Die europäische Flagge und der Union Jack wehen im Wind. (Archivbild vom 24.09.2017)

Britisch-europäischer Gipfel Startschuss für eine echte Wiederannäherung?

Stand: 19.05.2025 07:23 Uhr

Der erste Gipfel der EU und Großbritanniens seit dem Brexit markiert einen Neuanfang. Vor allem in der Verteidigung will man enger zusammenarbeiten. Doch auch alte Grabenkämpfe aus der Brexit-Zeit treten erneut zutage.

Es ist eine Premiere: Fünf Jahre nach dem EU-Austritt Großbritanniens treffen sich heute das erste Mal Vertreter der Europäischen Union ganz offiziell zu einem Sondergipfel mit einer britischen Regierung in London.

Eine Premiere, die mehr als nur ein symbolischer Neuanfang, sondern der Startschuss für eine echte Wiederannäherung zwischen London und Brüssel werden soll.

Zusammenarbeit bei der Verteidigung

An erster Stelle wird eine engere Zusammenarbeit bei der Sicherheits- und Verteidigungspolitik stehen. Der Entwurf für ein solches gemeinsames Abkommen umfasst Bereiche wie Cybersicherheit und Sicherheit im Seeverkehr, einschließlich der Bekämpfung russischer Angriffe auf europäische Unterseekabel.

Aber auch eine engere Abstimmung bei der Beschaffung von Waffen und Abwehrsystemen soll Teil des Abkommens werden. Britische Unternehmen hoffen hier vor allem, Zugriff auf den kürzlich beschlossenen 150 Milliarden Euro schweren EU-Topf zur Wiederaufrüstung zu erhalten. Noch ist allerdings unklar, in welcher Höhe.

Erinnerung an Streit aus Brexit-Zeiten

Vor allem die Franzosen drängten offenbar darauf, den möglichen Anteil für die Briten auf 15 Prozent zu beschränken und forderten während der Verhandlungen dafür von den Briten höhere Fangquoten für ihre Fischer.

Es ist ein Punkt, der an die hässlichen und oft absurden Streitigkeiten aus alten Brexit-Zeiten erinnert. Denn de facto ist der Beitrag der Fischerei zum Bruttosozialprodukt in beiden Ländern verschwindend gering.

Innenpolitisch aber bleiben die Fangquoten offenbar vor allem für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ein so toxisches Thema, dass die Gespräche darüber tatsächlich mehrfach in eine Krise gerieten.

Brexiteers blasen zum Sturm

Und auch für den britischen Premier Keir Starmer ist dieser Gipfel innenpolitisch alles andere als ein einfaches Heimspiel. Denn obwohl nur noch 30 Prozent der Briten der Meinung sind, dass der Brexit eine gute Idee war und selbst im Lager der damaligen Befürworter eine klare Mehrheit den EU-Austritt heute als Fehler sieht, blasen die Brexiteers in den britischen Medien seit Tagen fast reflexhaft wieder zum Sturm.

In den Sonntagszeitungen galt der heutige Gipfel schon am Tag davor als "surrender summit" - als "Kapitulations-Gipfel" - oder wahlweise auch als der große "Brexit-Verrat". Dabei war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht klar, auf was man sich heute konkret einigen wird.

Angesichts der Tatsache, dass der Brexit die Briten schon jetzt etwa vier Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts gekostet hat, ist dies eine durchaus irrationale Reaktion.

Furcht vor Farages Reform-UK

Keir Starmer, der noch rund vier Jahre mit großer Mehrheit regieren wird, könnte diese Angriffe theoretisch einfach ignorieren. Tatsächlich verhält er sich aber extrem defensiv.

Das hat auch mit dem rasanten Wiederaufstieg der rechtspopulistischen Reform-UK-Partei unter Nigel Farage zu tun, die bei den Kommunalwahlen Anfang Mai massiv zulegen konnte und fast 700 Sitze gewann.

Farage, der 2016 den Brexit wesentlich mitbetrieb, gibt heute zwar selber zu, das Projekt sei gescheitert. Das aber hätte nicht an ihm gelegen, sondern sei die Schuld der Tories, die das Ganze nur nicht richtig umgesetzt hätten.

Der Brexit als Idee bleibt für ihn ein heiliges Mantra, auch wenn er bislang nicht erklären konnte, wie er ihn denn auf für die Briten weniger schädliche Weise realisiert hätte. Dennoch: Mit seiner neugewonnenen Popularität ist eine Wiederannäherung an die EU für Starmer innenpolitisch wieder deutlich schwieriger geworden.

Reizthema Einreise

Besonders heikel für den britischen Premier sind deshalb Forderungen der EU, die Einreise- und Aufenthaltsregeln für jüngere EU-Bürger in das Königreich zu vereinfachen. Die sollen, so wünscht es sich Brüssel, demnächst wieder für zwei oder drei Jahre in Großbritannien leben, arbeiten und studieren können.

Während dies zwar auch andersherum für junge Briten gelten soll, rufen Farage und die konservativen Brexiteers seit Wochen zum Widerstand dagegen auf: Eine solche Aufweichung des harten Brexit sei ein heimlicher Wiedereinstieg in die Personenfreizügigkeit der EU. Das ist zwar falsch, aber es zeigt, dass die irrationalen Grabenkämpfe rund um den Brexit auch nach mehr als fünf Jahren jederzeit wieder aufflammen können.

Freundschaftlicher und rationaler

Trotz all dieser Hindernisse und Schwierigkeiten aber wird dieser Gipfel einen Neubeginn markieren. Schon deshalb, weil es sich weder die EU noch Starmer angesichts der zunehmend unsicheren globalen Lage leisten können, heute in London ohne konkrete Ergebnisse auseinanderzugehen.

Und auch wenn die Narben der Brexit-Zeit auf beiden Seiten noch nicht ganz verheilt sind, das Verhältnis zwischen London und Brüssel wird - trotz aller Differenzen - ab jetzt wieder zurück in engere, freundschaftlichere und vor allem rationalere Bahnen geleitet werden. Das ist die gute Nachricht. Das Ausarbeiten der Details aber dürfte für beide Seiten auf mittlere Sicht ein Hindernislauf bleiben.

Gabi Biesinger, ARD London, tagesschau, 19.05.2025 08:11 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau im ARD-Morgenmagazin am 19. Mai 2025 um 08:00 Uhr.