu einem Zerfall der Koalition, einem Sturz der Regierung und dem Austausch gegen eine andere führen", könne er das nur gutheißen.

Ein Sieg für PiS-Chef Kaczynski

Die Wahl Nawrockis ist ein großer Erfolg für Kaczynski. Seinen Fans erscheint der PiS-Gründer und -Vorsitzende erneut als politisches Genie, dem es - wie schon 2015 mit Duda - gelungen ist, einen politischen Außenseiter ins Rennen zu schicken und zum Sieg zu führen. Dabei war Nawrocki, anders als Duda vor ihm, von Skandalen verfolgt, von seiner Vergangenheit als gewalttätiger Hooligan, Boxer und Türsteher mit Kontakten zu Kriminellen.

Die Liste der zumindest merkwürdigen Geschichten und Vorfälle rund um Nawrocki ist noch viel länger, hat die Wählerinnen und Wähler der PiS aber nicht gestört, meint der Warschauer Soziologe Wojciech Rafalowski. Viele Polinnen und Polen seien weniger für Nawrocki als gegen vermeintliche Eliten - "und Rafal Trzaskowski gilt als Vertreter der Elite. Die Menschen waren deshalb fähig, für jemanden zu stimmen, der einen schrecklichen Ruf und eine dunkle Vergangenheit hat, um sich gegen die Regierung von Donald Tusk zu stellen."

Nawrocki profitiert von gesellschaftlicher Spaltung

Es gibt viele Ansätze, den knappen Wahlausgang zu erklären: die Unzufriedenheit mit der Regierung, Trzaskowskis gescheiterter Versuch, mit harter Migrationsrhetorik rechtskonservative Wählergruppen anzusprechen, das starke Abschneiden rechtsextremer Kandidaten in der ersten Wahlrunde, von dem in der zweiten Nawrocki profitieren konnte, die offene Wahlwerbung für den PiS-Kandidaten durch Donald Trump und die US-Regierung. Letztlich aber hat Kaczynskis PiS 2023 vor allem ein tief gespaltenes Land hinterlassen.

Wer sich auf den Wahlkampfveranstaltungen in den letzten Wochen umgehört hat, traf dort auf beiden Seiten Menschen, die fest davon überzeugt war, ein Sieg der anderen Seite bedeute unweigerlich das Ende entweder der polnischen Unabhängigkeit oder der polnischen Demokratie. Bei Nawrockis Anhängern war die Rede vom "Regime Tusk", der von Deutschland gesteuerten EU, von der angeblich geplanten Aufteilung und Zerstörung Polens.

Rechtskonservativer Karol Nawrocki gewinnt Stichwahl um das polnische Präsidentenamt

Sabine Bohland, ARD Warschau, tagesschau, 02.06.2025 12:00 Uhr

Vor Trzaskowskis Bühnen standen Menschen, die sich mit Schrecken an die Regierungszeit der PiS erinnern, an das Gefühl, 2023 die vielleicht letzte demokratische Chance auf deren Abwahl genutzt zu haben. Und die jetzt - wie damals - überlegen, ob ihre Kinder nicht vielleicht auswandern sollten. Ein konstruktives Gespräch über politische Argumente war da nur noch selten möglich.

Am späten Vormittag meldet sich der unterlegene Trzaskowski doch noch zu Wort. Er habe für ein "starkes, sicheres, ehrliches und empathisches Polen" gekämpft, schrieb er bei X, und entschuldigte sich, dass er trotzdem verloren hat. Die Gratulation an den Sieger kommt mit dem Hinweis, das Amt sei Verpflichtung, vor allem bei einem so knappen Ergebnis. "Danke für alles und auf Wiedersehen." Dann herrscht wieder Stille.